Berlin/Karlsruhe. Ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) steht im dringenden Verdacht, für den russischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat den Mann am gestrigen Mittwoch (21. Dezember) aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes vom 16. Dezember in Berlin von Beamten des mit den Ermittlungen beauftragten Bundeskriminalamtes festnehmen lassen. Zudem wurden die Wohnung und der Arbeitsplatz des Beschuldigten sowie einer weiteren Person durchsucht.
Am Donnerstag wurde der Beschuldigte, der des Landesverrats dringend verdächtig ist (§ 94 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB), dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt. Der BND-Mitarbeiter sitzt nun in Untersuchungshaft.
In dem Haftbefehl wird dem Mann im Wesentlichen folgender Sachverhalt zur Last gelegt: „Carsten L. ist beim Bundesnachrichtendienst beschäftigt. Im Jahr 2022 übermittelte er Informationen, die er im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hatte, an einen russischen Nachrichtendienst. Bei dem Inhalt handelt es sich um ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 93 StGB.“ Diese Details sind einer Pressemitteilung zu entnehmen, die der Generalbundesanwalt am heutigen Donnerstag (22. Dezember) veröffentlicht hat.
Nach Informationen der Tageszeitung DIE WELT beziehungsweise des gleichnamigen Nachrichtensenders könnten noch weitere BND-Mitarbeiter für den russischen Geheimdienst gearbeitet haben. Weitere Festnahmen gab es jedoch bisher nicht.
Wie DIE WELT zudem berichtete, habe BND-Präsident Bruno Kahl erklärt, seine Behörde arbeite „eng und vertrauensvoll“ mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um den Fall „gründlich aufzuklären“. Nachdem der BND im Rahmen seiner nachrichtendienstlichen Arbeit von einem möglichen Verratsfall in den eigenen Reihen Kenntnis erlangt hatte, so Kahl weiter, habe der BND sofort „umfangreiche interne Ermittlungen“ eingeleitet. Als diese den Verdacht erhärtet hätten, habe man „umgehend der Generalbundesanwalt eingeschaltet“.
Mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen werde sich der BND zu weiteren Einzelheiten in diesem Fall bis auf Weiteres nicht öffentlich äußern, erklärte Kahl abschließend. Zurückhaltung und Diskretion seien in diesem „besonderen Fall“ äußerst wichtig. Wörtlich sagte der Präsident des deutschen Nachrichtendienstes, der für die zivile und militärische Auslandsaufklärung zuständig ist: „Mit Russland haben wir es auf der Gegenseite mit einem Akteur zu tun, mit dessen Skrupellosigkeit und Gewaltbereitschaft wir zu rechnen haben. Jedes Detail dieses Vorgangs, das an die Öffentlichkeit gelangt, bedeutet einen Vorteil dieses Gegners in seiner Absicht, Deutschland zu schaden. Der Erfolg der Ermittlungen hängt davon ab, dass möglichst wenig öffentlich wird, bis der Generalbundesanwalt seine Ermittlungen abgeschlossen hat.“
Bei dem mutmaßlichen russischen Doppelagenten soll es sich nach einem Medienbericht um einen leitenden Mitarbeiter der streng geheimen technischen Auslandsaufklärung des BND handeln. In dieser Funktion habe der Beschuldigte auch Zugang zu Informationen westlicher Partnerdienste gehabt. Dies berichtete jetzt das Portal FOCUS Online unter Berufung auf Informationen aus Berliner Sicherheitskreisen.
Dem Bericht zufolge ist Carsten L. ein Beamter des Höheren Dienstes mit Zugang zu sensiblen Informationen. Als Spezialist für Auswertung sei er offensichtlich für die Analyse sämtlicher Vorgänge und Informationen zuständig gewesen, die der BND durch weltweite Abhöraktionen gewonnen hat. Zu dem Material, das L. dabei zur Verfügung stand, hätten auch die bei Lauschoperationen beschafften Erkenntnisse befreundeter Partnerdienste gehört, hieß es. Im BND bestehe nun die große Sorge, dass Carsten L. auch Material von befreundeten Geheimdiensten an die Russen weitergegeben haben könnte, berichtete FOCUS online weiter.
Wolfgang Kubicki, Stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender, sagte dazu dem Düsseldorfer Handelsblatt: „Wenn wirklich Informationen aus dem Bundesnachrichtendienst nach Russland gelangen konnten, wird das die Zusammenarbeit mit unseren Partnern enorm erschweren.“ Kubicki drängte darauf, die Suche nach möglichen weiteren russischen Agenten unbedingt zu intensivieren.
Mittlerweile haben auch überregionale deutsche Tageszeitungen das Thema „Landesverrat“ in ihrer Berichterstattung und in ihrer Kommentierung aufgegriffen.
So schreibt die Allgemeine Zeitung Mainz: „Lappalien wird der aufgedeckte russische Spion im Bundesnachrichtendienst gewiss nicht verraten haben. Der Vorwurf lautet schließlich auf Landesverrat – der Mann soll ein Staatsgeheimnis preisgegeben haben, was laut der Formulierung im Strafgesetzbuch bedeutet, dass dadurch ,ein schwerer Nachteil‘ für die Sicherheit der Bundesrepublik entstanden sein könnte. Und dies in Zeiten des Krieges.“
Es sei nicht überraschend, dass der Kreml den deutschen Auslandsnachrichtendienst unterwandert habe. Kriegstreiber Putin sei bekanntlich selbst ein Mann des einstigen sowjetischen Geheimdienstes KGB, viele Vertraute von damals säßen heute in Russland in verantwortungsvollen Positionen, so die Allgemeine Zeitung Mainz weiter. „Putin ist die ganze Klaviatur des dunklen Gewerbes vertraut, und er ist bekanntermaßen ein Zocker, der seine Karten genau kennt und sie ausspielt, wie er beliebt. Warum also sollte ausgerechnet der Kreml-Herrscher auf klassische Spionageeinsätze verzichten?“
Das Blatt kommt zu dem Schluss: „Für Carsten L. ist nun zwar erst einmal Schluss, aber geradezu unerträglich viele Fragen sind noch offen: Hat der Geheimdienst selbst den Spion aufgedeckt – oder waren hierzu, wie schon früher in vergleichbaren Fällen, Informationen aus dem Ausland nötig? Handelt es sich um einen Einzelfall? Dient das Schweigen der Behörden vor allem dem Schutz der Ermittlungen? Oder deutet es darauf hin, dass es noch weitere Spione und weitere Enthüllungen geben könnte? Das Problem an Spionage ist nicht allein der Abfluss vertraulicher Informationen. Jeder Fall trübt auch das Vertrauen innerhalb des geheimdienstlichen Apparats. Und das Vertrauen des Volkes in seine Aufklärer, die sich gerade in der Demokratie auch immer wieder für ihr Tun rechtfertigen müssen. Antworten auf all die offenen Fragen sollte es also alsbald geben.“
Die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung befasste sich ebenfalls mit dem „BND-Spion“ in Berlin. Die Zeitung meint: „Nachrichtendienste vieler Länder spionieren in Deutschland Geheimnisse aus. Darunter sind Länder, die Deutschland eher feindlich gesinnt sind. Aber auch befreundete Staaten spionieren – das ist spätestens seit der NSA-Affäre vor wenigen Jahren sehr klar. Doch der Kreml will nicht nur Staatsgeheimnisse ausspähen. Er schreckt selbst vor politischen Morden in Deutschland nicht zurück und will unser demokratisches System erschüttern. Dazu nutzt er auch Cyber-Angriffe und Desinformation.“
Der Kommentar der Mitteldeutschen Zeitung endet mit dem Rat: „Die Verteidigung gegen die russischen Attacken ist die Sache der ganzen Gesellschaft. Das beste Abwehrmittel ist es, wachsam zu sein und den russischen Lügen nicht auf den Leim zu gehen.“
Der mutmaßliche russische Doppelagent Carsten L. wurde laut einem Gemeinschaftsbericht von NDR und WDR, der sich auf Informationen aus Sicherheitskreisen stützt, „möglicherweise erpresst“. Weder der Bundesnachrichtendienst noch der Generalbundesanwalt wollten sich allerdings jetzt dazu äußern und verwiesen auf die bisherigen Pressemitteilungen vom Donnerstag vergangener Woche (22. Dezember).
In einem Onlinebeitrag der Tagesschau vom heutigen Mittwoch (28. Dezember) heißt es außerdem: „Durch den Hinweis aus dem Ausland kam die Sicherheitsabteilung schließlich auf Carsten L., einen Beamten im Höheren Dienst, der in der Gruppenleitung der Technischen Aufklärung/TA tätig [war]. Jenem Bereich des BND, der für die Überwachungsmaßnahmen von weltweiter Telefon-, Satelliten- und Internetkommunikation zuständig ist.“
Laut Tagesschau-Beitrag handelt es sich hier um einen „der sensibelsten Posten im Auslandsnachrichtendienst“. Hier würden die Erkenntnisse aus abgehörten Telefonaten, Funksprüchen oder abgefangenen E-Mails zusammenlaufen – etwa aus Kriegs- und Krisengebieten wie der Ukraine oder Syrien, oder zum iranischen Atomprogramm. Auch gehe es hier regelmäßig um die Erkenntnisse von Partnerdiensten, allen voran denen des US-Abhördienstes NSA (National Security Agency) oder des britischen GCHQ (Government Communications Headquarters).
In dem Bericht wird auch erwähnt, dass Carsten L. vor einigen Jahren mit dem militärischen Dienstgrad „Oberst“ von der Bundeswehr zum Bundesnachrichtendienst gewechselt ist. Er sei sowohl in der alten BND-Zentrale in Pullach bei München als auch in Berlin, dem neuen Dienstsitz des Geheimdienstes, tätig.
Zum Schluss weist der Tagesschau-Beitrag darauf hin, dass BND-Informationen mit großer Sicherheit tatsächlich an einen russischen Geheimdienst abgeflossen seien. Dies hätten Ermittlerkreise bestätigt. Es gehe dabei auch um Informationen, die Aufschluss darüber lieferten, wie der BND bei seiner Russland-Aufklärung vorgehe.
Am 26. Januar 2023 berichteten deutsche Medien, dass nach der Festnahme eines hochrangigen BND-Mitarbeiters wegen Spionage für Russland nun auch ein mutmaßlicher Mittäter in Untersuchungshaft sitzt.
Der Mann wird nach Angaben des Generalbundesanwalts verdächtigt, die von dem BND-Mitarbeiter ausspionierten geheimen Informationen nach Russland gebracht und dort einem Geheimdienst übergeben zu haben. Der am Sonntag (22. Januar) bei seiner Einreise aus den USA am Flughafen München Festgenommene ist demnach deutscher Staatsangehöriger und kein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes.
Der Screenshot zeigt die beiden WELT-Moderatoren Nele Würzbach und Alexander Siemon am 22. Dezember 2022. In ihrer Nachrichtensendung befassten sie sich unter anderem mit dem Thema „Spionageverdacht beim BND“.
(Bildschirmfoto: Quelle WELT-Nachrichtensender; Bildbearbeitung: mediakompakt)
Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „BND“.
(Bild: nr; grafische Bearbeitung: mediakompakt)
Ein Maulwurf beim BND. Gar nicht schön. Zum Glück wurde er enttarnt. Bemerkenswert finde ich die Art der Berichterstattung in den Medien. Sachlich, keine Hysterie, kaum Spekulationen über ein Netzwerk, kein Generalverdacht gegen den ganzen Dienst. So stelle ich mir seriöse Berichterstattung vor. Auch die Politiker halten sich zurück. Bleibt nur zu hoffen, dass nach den nächsten Vorfällen bei Polizei und Bundeswehr auch so sachlich von den Medien berichtet und von den Politikern so zurückhaltend reagiert wird.