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Berlin/Wiesbaden/Hamburg. Eigentlich hätte auch Generalmajor Hartmut Renk wissen müssen, dass die Zeiten der „knisternden Soldatenerotik“ beim Militär vorbei sind. Sogenannte „Herrenwitze“, bei denen sich die männlichen Zuhörer früher johlend auf die Schenkel schlugen, sind lange schon passé. Aber leider gibt es immer noch Unverbesserliche, die in vermeintlichen Grauzonen gerne nochmal „einen raushauen“ und hoffen, dass die Zuhörer grinsend beide Augen zudrücken. Dies funktioniert aber nicht immer, wie auch der deutsche „Zwei-Sterner“ Renk vor Kurzem erfahren musste …

Wegen einer frauenfeindlichen Äußerung ist der beim Kommando NATO Security Assistance and Training for Ukraine (NSATU) in der Wiesbadener Clay-Kaserne stationierte Hartmut Renk von Verteidigungsminister Boris Pistorius seines Postens enthoben worden. Der Stellvertretende Befehlshaber bei NSATU soll in einer Teamsitzung gesagt haben, wenn eine Vergewaltigung unvermeidlich sei, solle man sich lieber entspannen und genießen („If rape is inevitable, relax and enjoy“). Das ist die abstoßende „knisternde Soldatenerotik“, von der bereits zu Beginn unseres Beitrags die Rede war.

Eine anwesende britische Soldatin im Offiziersrang meldete den Generalmajor umgehend. Es folgte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens durch das Bundesministerium der Verteidigung. Medienberichten zufolge ist Renk zum 1. Mai formal auf einen anderen Posten versetzt worden. Seine geplante Beförderung zum Generalleutnant als Chef des Stabes im Allied Command Transformation in Norfolk (US-Bundesstaat Virginia) soll inzwischen gestoppt worden sein, sogar von einer Versetzung im Herbst in den einstweilige Ruhestand nach Paragraf 50 Soldatengesetz ist die Rede.

Regelung „Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten“

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Manfred Schiller (Wahlkreis Weiden, Bayern), erkundigte sich bereits zweimal bei der zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Ampel-Regierung nach dem Ausmaß sexualisierter Gewalt bei der Bundeswehr. Beide Male antwortete die damalige Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung Siemtje Möller.

Bereits am 13. Februar 2025 hatte Möller mitgeteilt, dass weibliche Soldaten (volljährig) in den Jahren 2020 bis einschließlich 2024 am stärksten von sexualisierter Gewalt in der Bundeswehr betroffen gewesen seien.

Sie hatte in diesem Zusammenhang auch auf die im September 2023 vom Verteidigungsministerium herausgegebene Regelung „Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten in der Bundeswehr“ verwiesen. Diese Vorschrift AR A-2610/2 regele umfassend für alle Angehörigen des Geschäftsbereichs des Ministeriums den Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten, insbesondere soweit sich daraus Auswirkungen auf Dienstbetrieb, Auftragserfüllung, das innere Gefüge oder das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ergeben würden, so Möller. Die Vorschrift und begleitende Maßnahmen zu deren Veröffentlichung hätten zu einer weiteren Sensibilisierung der Truppe beigetragen.

In vier Jahren insgesamt 1319 Verdachtsfälle auf Straftaten

In ihrer zweiten Antwort auf eine weitere Schriftliche Frage Schillers, nannte die Staatssekretärin detaillierte Zahlen zu den Jahren 2020 einschließlich 2024 (Anm.: siehe dazu auch unsere Infografik).

Insgesamt wurden in dem genannten Zeitraum 1319 Verdachtsfälle auf „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und sonstige Formen sexueller Belästigung“ gemeldet. Darunter waren 1176 Verdachtsfälle gegen weibliche Soldaten (darunter 45 Minderjährige), 139 Verdachtsfälle gegen männliche Soldaten (darunter sechs Minderjährige) sowie vier Verdachtsfälle gegen Unbekannt beziehungsweise anonym gemeldet.

Zahl der gemeldeten verbalen sexuellen Belästigungen nimmt stetig zu

Im Jahr 2024 leisteten insgesamt 24.675 Soldatinnen Dienst in den Streitkräften. Damit sind Frauen mit 13,62 Prozent (einschließlich der Sanität) noch immer stark unterrepräsentiert. Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, schreibt dazu in ihrem „Jahresbericht 2024“: „Die Veränderungen gegenüber den Vorjahren sind so minimal, dass sich die Zahlen dem geforderten Anteil von 20 Prozent Frauen in der Bundeswehr […] unverändert nur sehr langsam annähern. Insgesamt gibt es weiterhin viel zu wenige Bundeswehrsoldatinnen – vor allem in Führungspositionen.“

Zum dem Themenkomplex „Sexualisiertes Fehlverhalten“ und „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ erinnert Högl in ihrem aktuellen Jahresbericht daran, dass „geschlechtsbasierte Stereotypen, unangebrachte oder gar sexistische Sprüche oder sexuelle Übergriffe – auch und gerade in einem anhaltend männerdominierten Umfeld –ein Tabu bleiben müssen“. Dass weiterhin Anstrengungen erforderlich seien, zeigten Eingaben und Meldungen von weiblichen Bundeswehrangehörigen, die sexistisches Verhalten beanstandeten.

An anderer Stelle ihres Berichts kommt die Wehrbeauftragte zu folgendem Schluss: „Insgesamt fällt auf, dass die Zahl der gemeldeten verbalen sexuellen Belästigungen stetig zunimmt – oder aber, dass nun auch verbales Fehlverhalten gemeldet wird. Das ist nur konsequent.“ Denn, so Högl weiter: „Jeder unangemessene Spruch und jeder sexuell aufgeladene Witz kann zur Folge haben, dass sich eine Soldatin oder ein Soldat diskriminiert oder entwürdigt fühlt, das Vertrauen in die Einheit oder die Vorgesetzten verliert und die Kameradschaft leidet. Sexistische Sprüche sind deshalb kein Kavaliersdelikt, sondern gefährden die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr unmittelbar.“

Die Wehrbeauftragte fordert deshalb zum wiederholten Male: „Vorgesetzte Dienststellen müssen genau hinsehen, wenn unangemessener Sprachgebrauch oder sexistische Gesprächsthemen als ,Männergespräche‘ beschönigt oder heruntergespielt werden. Es ist die Verantwortung der Disziplinarvorgesetzten unmissverständlich für ein gewalt- und diskriminierungsfreies Klima zu sorgen.“

Redaktioneller NACHBRENNER

Für Negativschlagzeilen sorgte Anfang Mai die Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Wie zunächst die Hamburger Morgenpost berichtete, hätten sich Soldatinnen der renommierten US-Militärakademie West Point, die zu Gast an der HSU gewesen waren, nach der Rückkehr in die Vereinigten Staaten über einen Vorfall und die Zustände an der Universität beschwert haben. Die Gäste waren zusammen mit deutschen Bundeswehr-Studenten auf dem Campus der Uni untergebracht.

Wie gemeldet, soll ein deutscher Offizier im Rang eines Leutnants „blankgezogen“ haben, um seinen Kameraden eine Narbe im Intimbereich zu zeigen – in dem Moment betrat eine US-Kadettin den Raum.

Daneben beanstandeten die Amerikanerinnen dem Bericht der Hamburger Morgenpost zufolge wohl auch, dass in einer Gemeinschaftsküche Pornofilme gezeigt worden seien und am Schwarzen Brett unter anderem Magnete in Penis-Form zu sehen waren. Auch sollen am Schwarzen Brett anstößige Zeichnungen angebracht worden sein.

Eine Sprecherin der Bundeswehr bestätigte inzwischen auf Medienanfragen, dass es „aktuell interne Untersuchungen zu Vorkommnissen im Studierendenbereich“ der Bundeswehr-Universität gebe. Es werde dem Verdacht nachgegangen, „ob es Fehlverhalten einzelner Studierender, auch Dienstpflichtverletzungen oder die Verletzung von Rechten Dritter gegeben haben könnte“. Fehlverhalten von Studenten werde nicht toleriert, versicherte die Sprecherin.

Eine offizielle Erklärung der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg zu dem Fall ist bis heute nicht erfolgt, auch findet sich im Pressebereich der Einrichtung keine Erwähnung der Vorwürfe aus den USA, die – sollten sie zutreffend sein – wahrlich kein gutes Bild auf die HSU werfen.


Hintergrund                           

Im deutschsprachigen Raum hat sich die Formulierung „sexualisierte Gewalt“ als Oberbegriff für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung etabliert. In Abgrenzung zu der enger gefassten Bezeichnung sexuelle Gewalt, drückt sexualisierte Gewalt jegliche unerwünschte sexuelle Handlung und Grenzüberschreitungen, bei denen eine Person in ihrer sexuellen Selbstbestimmung und Unversehrtheit beeinträchtigt wird, aus. Diese Form von Gewalt kann sich in verbalen, nonverbalen oder physischen Formen manifestieren und zielt darauf ab, die persönliche Integrität und Autonomie im sexuellen Bereich zu verletzen oder zu missachten. Der Terminus unterstreicht die missbräuchliche Ausnutzung von Macht, die verschiedene Ausdrucksformen im Zusammenhang mit Sexualität annehmen kann.

Laut Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sind rund 35 Prozent aller Frauen in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexueller Gewalt betroffen.

Laut Familienministerium werden unter sexualisierter Gewalt alle Formen von Gewalt verstanden, die sich in sexuellen Übergriffen ausdrücken. Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ macht deutlich, dass die sexuellen Handlungen als Mittel zum Zweck, also zur Ausübung von Macht und Gewalt, vorgenommen werden. Sexualisierte Gewalt findet deshalb oft in Abhängigkeitsverhältnissen statt.

Sexualisierte Gewalt gegen erwachsene Frauen wird nicht nur in Form von Vergewaltigungen ausgeübt. Sie äußert sich auch durch sexuelle Belästigung, beispielsweise in Form von:
sexuellen Anspielungen, obszönen Worten oder Gesten;
aufdringlichen und unangenehmen Blicke;
Briefen oder elektronischen Nachrichten mit sexuellem Inhalt;
dem unerwünschten Zeigen oder Zusenden von Bildern oder Videos mit pornografischem Inhalt;
sexualisierten Berührungen.


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Zu unserem Bildmaterial:
1. Ein übergriffiger „Witz“ wurde zum Karrierekiller – Generalmajor Hartmut Renk (das Foto zeigt ihn noch als Brigadegeneral im Jahr 2018).
(Foto: U.S. Army Europe)

2. Luftbild vom Campus der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. An der HSU soll es Medienberichten zufolge 2024 zu verstörenden Vorfällen gekommen sein, die später von weiblichen US-Kadetten, die Gäste der Uni waren, gemeldet wurden. Im Zentrum ihrer Beschwerden: sexualisierte Gewalt.
(Foto: Reinhard Scheiblich/HSU)

3. Das Hintergrundfoto unserer Infografik „Sexualisierte Gewalt in der Bundeswehr in den Jahren 2020 bis einschließlich 2024“ entstand am 20. Juli 2021 beim Feierlichen Rekruten-Gelöbnis vor dem Bendlerblock in Berlin, dem zweiten Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung. Der 20. Juli gilt als der Jahrestag des Deutschen Widerstands.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 05.25)

Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Nein heißt Nein“ – der Deutsche Bundestag stimmte am 7. Juli 2016 mehrheitlich einem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung in erheblich geänderter Fassung nach dritter Lesung zu. Bei dem Gesetz ging es um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts, nach der nun jede sexuelle Handlung „gegen den erkennbaren Willen“ eines Dritten unter Strafe fällt. Damit wurde der Grundsatz „Nein heißt Nein“ in das Strafgesetzbuch aufgenommen.
(Foto: Alexa/unter Pixabay License = freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich; grafische Bearbeitung: mediakompakt)


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