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Leipzig. Ein Reserveoffizier der Bundeswehr, der sich 2015/2016 aktiv für den Verein „Identitäre Bewegung Deutschland“ engagiert hat, ist vom 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur disziplinarrechtlichen Höchststrafe verurteilt worden. Der Oberleutnant der Reserve verliert durch das Urteil eine Übergangsbeihilfe von mehr als 23.000 Euro und darf fortan keinen militärischen Dienstgrad mehr führen. Die „Identitäre Bewegung“ sei nicht vereinbar mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, erklärte das Gericht. Verfassungswidrige Betätigung, die von innerer Überzeugung getragen sei, rechtfertige die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme. Das Urteil erging am 19. April dieses Jahres.

Der Reserveoffizier wirkte beim Aufbau einer Regionalgruppe in Bayern, bei mehreren Demonstrationen und auch in einem Werbefilm der „Identitären Bewegung“ mit. Damit habe er die für alle Soldaten der Bundeswehr geltende verfassungsrechtliche Treuepflicht (Paragraph 8 Soldatengesetz/SG „Eintreten für die demokratische Grundordnung“) verletzt, so die Leipziger Richter.

Ihrer Auffassung nach verfolgte der Verein „Identitäre Bewegung Deutschland“ bereits 2015/2016 verfassungswidrige Ziele. Wie die Anhörung der Sachverständigen während der Verhandlung ergeben hat, ist die „weltanschauliche Ausrichtung“ der „Identitären Bewegung“ seit der Vereinsgründung im Jahr 2012 im Wesentlichen konstant geblieben.

Mit seinem Urteil, das nach Maßgabe der Wehrdisziplinarordnung in nichtöffentlicher Verhandlung erging, bestätigte der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts die Entscheidung der Vorinstanz; das Truppendienstgericht Süd hatte sein Urteil am 5. April 2023 gefällt.

Verstoß gegen ein Kernelement des grundgesetzlichen Demokratieprinzips

Die in Deutschland agierende „Identitäre Bewegung“ ist nach Ansicht des 2. Wehrdienstsenats „in zweierlei Hinsicht mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar“.

In der Urteilsbegründung wird dazu ausgeführt: „[Der Verein] widerspricht zum einen dem für eine Demokratie essentiellen Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger. Nach der Ideologie der ,Identitären Bewegung‘ kommt es auf die ethnisch-kulturelle Identität einer Person an, womit sie eine gleichheitswidrige Unterscheidung in Deutsche ,erster‘ und ,zweiter Klasse‘ vornimmt. Die Angehörigen der verschiedenen Ethnien sollen jeweils in ihrem Staatsgebiet leben beziehungsweise dahin zurückkehren. Nicht ethnisch Deutsche sollen daher in ihre Heimatländer zurückwandern (,Remigration‘) und durch Druck dazu gebracht werden, wofür auch die Parole ,Reconquista‘ (Rückeroberung) verwendet wird.“

Weiter argumentierten die Richter: „Dieses Konzept des sogenannten ,Ethnopluralismus‘ wird auch von der Partei ,Die Heimat‘ (früher NPD) vertreten und führt zu einer Ausgrenzung von Ausländern, Migranten und ethnischen Minderheiten. Es verletzt den Anspruch nicht ethnisch deutscher Staatsangehöriger auf gleichberechtigte politische Teilhabe und verstößt damit gegen ein Kernelement des grundgesetzlichen Demokratieprinzips.“

Parlamentarismus und Mehrparteiensystem werden diskreditiert und abgelehnt

Die „Identitäre Bewegung“ stehe zum anderen für ein identitäres Demokratieverständnis im Sinne des Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt (siehe dazu HINTERGRUND), so die Richter in Leipzig. Parlamentarismus und Mehrparteiensystem würden diskreditiert und abgelehnt.

Auch die Forderung nach Abschaffung von Parteien und Parlament stehe in klarem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, heißt es in der Urteilsbegründung weiter. Und wörtlich: „[Diese Grundordnung] verbietet es zwar nicht, das gegenwärtige repräsentative demokratische System umzugestalten oder durch eine unmittelbare plebiszitäre Demokratie zu ersetzen. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt jedoch, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen werden soll.“

Verfassungswidrige Betätigung kostet Übergangsbeihilfe und den Dienstgrad

Das Bundesverwaltungsgericht gelangte auch zu der Überzeugung, dass der angeschuldigte Oberleutnant der Reserve die Programmatik der Identitären Bewegung kannte und sich ihr aus innerer Überzeugung angeschlossen hat.

Der frühere Soldat hatte bereits während seines Studiums mit Vertretern der „Neuen Rechten“ Kontakt, publizierte in der von Götz Kubitschek – dem Mitbegründer der „Identitären Bewegung“ – herausgegebenen Zeitschrift „Sezession“ und kannte den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Identitären Bewegung bereits aus Studienzeiten. Die Richter des 2. Wehrdienstsenats: „Er war somit ein gut informierter Insider. Da er die politischen Ziele der ,Identitären Bewegung‘ kannte und aufgrund seines Studiums der Staatswissenschaften zu bewerten verstand, war bei seinem Engagement für die ,Identitäre Bewegung‘ von einer zumindest bedingt vorsätzlichen verfassungswidrigen Betätigung auszugehen.“

Nach der Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats „rechtfertigt eine von innerer Überzeugung getragene verfassungswidrige Betätigung regelmäßig die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme“. Davon abzuweichen, „habe kein Anlass“ bestanden.

Die abschließende Gerichtsentscheidung lautet: „ Der ehemalige Oberleutnant hat konkret eine Übergangsbeihilfe in Höhe von mehr als 23.000 Euro eingebüßt und ist nicht mehr berechtigt, einen militärischen Dienstgrad zu führen.“


Hintergrund                           

Der nachfolgende Text zum Thema „Rechtsextremismus/Identitäre Bewegung“ wurde ursprünglich veröffentlicht von der in Bonn ansässigen Bundeszentrale für politische Bildung, kurz bpb. Die bpb über die „als gesichert rechtsextremistisch“ (so unter anderem der Deutsche Bundestag) eingestufte Bestrebung:

Als „Identitäre Bewegung“ bezeichnet sich eine Ende 2012 auch in Deutschland entstandene Gruppierung neu-rechter und rechtsextremer Aktivisten. Die „Identitären“ vertreten die Theorie des Ethnopluralismus, der Ethnien nicht nach biologischen Kriterien, sondern nach Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis definiert. Mit provokanten Aktionen versuchen sie, rassistische Vorurteile zu verbreiten. Das Konzept der „Identitären Bewegung“ stammt ursprünglich aus Frankreich, wo 2003 die rechtsextreme Gruppe „Bloc identitaire“ gegründet wurde.

Gruppen-Logo der „Identitären“ ist das Lambda-Symbol, ein gelber Winkel auf schwarzem Grund, der durch den Film „300“ populär wurde. Der Film erzählt die Geschichte von 300 Spartanern, die erfolgreich gegen ein Heer tausender Feinde kämpfen. In Anlehnung an diese Heldentaten verstehen sich die „Identitären“ als einsame Verteidiger „der abendländischen Kultur“, die angeblich vom Islam bedroht wird. Sie hoffen auf eine „kulturell-geistige Revolution“ und sehen sich als Gegenbewegung zum Liberalismus. Die „Identitären“ fordern, dass „Werte wie Tradition, Heimat, Familie, Kultur, Volk, Staat, Ordnung oder Schönheit wieder zu positiven, erstrebenswerten Begriffen“ werden, wie es im Manifest der „Identitären Bewegung Deutschlands“ heißt.

Tatsächlich vertreten die „Identitären“ klassische islamfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche Positionen. Diese werden popkulturell aufbereitet und aktionistisch verpackt.

Der Verfassungsschutz bezeichnete die Bewegung 2013 noch als „virtuelle Erscheinungsform des Rechtsextremismus“ mit „bislang wenig Realweltbezug“. Doch spätestens seit Ende 2015 gab es bundesweit immer wieder öffentliche Aktivitäten der Gruppe und damit der Übergang von reinen Internetaktivitäten zu Verabredungen im realen Leben. Im April 2014 stufte das Brandenburger Landesamt eine Mitgliedsgruppe der „Identitären“ offiziell als Beobachtungsobjekt ein. Danach folgten Berlin, Hessen, Baden-Württemberg, Bremen, Thüringen, Niedersachsen, Bayern und Sachsen. Es ließen sich „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen Schutzgüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ erkennen, lautete die Begründung.

Ideologischen Dünger für die Weltsicht der „Identitären“ liefert unter anderem Carl Schmitt (1888–1985) ein deutscher Jurist, der auch als politischer Philosoph rezipiert wird. Er gilt als einer der bekanntesten, wirkmächtigsten und zugleich umstrittensten deutschen Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts.

So klagte Schmitt in den 1920er-Jahren über den Charakter der liberalen Demokratie: Ihr Kennzeichen sei das Verhandeln. Parlamentarismus, Gewaltenteilung und universelle Rechte seien Erfindungen des Liberalismus, dagegen sei Demokratie an einen homogenen Volkskörper gebunden. Über „Artfremde“ schrieb Schmitt damals, sie würden strukturell „anders“ denken und müssten aus dem politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen werden.

Schmitt, den der deutsche Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller einmal als „gefährlichen Geist“ bezeichnete, stimulierte mit seinem Gedankengut vor allem „antiliberale Feuerköpfe“. Er gilt „als das Paradebeispiel eines antiliberalen, mit dem Faschismus sympathisierenden Intellektuellen, der sich mit Ehrgeiz, Opportunismus und ungehemmtem Antisemitismus dem Nationalsozialismus zur Verfügung stellte“. Der Staatsrechtler wird heute – vor allem wegen seines staatsrechtlichen Einsatzes für den Nationalsozialismus – als Gegner der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus sowie als „Prototyp des gewissenlosen Wissenschaftlers, der jeder Regierung dient, wenn es der eigenen Karriere nutzt“, weithin abgelehnt.


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Die Aufnahme zeigt einen Aufmarsch der „Identitären Österreich“ am 31. Juli 2021.
(Foto: Ivan Radic/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY 2.0 – vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Kleines Beitragsbild: Banner der „Identitären Bewegung“ auf einer AfD-Demonstration am 12. März 2016 im oberbayerischen Geretsried.
(Foto: Metropolico.org/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 2.0 – vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)


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