Berlin/Halle/Meckenheim/Erding/Mainz. Die in Halle beheimatete „Cyberagentur will Bundeswehr zukunftssicher machen“ – unter dieser Schlagzeile berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) am 26. August dieses Jahres über ein neues Innovationsformat der Agentur in enger Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Bei dem neuen Wettbewerb handelt es sich um die SPECTRA-Challenge, bei der es laut Cyberagentur darum geht, „technische Lösungen zu entwickeln, um unbemannte Systeme besser gegen elektronische Angriffe schützen können“. Die Ausschreibung richtet sich an Forschungseinrichtungen, Start-ups, Unternehmen und Behörden.
Die Kriege der Zukunft werden überwiegend digital stattfinden – auch auf dem Schlachtfeld. Bei SPECTRA-Challenge arbeitet die Cyberagentur (offiziell Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH) eng mit dem Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (Sitz in Meckenheim nahe Bonn) und dem Innovationslabor System Soldat (angesiedelt beim Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe in Erding) zusammen.
Über die Ausschreibung SPECTRA-Challenge heißt es in einem Pressetext der Cyberagentur: „Die zunehmende Verbreitung unbemannter Systeme (UXS) verändert das Gefechtsfeld grundlegend – und ruft eine ebenso rasch wachsende Zahl gegnerischer Gegenmaßnahmen auf den Plan. Insbesondere elektronische Kampfführung (EloKa) hat sich dabei zu einer zentralen Bedrohung für den effektiven Einsatz eigener UXS entwickelt. Die Menge an EloKa-Maßnahmen wird durch den Ukrainekrieg immer öfter verfügbar, immer einfacher und immer dezentraler.“
(Anm.: Im zivilen Sprachgebrauch werden die unbemannten fliegenden Systeme auch mit dem Begriff „Drohne“ umschrieben, der militärische Fachbegriff lautet „Unmanned System“, auch UXS. Bei der Bezeichnung „UXS“ wird das X später durch die jeweilige Dimension „Ground“, „Aerial“ oder „Sea“ ersetzt. So ist beispielsweise bei Drohnen, die zur Kampfmittelerkundung, Kampfmittelbeseitigung oder zur Aufklärung im Ortsbereich eingesetzt werden, von UGS, also Ground Systems die Rede.)
Weiter schreibt die Cyberagentur: „Gezielte Störmaßnahmen wie Jamming, Spoofing oder die elektronische Übernahme können Navigation, Steuerung, Sensorik und Datenübertragung erheblich beeinträchtigen – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit und den Schutz eigener Kräfte.“ Trotz dieser Bedrohungslage mangele es jedoch bislang an skalierbaren, taktisch einsetzbaren und technologisch fortschrittlichen Lösungen, die feindliche elektronische Gegenmaßnahmen frühzeitig erkennen, lokalisieren und unwirksam machen können, so die Agentur. Der Schutz eigener unbemannter Systeme vor gegnerischen elektronischen Angriffen erfolge bislang vor allem reaktiv – etwa durch Frequenzwechsel oder indem unterschiedliche Sender und Empfänger in neuen Frequenzbereichen genutzt würden.
Die Quintessenz dieser Entwicklung: „Es besteht akuter Bedarf, neue Lösungen zu entwickeln, die es ermöglichen, feindliche EloKa-Aktivitäten frühzeitig zu erkennen, gezielt zu analysieren und wirksam zu bekämpfen – mit dem Ziel, die Einsatzfähigkeit eigener unbemannter Systeme dauerhaft zu sichern.“ Und, so die Agentur weiter: „Die Challenge sucht neuartige Lösungen zur Aufklärung und Bekämpfung feindlicher elektronischer Gegenmaßnahmen, die gezielt gegen unbemannte Systeme wirken. Gesucht werden disruptive Ansätze, die ,Jamming, Spoofing & Co‘ frühzeitig erkennen, präzise lokalisieren, intelligent analysieren und wirksam neutralisieren – sei es durch Schutz, Täuschung oder Wirkung im elektromagnetischen Spektrum.“
Ziel sei es, so schließt der Pressetext, „die Einsatzfähigkeit eigener UXS-Plattformen auch unter aktiver elektronischer Bedrohung zu erhalten und zugleich erstmals aktive, taktisch anschlussfähige Gegenmaßnahmen gegen feindliche EloKa zu schaffen“.
Mit der SPECTRA-Challenge erweitert die Cyberagentur ihr Portfolio um ein praxisnahes Innovationsformat, das gezielt auf die Schnittstelle zwischen ziviler Forschung und militärischer Anwendung ausgerichtet ist.
Bei der Aufgabenverteilung zwischen den Partnern übernimmt Halle die strategische Forschungsförderung. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr in Meckenheim bringt Erfahrungen aus der Start-up-Szene ein und das Innovationslabor System Soldat in Erding ist verantwortlich für die wissenschaftlich fundierte Erprobung unter realitätsnahen Bedingungen.
Die Ausschreibung ist laut Cyberagentur offen für Beiträge in unterschiedlichen Reifegraden: von der Konzeptskizze bis zum einsatznahen Prototyp. Die Challenge ist dabei in zwei parallele Formate gegliedert, ein „Praxis-Track“ für Teilnehmer, die innerhalb weniger Monate einsatznahe Prototypen entwickeln und demonstrieren können. Und ein sogenannter „Moonshot-Track“: Dabei geht es laut der Agentur um visionäre Konzepte, die neue Denkansätze verfolgen und bestehende technische Paradigmen hinterfragen.
Neue Wege in der Zusammenarbeit mit „Externen“ geht auch das Koblenzer Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in enger Zusammenarbeit mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz. Die Wirtschaftsministerin des Bundeslandes, Daniela Schmitt, will mit einem landesweiten Forum die Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft und Bundeswehr zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) in ihrem Verantwortungsbereich vorantreiben. Zur Auftaktveranstaltung im „Eltzer Hof“ in Mainz am 10. Juni dieses Jahres kamen rund 200 Gäste aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Politik und Streitkräften.
An der Mainzer Veranstaltung beteiligten sich auch gut 170 Firmen – darunter Daimler Truck aus Wörth, der Rüstungskonzern General Dynamics mit einem Standort in Kaiserslautern und andere in der Branche bereits etablierte Namen. Es waren auch Unternehmen dabei, die erst über einen Einstieg nachdenken wollen. Hinzu kamen Wissenschaftler unter anderem vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE (beide Einrichtungen in Kaiserslautern).
Wirtschaftsministerin Schmitt sagte zur Eröffnung im „Eltzer Hof“: „Die geopolitische Lage, die sicherheitspolitische Zeitenwende, in der wir uns befinden, erfordert einen entschlossenen Hochlauf der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.“ Der Standort Rheinland-Pfalz wolle und könne dazu beitragen, der Mittelstand verfüge über Know-how und entsprechende Kapazitäten. Sie verwies unter anderem auf Maschinen- und Anlagenbauer oder Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen, die in der Robotik oder Sensorik unterwegs seien.
Annette Lehnigk-Emden, die Präsidentin des BAAINBw, erklärte in ihrer Keynote: „Wir haben vor allem einen großen Bedarf an KI und Drohnen.“ In dem Bereich böten sich beispielsweise auch für Unternehmen mit relativ wenig Produktionskapazitäten gute Möglichkeiten. Für die langfristige Sicherung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und eine nachhaltige Beschaffung für die Bundeswehr brauche es eine sehr leistungsfähige und innovative Industrie sowie eine aufgeschlossene Forschungslandschaft. Entsprechend wichtig sei ein Austausch mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wie jetzt in Rheinland-Pfalz. Ein solcher Austausch habe bisher noch in keinem anderen Bundesland stattgefunden, erinnerte die Präsidentin.
Weiter sagte Lehnigk-Emden: „Die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes muss langfristig und resilient gesichert werden. Für die Beschaffung der dazu benötigten Ausrüstung der Bundeswehr zur Erfüllung ihres Auftrages im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung bedarf es der notwendigen finanziellen Mittel, dem entsprechenden Personal, der Fokussierung auf notwendige und realistische Forderungen in den einzelnen Projekten, einer leistungsfähigen und innovativen Industrie sowie einer aufgeschlossenen Forschungslandschaft an den Universitäten und Instituten.“
Cyberagentur: Die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH (kurz Cyberagentur) in Halle wurde im Jahr 2020 durch die Bundesregierung mit dem Ziel gegründet, einen im Bereich der Cybersicherheit strategiebezogenen und ressortübergreifenden Blick einzunehmen. Alleinige Gesellschafterin der Agentur ist die Bundesrepublik Deutschland – gemeinsam vertreten durch das Bundesministerium der Verteidigung und durch das Bundesministerium des Innern.
In einer Eigendarstellung heißt es: „Die Cyberagentur versteht sich als treibende Kraft einer offenen Innovations- und Wagniskultur und für ein lebendiges Ökosystem zur Förderung von Technologien der Cybersicherheit. Das Vorantreiben von Forschung sowie bahnbrechender Innovationen im Bereich der Cybersicherheit und diesbezüglicher Schlüsseltechnologien im Feld der inneren und äußeren Sicherheit sind Auftrag der Agentur. Damit leistet sie einen Beitrag zur technologischen Souveränität Deutschlands und seiner Partner im Cyber- und Informationsraum.“
Cyber Innovation Hub der Bundeswehr: Der im März 2017 gegründete Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (kurz CIHBw) ist der „Change Agent“ unserer Streitkräfte. Mit einem Team aus Männern und Frauen – Bundeswehrangehörige, Reservisten und Zivilbedienstete – will die Einrichtung „Brücken schlagen zwischen der Bundeswehr und der Welt der Start-ups“. Die in Meckenheim ansässige CIH-Mannschaft definiert sich selber so: „Als Innovation Hub fordern wir den ,Status quo‘ heraus und verändern tagtäglich die Bundeswehr. Gemeinsam mit dem Start-up ,Ökosystem‘ und Innovatoren aus der Truppe lösen wir aktuelle militärische Herausforderungen. Damit beschleunigen wir den Wandel in der Bundeswehr – hin zu einer modernen Innovationskultur.“
Die strategische Steuerung des Cyber Innovation Hub erfolgt durch das Bundesministerium der Verteidigung, dem die Einrichtung direkt untersteht. Im Ministerium ist die Abteilung „CIT“ („Cyber- und Informationstechnik“) für die fachliche Führung zuständig. Formal-juristisch ist der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr ein Teil der BWI GmbH. Die BWI ist das IT-Systemhaus der Bundeswehr und zugleich der IT-Dienstleister des Bundes.
Innovationslabor System Soldat: Das Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) in Erding verfolgt mit dem Innovationslabor System Soldat einen neuartigen Ansatz für eine moderne Forschungs- und Entwicklungseinrichtung im Organisationsbereich „Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung“. Dieser Ansatz sieht eine direkte Zusammenarbeit mit der nationalen Industrie, mit Start-ups, Forschenden sowie Angehörigen der Streitkräfte als Anwender neuer Technologien vor.
Ziel ist es, die Bundeswehr rechtzeitig mit den nötigen Fähigkeiten und Geräten auszustatten, um neuen Gefahren durch kurze Innovationszyklen zu begegnen und schneller von neuen Technologien und Fortschritten der Digitalisierung der Gesellschaft zu profitieren. Gleichzeitig soll die Kompetenz der Bundeswehr im Umgang mit Hochtechnologie gestärkt werden.
Die Innovationsvorhaben sind eng verknüpft mit langjährigen Forschungs- und Technologievorhaben im bereits erwähnten Organisationsbereich. So können neben der hohen fachlichen Expertise und der Nutzung von vielfältigen Test- und Prüfeinrichtungen auch die Wege zur nachhaltigen Verstetigung der Vorhaben parallel mit verfolgt werden.
Zu unserem Bildmaterial:
1. Drohnen werden künftig auch im urbanen Kampfgeschehen eine mitentscheidende Rolle spielen.
(Bild: nr)
2. Handelsübliche Drohnen mit improvisierten Sprengsätzen kommen im Krieg in der Ukraine regelmäßig zum Einsatz. Auch in Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung sind solche Systeme zu erwarten.
(Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: KI-generierte Darstellung „Drohnenschwarm auf dem Gefechtsfeld“.
(Bild: nr)
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