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Ludwigshafen. „Sind unsere Kliniken sicher?“ Medizinische Einrichtungen in Deutschland und im benachbarten Ausland könnten nach einem Attentat oder Amoklauf nicht nur wegen der Versorgung der Opfer in den Fokus rücken. Als „kritische Infrastruktur“ könnten sie auch ein ganz bewusst ausgewähltes Anschlagsziel sein. Am Freitag (29. November) diskutierten Experten in Ludwigshafen anlässlich der 3. Notfallkonferenz der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Krankenhäusern und Kliniken „bei lebensbedrohlichen Einsatzlagen“. An der Veranstaltung nahmen rund 200 Chirurgen und Notfallmediziner der zivilen Versorgung, Ärzte der Bundeswehr sowie Vertreter von Rettungs- und Sicherheitsorganisationen teil.

Neben Fachvorträgen zur Sicherheit im medizinischen Bereich berichten Referenten zum Themenkomplex „Chemieunfälle, radioaktive Unfälle und ABC-Waffen“. Zudem fanden im Rahmen der Tagungen an der BG Klinik in Ludwigshafen Live-Demonstrationen statt, die sich mit der Behandlung im Strahlenfall oder der Behandlung von Chemieunfällen befassten. Teil des Veranstaltungsprogramms war auch die Vorführung von Spezialfahrzeugen.

(Anm.: Die BG Klinik in Ludwigshafen gehört zum Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH, den BG Kliniken. Zum Verbund zählen neun berufsgenossenschaftliche Akutkliniken der gesetzlichen Unfallversicherung, hinzu kommen zwei Kliniken für Berufskrankheiten sowie zwei Ambulanzen. Versorgt werden von diesen 13 Einrichtungen bundesweit pro Jahr rund 550.000 Patienten. Die BG Kliniken erfüllen einen umfassenden Versorgungsauftrag für die Gesamtbevölkerung und stehen jederzeit Patienten aller Krankenversicherungen offen.)

Fünf-Punkte-Plan zur raschen Versorgung von Anschlagsopfern

Der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner, äußerte sich bei der Notfallkonferenz zur engen Zusammenarbeit der DGU mit der Bundeswehr. Er erklärte: „Die sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre haben zu einem gesteigerten Interesse des zivilen Gesundheitswesens an den spezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr geführt, so dass es inzwischen einen sehr intensiven und vertrauensvollen Austausch gibt.“

Bereits 2016 haben die DGU und der Sanitätsdienst einen Fünf-Punkte-Plan zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung im Falle eines Terrorereignisses aufgelegt. Kernstück des Plans ist der Kurs „Terror and Disaster Surgical Care“ (TDSC®), bei dem erfahrene Kliniker lernen, medizinische Herausforderungen in einer Amok -oder Terrorlage zu managen. Bis heute konnten bereits mehr als 350 Ärzte aus zehn regionalen „TraumaNetzwerken“ der Initiative „TraumaNetzwerk DGU®“ für den Ernstfall trainiert werden (siehe auch unsere früheren Berichte hier und hier).

Bei der 3. Notfallkonferenz an der BG Klinik in Ludwigshafen zeigten Militärmediziner den zivilen Teilnehmern, welche Maßnahmen nach einer vorausgehenden Sicherheitsanalyse ergriffen werden sollten, um den Schutz einer Klinik oder eines Krankenhauses bei einem sogenannten „Terrorassoziierten Massenanfall von Verletzten“ (TerrorMANV) zu erhöhen. Dies können Maßnahmen wie entsprechende Sicherheitsüberprüfungen von Personen und Patienten, die die Gebäude betreten wollen, sein. Oder etwa ein Rammschutz, um die Zufahrt zu erschweren.

„Jede medizinische Einrichtung muss ihre Schwachstellen kennen. Dann lassen sich Sicherheitslücken auch schon mit kleinen Maßnahmen schließen“, so DGU-Präsident Prof. Dr. Paul A. Grützner bei der Konferenzeröffnung.

Frühzeitig Konzepte entwickeln, um die eigene Sicherheit zu erhöhen

Die Bedrohung durch den globalen Terrorismus und auch die zunehmende extremistische Gewalt in Deutschland sind und bleiben nach Ansicht der DGU auch auf lange Sicht eine große Herausforderung. Dazu die Organisation: „Unkalkulierbare Gefahrensituationen am Ort des Geschehens und schwere Verletzungsmuster wie komplexe Schuss- und Explosionsverletzungen sowie die hohe Anzahl hochgradig lebensgefährlich verletzter Menschen an möglicherweise mehreren Orten zu verschiedenen Zeitpunkten stellen Rettungskräfte, Notärzte und die Kliniken in unserem ,TraumaNetzwerk‘ vor organisatorische, medizinische und taktisch-strategische Herausforderungen.“

Gemeinsames Ziel von DGU und Sanitätsdienst der Bundeswehr sei es deshalb, eine „taktische/strategische und medizinische Kompetenz für die Versorgung von Terroropfern wissenschaftlich fundiert, bundesweit flächendeckend herzustellen und nachhaltig weiter zu entwickeln“. Die DGU trägt mit ihrer Initiative „TraumaNetzwerk DGU®“ und den rund 600 daran teilnehmenden Traumazentren bereits seit 2006 dafür Sorge, dass schwerverletzte Menschen an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr und flächendeckend in ganz Deutschland die bestmöglichen Überlebenschancen haben. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr verfügt wiederum über medizinische Kompetenzen in besonderen Gefahrenlagen, wie beispielsweise der Rettung unter Beschuss oder der Versorgung von Schuss- und Explosionsverletzungen.

Kliniken und Krankenhäuser nun sind frei zugängliche Institutionen – jederzeit für jeden erreichbar. Grundsätzlich gibt es keinen relevanten Schutz vor Angriffen von außen oder innen. „Krankenhäuser müssen Konzepte entwickeln, wie sie ihre eigene Sicherheit verbessern können“, fordert Oberstarzt Professor Dr. Benedikt Friemert, Leiter der DGU-Arbeitsgruppe „Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie“. Dabei sei die Gefahren- und Sicherheitsanalyse rund um eine medizinische Einrichtung der erste Schritt und ein wichtiger Teil der folgenden Sicherheitsmaßnahmen. Friemert: „Zu einer solchen Analyse gehört auch die Prüfung regionaler Gefahrenpotentiale, die beispielsweise aus der Existenz einer nahen Chemieanlage oder speziellen politischen Institutionen in der Nachbarschaft erwachsen könnten.“

In Ausnahmesituationen unbedingt handlungsfähig bleiben

Ein TerrorMANV ist eine logistische und medizinische Ausnahmesituation: Szenarien wie diese sind in deutschen Kliniken unüblich. DGU-Generalsekretär Professor Dr. Dietmar Pennig gibt aber zu bedenken: „Die Bevölkerung erwartet, dass solche Szenarien vorweg bedacht werden und dass wir auch in Ausnahmesituationen absolut handlungsfähig sind. Daher muss der Ernstfall immer wieder eintrainiert werden, um professionelles Handeln zu ermöglichen.“

Aber: Eine Krankenhaus-Notfallübung koste bis zu 100.000 Euro. Pennig beklagt: „Diese Kosten können nicht von den Krankenhäusern getragen werden. Die DGU fordert daher schon seit Jahren die Bereitstellung eines staatlichen Budgets für Notfallübungen für die Kliniken. Die hohen Kosten sind einer der Gründe, warum Notfallübungen in Deutschland bisher nicht zur Routine gehören.“


Unser Symbolbild „Rettungseinsatz“ stammt aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: Ingo Kramarek, TechLine/unter Pixabay License = freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)

Kleines Beitragsbild: Symbolfoto mit Schriftzug „Terror“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: Alex S., nessaja99/unter Pixabay License = freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)


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