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Berlin. Die Bundeswehr und das Bundesministerium der Verteidigung kommen einfach nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. Zuletzt sorgte der Moorbrand bei Meppen, der auf dem Testgelände der Wehrtechnischen Dienststelle 91 durch eine Raketenerprobung mit dem Kampfhubschrauber Tiger ausgelöst wurde, für eine wahre Flut unerfreulicher Presseberichte. Jetzt gerät plötzlich die Abteilung „Cyber- und Informationstechnik“ (CIT) des Ministeriums unter Druck. Wie Matthias Gebauer in seinem am heutigen Sonntag (23. September) erschienenen Beitrag für SPIEGEL ONLINE schreibt, ist der Bundesrechnungshof in diesem Bereich offenbar auf die „rechtswidrige Vergabe millionenschwerer Verträge mit Beratern“ gestoßen. Konkret gehe es um das strategische IT-Programm „CITquadrat“ und um mindestens acht Millionen Euro.

Gebauer, seit 2008 Chefreporter von SPIEGEL ONLINE, kann für seinen Beitrag aus einem 17-seitigen vertraulichen Bericht des Bundesrechnungshofes vom 7. August zitieren. Dem Bericht sei zu entnehmen, wie das Verteidigungsministerium „rechtswidrige Beraterleistungen abrief“. Dabei gehe es um Beraterleistungen für das „CITquadrat“-Programm, das einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Streitkräfte zu einem durchgängigen Informations- und Kommunikationsverbund darstelle.

Wie es im SPIEGEL-Artikel weiter heißt, sollen die Rechnungsprüfer vor allem beanstandet haben, dass sich das Verteidigungsministerium „aus Töpfen des Bundes“, die für „CITquadrat“ überhaupt nicht vorgesehen seien, bedient habe. Gebauer nennt Details: „So forderte das Wehrressort von März 2017 bis Juni 2018 Beraterleistungen aus dem Rahmenvertrag mit der Registriernummer 20237 an, der ausdrücklich nur für Einrichtung und Pflege von IBM-Software-Produkten in den Ministerien angelegt ist.“

Abgerechnet wurden Berater-Tagessätze zwischen 900 und 1700 Euro

Mit ihren Rahmenvereinbarungen und Rahmenverträgen nutzt die Bundeswehr nach eigener Aussage „ein Instrument, das in der freien Wirtschaft bereits längst üblich ist und sich dort bewährt hat“. Rahmenverträge „sollen es ermöglichen, flexibel und kurzfristig auf Bedarfe in Rüstungsprojekten zu reagieren und externe Expertise“ einzuholen. Auch andere Regierungsressorts nutzen so die Möglichkeit, rasch und unbürokratisch externen Sachverstand „einzukaufen“. Deshalb wurden und werden für bestimmte Themenbereiche mit zielführenden Unternehmen Zeitkonten vereinbart, über die externe Berater für bestimmte Projekte ins Haus geholt werden können.

Laut SPIEGEL moniert der Bundesrechnungshof-Bericht, dass das Verteidigungsministerium für das „CITquadrat“-Vorhaben „ganz andere Leistungen, als im Rahmenvertrag 20237 vorgesehen“ angefordert habe. So seien Berater bestellt und aus diesem Vertrag bezahlt worden, die „Tagessätze zwischen 900 und 1700 Euro“ abgerechnet hätten. Tagessätze für „allgemeine Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu den Bereichen IT-Strategie und IT-Management“. Die Prüfer sehen – so zitiert Gebauer – in dieser „vergaberechtswidrige Abrufung von Leistungen“ einen eindeutigen „Verstoß gegen Vergaberecht“.

Die Revision des Wehrressorts, die interne Ungereimtheiten prüft, habe die Vorwürfe mittlerweile bestätigt, schreibt das Magazin weiter. Nun werde ermittelt, ob es andere solcher Fälle bei Beraterverträgen gegeben habe oder gebe.

Von Clustern, Matrixgedanken, Ablauflinien und Stakeholdern

Brigadegeneral Michael Färber, stellvertretender Abteilungsleiter „CIT“ im Bundesministerium der Verteidigung, hatte vor einiger Zeit einmal versucht, das Vorhaben „CITquadrat“ transparent zu beschreiben. In einem Fachartikel für die Jahresvorschau 2018 des Vereins AFCEA Bonn (AFCEA: Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung) erklärte er: „Das Programm wurde zum 1. Oktober 2017 durch den Abteilungsleiter ,CIT‘ initiiert und befindet sich zurzeit in seiner initialen Phase. Diese schafft die Voraussetzungen für zwei anschließende, jeweils sechsmonatige Pilotphasen, in denen erste Cluster eingerichtet und die Steuerungslogik erprobt werden soll.“

Das mag man noch von dem dreiseitigen Beitrag Färbers verstehen. Schwieriger wird es da schon an anderen Stellen. Etwa hier: „CITquadrat steht für den Matrixgedanken beim organisatorischen Umbau im BMVg und im nachgeordneten Bereich.“ Oder hier: „Das Programm hat inzwischen die ,Ablauflinie‘ überschritten. Es wird nun darauf ankommen, [es] konsequent umzusetzen, vor allem aber auch mit einer adäquaten strategischen Kommunikation und einem zielorientierten und adressatengerechten Veränderungsmanagement zu begleiten, um alle Stakeholder auf dem anspruchsvollen Weg mitzunehmen.“

Das Verteidigungsministerium setzt unter Ursula von der Leyen wie kaum ein anderes Ressort der Bundesregierung auf externe Unternehmensberater. Diese gehörten, so meint Gebauer, mit „ihren enormen Tagessätzen inzwischen mehr oder minder zum [ministeriellen] Stammpersonal“. Die Prüfer des Bundesrechnungshofes haben die mannigfaltigen Beratertätigkeiten offensichtlich seit Längerem schon auf dem Kieker. Zitat aus dem Papier der Behörde durch den SPIEGEL: „Es [ist] klar zu sehen, dass sich das BMVg im Bereich IT zunehmend von bestimmten Beratungsunternehmen und Einzelpersonen abhängig macht.“ Viele IT-Projekte könne das Ministerium offenkundig gar „nicht ohne diese externe Unterstützung bewältigen“.

Wer den Aufsatz „CITquadrat – Weiterentwicklung des Teilportfolios Cyber/IT“ von Brigadegeneral Färber in der AFCEA-Publikation studiert, wird verstehen, was die Rechnungsprüfer meinen. Färber beschreibt in einer wohl nur für einen kleinen Adressatenkreis gedachten Fachsprache eine komplexe Welt, die offenbar nur noch für wenige Insider überschaubar und verständlich ist. Da sind Abhängigkeiten von „externem Sachverstand“ – zwar nicht beim Lesen des Färber-Textes, wohl aber in der realen CIT-Welt – fast schon die logische Folge.

Es geht um das „Digitale Selbstverständnis der Bundeswehr“

Abteilungsleiter „CIT“ ist übrigens Klaus Hardy Mühleck. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat den damaligen IT-Chef des Konzerns ThyssenKrupp bei einem Festakt am 5. Oktober 2016 in Berlin, bei dem sie das Startsignal zur Aufstellung der Abteilung „Cyber- und Informationstechnik mit Grundbefähigung“ gab, in seinem neuen Aufgabenbereich für die Bundeswehr vorgestellt.

Mühleck selbst sagte einmal über das von ihm jetzt zu bestellende Feld: „Digitalisierung [ist] mehr ist als nur eine Frage der Technologie: Es geht um die Änderung der Denk- und Handlungsweise, um das ,Digitale Selbstverständnis der Bundeswehr‘. Ich gebe aber auch zu, dass nicht alles, was wir uns vorgenommen haben, bereits realisiert ist oder sich in der Realisierung befindet. Bei einem ,Supertanker‘ wie der Bundeswehr aus voller Fahrt die Richtung zu verändern, ist nur mit langem Atem und über eine große Distanz möglich.“

Bevorzugung bestimmter Beratungsunternehmen an der Tagesordnung?

Im Bundesverteidigungsministerium wird die Expertise des Bundesrechnungshofes nach Erkenntnissen von Matthias Gebauer als „politisch brisant“ bewertet. Der SPIEGEL-Reporter konnte dem Prüfbericht entnehmen, dass von der Aufsichtsbehörde gezielte Mauschelei nicht ausgeschlossen wird. An den regelwidrigen Aufträgen sei den Prüfern aufgefallen, dass leitende Mitarbeiter des CIT-Bereichs im Ministerium offenbar gezielt gehandelt hätten.

Gebauer wörtlich: „Insider berichten, dass sich im Fall von ,CITquadrat‘ die Auftraggeber im Ministerium und die Auftragnehmer bei den Beratungsunternehmen persönlich kannten. Deswegen wird geprüft, ob sich dort ein ,Buddy-System‘ gebildet hat, bei dem sich Beamte und Berater die Aufträge zuschanzen.“

Redaktioneller NACHBRENNER

Tobias Lindner, sicherheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich am heutigen Montag (24. September) gegenüber dem bundeswehr-journal über das Thema „Beratungsleistungen“. Er meinte: „Es spricht nichts gegen eine punktuelle Beratung durch Externe. Diese kann sogar äußerst hilfreich sein. Die Bundeswehr stützt sich aber inzwischen eindeutig zu häufig auf Externe ab. Wenn das Ministerium dann auch noch dubiose Wege zur Beauftragung wählt, wenn es Rahmenverträge zweckentfremdet und seine eigenen Spezis durchdrückt, besteht dringender Handlungsbedarf.“

Wie Lindner, der Obmann seiner Fraktion im Verteidigungsausschuss ist, mitteilte, habe man bereits im Kreis der Berichterstatter zum Verteidigungshaushalt die Angelegenheit erörtert. Dabei sei das Verteidigungsministerium aufgefordert worden, rasch für Transparenz zu sorgen. Der Politiker ergänzte: „Die Innenrevision des BMVg muss den Sachverhalt umfassend prüfen und aufklären. Der dauerhafte Einsatz von externen Beratern droht zu einem Kompetenzabbau in der Verwaltung zu führen und die Lücken im Ressort zu vergrößern. Das Vorgehen des Ministeriums lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass bedacht vorgegangen und nur das Notwendigste ausgelagert wird.“

Mit einer Presseerklärung meldete sich mittlerweile auch die AfD zu Wort. Der stellvertretende Bundessprecher der Partei, Georg Pazderski, fordert darin gar den Rücktritt von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

In seinem Statement heißt es: „Von der Leyen hat ihr Haus nicht mehr im Griff. Jetzt wurden acht Millionen Euro anscheinend irregulär für IT-Berater ausgegeben. Aufgedeckt wurde der Missbrauch vom Bundesrechnungshof. Die Führungsunfähigkeit der Ministerin hat inzwischen dazu geführt, dass externe Berater nicht nur Honorare in Millionenhöhe kassieren, sondern in Teilen auch das Kommando im Bundesministerium der Verteidigung übernommen haben. Dessen politische Führung hat nämlich nicht nur gegen das Vergaberecht verstoßen, sondern auch die internen Expertisen der Soldaten bewusst untergraben und deren Kompetenzen ausgehebelt.“ Dies sei keine Basis, auf der eine Ministerin die Bundeswehr führen sollte, so Pazderski. Von der Leyen zeige einmal mehr, dass sie für das Amt nicht geeignet sei.

Zu guter Letzt noch eine interessante Twitter-Kurznachricht. SPIEGEL-Reporter Matthias Gebauer schrieb heute: „Etwas mehr als nur eine Personalie – Klaus Mühleck, oberster Cyber-Beauftragter der Bundeswehr und CIO im Ministerium von UvdL, verlässt das Wehrressort nach nur zwei Jahren erstaunlich lautlos. 2016 war er mit viel Lob aus der Wirtschaft gekommen. Warum er geht, bleibt unklar.“

Sie erinnern sich? Das „Digitale Selbstverständnis der Bundeswehr“! …


Zu unserem Bildmaterial:
1. „Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt“ – unter diesem Motto wirbt die Bundeswehr um Talente und digitale Fachkräfte für den Bereich „Informationstechnologie“ (IT). Die Aufnahme wurde für ein IT-Kampagnenmotiv mit entsprechendem Werbetext verwendet.
(Foto: Bundeswehr)

2. „CITquadrat – Weiterentwicklung des Teilportfolios Cyber/IT“: Fachbeitrag von Brigadegeneral Michael Färber im AFCEA-Jahresprogramm 2018.
(Bildmontage mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Unser Symbolfoto „Bundeswehr-IT“ wurde am 28. September 2015 an der Universität der Bundeswehr in München gemacht. Es zeigt Teilnehmer der Veranstaltung „Capture the Flag“ (CTF). Bei der CTF-Reihe, die von der Universität in Zusammenarbeit mit ihrem Forschungsinstitut CODE ausgerichtet wird, sollen die Teilnehmer Aufgaben aus verschiedenen Gebieten der IT und IT-Sicherheit lösen.
(Foto: Universität der Bundeswehr München)


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