Berlin. Martin Jäger gilt als erfahrener Krisendiplomat, war Botschafter in Afghanistan, im Irak und in der Ukraine. Nun soll er neuer Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) werden. Dies hat das Bundeskabinett entschieden. Wann Jäger, der momentan noch Botschafter in Kiew ist, sein neues Amt genau antritt, ist noch offen. Über den Wechsel an der Spitze des deutschen Auslandsnachrichtendienstes berichtete zuerst SPIEGEL-Chefreporter Matthias Gebauer. Die Spitzenpersonalie soll Bundeskanzler Friedrich Merz persönlich entschieden haben; da der BND dem Kanzleramt direkt untersteht, ist die Auswahl der Leitung des Dienstes Chefsache.
Jägers Vorgänger Bruno Kahl hat die Position an der Spitze der Bundesoberbehörde seit 2016 inne. Nun wird der 62-Jährige auf eigenen Wunsch hin der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl in Rom. Er folgt damit auf den derzeitigen Vatikan-Botschafter Bernhard Kotsch, der jetzt nach vier Jahren als Staatssekretär ins Auswärtige Amt wechseln soll (Kotsch war von 2018 bis 2021 auch Koordinator der Nachrichtendienste des Bundes als Abteilungsleiter im Kanzleramt).
Wie SPIEGEL-Chefreporter Gebauer am Mittwoch dieser Woche (11. Juni) berichtete, soll der BND unter Jägers Leitung in den kommenden Jahren eine Neuausrichtung erfahren. Dafür könne der Geheimdienst mit deutlich mehr Geld rechnen, so Gebauer. Zudem wolle die Bundesregierung dem Dienst bei der Spionage im Ausland und bei der technischen Aufklärung „mehr Flexibilität“ einräumen.
Weiter schreibt der Autor: „Eine Neuaufstellung beim Bundesnachrichtendienst hatte sich schon kurz nach dem Regierungswechsel angedeutet. Merz holte Philipp Wolff, zuletzt einer der Vizepräsidenten des BND, als Geheimdienstkontrolleur ins Kanzleramt. Spätestens seitdem wurde gemunkelt, Merz könnte auch die Spitze des BND neu besetzen.“
In seiner gut neunjährigen Amtszeit standen Bruno Kahl und seine Behörde nicht selten im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. In Gebauers Beitrag lesen wir dazu (siehe auch hier und hier): „2021 wurde dem BND vorgeworfen, die Gefahr der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan unterschätzt zu haben. Im Jahr danach kritisierten ausländische Dienste den deutschen Dienst, weil die Bundesregierung nicht drastisch genug vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine gewarnt worden sein soll. Im selben Jahr flog ein BND-Mann auf, der russischen Geheimdiensten geheime Details aus dem Innersten des deutschen Dienstes verkauft hatte.“
Aber der Bundesnachrichtendienst unter Kahl scheute sich auch nicht vor lautem Alarm, wenn es die Lage erforderte. So warnte der BND-Präsident erst kürzlich vor Russlands Expansionsplänen über die Ukraine hinaus. In einem am 9. Juni veröffentlichten Podcast des Medienportals Table.Briefings (von Table.Media) erklärte Kahl, sein Dienst sei sich äußerst sicher und habe dafür auch nachrichtendienstliche Belege, dass die Ukraine für Russland „nur ein Schritt auf dem Weg nach Westen“ sei. „In Moskau gibt es Leute, die glauben nicht mehr, dass Artikel 5 der NATO [Anm.: die Beistandsverpflichtung] funktioniert. Und sie würden das gerne testen“, so Kahl im Podcast. Russland wolle „Amerika aus Europa rauskicken und dazu ist ihnen jedes Mittel recht“.
Verhandlungen des Westens mit Russland halte er übrigens nicht für vielversprechend, erklärte Kahl im Interview mit Table.Briefings abschließend. „Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass Wladimir Putin an seiner Denke, in seiner aggressiven Art und Weise, dieses Problem zu Ende bringen zu wollen, etwas geändert hat.“ Verhandlungen seien im Sinne Putins Diktate. „Das letzte Papier, was übergeben worden ist in Istanbul, ist der beste Beweis dafür, dass eigentlich von Russland eine Kapitulation verlangt wird und sonst nichts“, so Kahl.
Völlig gegensätzlich denkt und handelt übrigens ein Teil des linken Parteilagers der Sozialdemokraten, auch bekannt als Beratungsgremium „SPD-Friedenskreise“.
In einem in diesen Tagen veröffentlichten „Manifest“ mit dem Titel „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ fordern mehr als 100 Unterzeichner – allen voran der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans sowie Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel – einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie parallel dazu Gespräche mit Russland beziehungsweise Putin. Gefordert wird in dem Grundsatzpapier zudem ein Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Mitinitiator Stegner bezeichnete das „Manifest“ im Deutschlandfunk als „Diskussionsbeitrag“. Man dürfe die Friedenspolitik nicht den Militärexperten überlassen, die Ausgaben für Aufrüstung immer weiter steigern und dafür andere Bereiche vernachlässigen. Das wäre ein – so Stegner wörtlich – „gefundenes Fressen für die Populisten“.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist kein Zufall: Ende Juni (27. bis 29. Juni) will die SPD in Berlin unter anderem eine neue Parteispitze wählen und über den Weg zu einem neuen Parteiprogramm beraten. Dabei wird natürlich auch die Frage „Weniger Waffen und mehr Diplomatie?“ eine zentrale Rolle spielen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius und andere namhafte Sozialdemokraten positionierten sich bereits klar gegen das „Manifest“. So kritisierte Pistorius: „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden. Mit Putin kann man nur aus einer Position der Stärke verhandeln.“ Dies sei im Übrigen auch die Politik von Willy Brandt gewesen, unter dessen Regierung der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt deutlich höher war als heute. „Annäherung und Verhandlungen auf Augenhöhe – aber keine Unterwerfung“, so der Minister.
Dass die Urheber des „Manifests“ für ihren Vorstoß ausgerechnet aus den Reihen der AfD Beifall bekommen, kann der aktuellen Parteispitze um Lars Klingbeil und Saskia Esken überhaupt nicht gefallen. So sieht der AfD-Außenpolitiker Markus Frohnmaier in dem Kreml-Papier von Stegner und Co. einen Schritt von Teilen der SPD auf den außenpolitischen Kurs seiner Fraktion zu. In einer Presseerklärung Frohnmaiers heißt es weiter: „Die SPD ist nun dort angekommen, wo die AfD-Fraktion seit Beginn des Ukrainekrieges steht: Wir brauchen eine Absage an den brandgefährlichen Konfrontationskurs mit Russland und endlich ernsthafte diplomatische Friedensbemühungen. Deutschland darf sich nicht länger in einem Krieg verstricken, der nicht der unsere ist und der strategisch nicht zu gewinnen ist.“
Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth (von 1998 bis 2025 Mitglied des Parlaments und dabei lange Zeit – vom 15. Dezember 2021 bis zum 25. März 2025 – Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages) äußerte sich über das „Manifest“ wie folgt: „Dieses ,Manifest‘ ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung.“ Man darf auf den Berliner Parteitag der Sozialdemokratie gespannt sein …
Ein facettenreiches Porträt über den designierten BND-Präsidenten Martin Jäger präsentierte am heutigen Mittwoch (18. Juni) das ARD-Hauptstadtstudio in einem Beitrag für die Tagesschau. Daraus einige Auszüge …
Der am 9. September 1964 in Ulm geborene Jäger studierte nach Erlangen der Hochschulreife in den Jahren 1989 bis 1994 Völkerkunde und Politische Wissenschaften in München. Es folgte bis 1996 der Vorbereitungsdienst im Auswärtigen Amt in Bonn. Danach wurde er Referent im Auswärtigen Amt, anschließend Referent im Bundeskanzleramt sowie 2002 (bis 2004) Referent an der Botschaft in Prag.
Von 2004 bis 2005 war Jäger stellvertretender Referatsleiter im Bundeskanzleramt unter Frank-Walter Steinmeier. Für ihn arbeitete der Diplomat zudem bis 2008 als Leiter „Pressereferat“ und Sprecher, als Steinmeier dann Außenminister war.
2008 kehrte Martin Jäger der Politik vorübergehend den Rücken und übernahm den Posten als Leiter des Bereichs „Außenbeziehungen“ der Daimler AG.
Im April 2013 folgte ein erneuter markanter beruflicher Wechsel, bei dem Jäger seine erste Station als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Ausland antrat – in Afghanistan. Nach einem Jahr als Botschafter in Kabul kehrte er nach Berlin zurück und wurde unter anderem Sprecher des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Hier lernte er zwischen 2014 und 2016 ganz andere Krisen kennen – etwa die des zu jener Zeit dramatisch verschuldeten EU-Mitglieds Griechenlands.
2016 übernahm Jäger dann im Innenministerium seiner Heimat Baden-Württemberg die Aufgabe als Staatssekretär. Mit Landespolitik – unter anderem dem Dauerthema „Migration“ – befasste er sich in Stuttgart bis 2018. In jenem Jahr wechselte Jäger als Staatssekretär in das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wo er bis 2021 tätig war.
Im Anschluss daran – im September 2021 – folgte der zweite Botschafterposten, diesmal im Irak. Fast zwei Jahre später – im Juli 2023 – wurde Martin Jäger schließlich Botschafter Deutschlands in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
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Unser Bildmaterial zeigt:
1. Bruno Kahl ist seit Juli 2016 Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND).
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag; grafische Bearbeitung: mediakompakt)
2. Nachfolger von Kahl auf dem Präsidentensessel im BND soll der deutsche Spitzendiplomat Martin Jäger werden.
(Foto: Deutsche Botschaft Kiew; grafische Bearbeitung: mediakompakt)
Kleines Beitragsbild: Hauptgebäude des deutschen Auslandsgeheimdienstes an der Chausseestraße in Berlin. Die BND-Zentrale bietet – so die offiziellen Angaben der Behörde – auf rund 260.000 Quadratmetern Platz für etwa 4000 Beschäftigte.
(Bild: BND)