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Minden/Warschau. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft üben im Zeitraum 7. bis 17. Juni mehr als 25.000 Soldaten aus 24 Ländern in Polen die Abwehr eines asymmetrischen Angriffs feindlicher Kräfte. Ein Szenario, wie es die Welt real beispielsweise bereits bei der Besetzung der Krim und bei den Auseinandersetzungen in der Ostukraine erlebt hat. Das internationale Großmanöver „Anakonda 2016“ wird offiziell von Polen ausgerichtet und findet nicht unter NATO-Regie statt. Generalleutnant Marek Tomaszycki, Oberbefehlshaber der Streitkräfte Polens, leitet „Anakonda“. Das größte Kontingent aller Übungsteilnehmer stellen die USA mit 14.000 Soldaten. Das Gastgeberland Polen ist mit 12.000 Militärangehörigen beteiligt. Die Bundeswehr hat 400 Pioniere plus Unterstützungskräfte zu dem nach Auskunft der Planer „rein defensiven“ Manöver entsandt, deutsche Kampftruppen sind bei „Anakonda“ nicht vertreten.

Die nationale Übung „Anakonda“ wird in Polen seit 2006 alle zwei Jahre durchgeführt. Angaben aus Warschau zufolge soll die Gesamtzahl der übenden Truppe in diesem Jahr deutlich unter der der Vorjahre liegen. An früheren „Anakonda“-Übungen haben angeblich bis zu 50.000 Soldaten teilgenommen.

Wie dem auch sei: Kurz vor dem NATO-Gipfel in der polnischen Hauptstadt (am 8. und 9. Juli) dürfte diese Großübung unweit der Grenze zu Russland das gegnerische Lager um Präsident Wladimir Putin keinesfalls versöhnlicher stimmen. Im Gegenteil – Russland hat das Großmanöver in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bereits scharf gerügt. Die Übung trage nicht dazu bei, eine Atmosphäre von Vertrauen und Sicherheit zu schaffen, kritisierte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow am Dienstag dieser Woche (7. Juni).

Massive Bedenken wegen der Teilnahme Georgiens und der Ukraine

Nach übereinstimmenden Presseberichten haben offenbar einige NATO-Staaten im Vorfeld von „Anakonda 2016“ massive Bedenken unter anderem wegen der Teilnahme Georgiens und der Ukraine geäußert. Spiegel online-Redakteur Matthias Gebauer beschrieb in seinem zu Übungsbeginn erschienenen Beitrag „Im Würgegriff der Anakonda“ den Grundtenor der Kritik so: „Mit der Übung ,Anakonda‘ ist die NATO […] nicht glücklich. Das Manöver, heißt es im Hauptquartier, sei ,viel zu plump auf Russland gemünzt‘. Zudem sei das Durchspielen des Bündnisfalls so kurz vor dem NATO-Gipfel in Polen ,zu dick aufgetragen‘. Klar sei das Verhältnis zu Russland schwierig, hier aber werde ,ohne Not der Ernstfall durchexerziert‘.“

An dem Großmanöver beteiligen sich folgende Nationen: Albanien, Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Georgien, Großbritannien, Kanada, Kosovo, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Polen, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn und die Vereinigten Staaten.

Rekordverdächtige amphibische Brücke für den Weichselübergang

Das deutsche Heer nimmt an „Anakonda 2016“ mit einem Pioniereinsatzverband teil und stellt mit den Systemen „Amphibie M3“ sowie „Faltschwimmbrücke“ mehrere Gewässerübergänge sicher. Die Pioniere gehören der 4. Kompanie des schweren Pionierbataillons 901 an, das wiederum Teil des Mindener Panzerpionierbataillons 130 ist.

Das Bataillon ist Leitverband und damit verantwortlich für die Aufstellung und Führung des multinationalen Pioniereinsatzverbandes bei „Anakonda“. Neben den Mindener Pionieren sind auch Kräfte des Panzerpionierbataillons 803 aus Havelberg, des niederländischen 101 Geniebataljon, der U.S. 361st Multi-Role-Bridging-Company (MRBC) sowie des britischen 23rd Engineer Troop in der Engineer Task Force dabei. Feldjäger der Streitkräftebasis und Sanitäter des Zentralen Sanitätsdienstes sowie weitere Kräfte des Heeres unterstützen den Verband.

Das Bataillon stellt während der Übung im Raum Chelmno (bei Bydgosz) Gewässerübergänge für amerikanische und polnische Kampftruppen her. Die Flussbreite der Weichsel beträgt hier 380 Meter, dies verlangt eine rekordverdächtige amphibische Brücke. Das Konzept für den Flussübergang wurde übrigens durch einen Engineer Workshop und einen Probedurchgang beim Hauptquartier der U.S. Army Europe in Wiesbaden vorbereitet. Es folgte anschließend eine Ortserkundung in Polen.

„Kette der Eskalation, die bedrohliche Ausmaße annimmt“

In Deutschland gab es im Vorfeld des multinationalen Manövers in Polen etliche kritische Stimmen. So appellierte die deutsche Sektion der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War/Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) jetzt bei ihrem Jahrestreffen in Mönchengladbach an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die deutsche Beteiligung an NATO-Manövern zu beenden. „Deutschland hat seit Beginn des Jahres den Vorsitz der OSZE in Europa übernommen und sich vorgenommen, den Dialog mit Russland zu erneuern und Vertrauen neu aufzubauen. Dazu passt eine NATO-Übung in Polen an der Grenze zu Russland so kurz vor dem NATO-Gipfel nicht“, warnte die IPPNW-Vorsitzende Susanne Grabenhorst.

Als „einen gefährlichen Schritt in die falsche Richtung“ bezeichnete der europapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Andrej Hunko, die Übung „Anakonda 2016“. Mehr als 25.000 Soldaten in Osteuropa zu aktivieren, sei brandgefährlich und Anlass zu ernster Sorge. Der Parlamentarier kritisierte heftig: „Ausgerechnet in dieser konfrontativen Situation und unmittelbar vor dem NATO-Gipfel in Warschau eines der größten Militärmanöver vor der Haustür Russlands abzuhalten, ist eine völlig unnötige Provokation – leider reiht sich diese in eine Kette der Eskalation ein, die bedrohliche Ausmaße annimmt.“

Auch Tobias Pflüger, Stellvertretender Vorsitzender der Linken, äußerte sich zum „Anakonda“-Manöver: „Direkt vor dem NATO-Gipfel eine solche Übung direkt an der Grenze zu Russland abzuhalten, ist garantiert keine Deeskalation. Wer solche Kriegsszenarien übt, geht zurück in Zeiten des Kalten Krieges. Eine neue Aufrüstungsspirale muss verhindert werden.“

Balance zwischen Aufrüstung östlicher Bündnispartner und Dialog mit Moskau

Auch die deutsche und internationale Presse befasste sich mit dem Großmanöver. So kommentierte die Rheinische Post: „Das Ganze mag durchaus dem Training der militärischen Zusammenarbeit dienen, gedacht ist ,Anakonda‘ jedoch vor allem als große Beruhigungspille für die osteuropäischen Staaten, besonders die Balten und die Polen. Unter denen grassiert seit der russischen Aggression gegen die Ukraine die Angst, früher oder später selbst zum Ziel eines russischen Angriffs zu werden – und sei es einer, der im Stil der von den Russen zuletzt perfektionierten ,hybriden‘ Kriegsführung vorgetragen wird. Es geht um ein Signal der NATO an die osteuropäischen Verbündeten: Sollte es tatsächlich zum Ernstfall kommen, werden wir euch beistehen. Bei der Verteidigung wohlgemerkt. Insofern ist die Botschaft auch für Russland gedacht.“

Die Schwäbische Zeitung warnt: Das „Manöver mit der Teilnahme von Partnernationen wie Georgien und der Ukraine [birgt] erhebliche Risiken. Die diplomatischen Folgen sind in Zeiten, in denen das Gespräch mit Russland mühsam wieder in Gang kommt, nicht absehbar. Moskau könnte sich herausgefordert fühlen, noch lauter als bisher in eigenen Manövern mit dem Säbel zu rasseln. Deutsche NATO-Diplomaten hatten vor dieser Entwicklung gewarnt. Ohne gehört zu werden. Gerade Deutschland, das jahrzehntelang von der schützenden NATO-Solidarität profitiert habe, solle heute doch bitte die neue Ostgrenze stärker sichern, als Bedenken zu formulieren, entgegnen die Partner. Augenmaß und Diplomatie sind gefragt: [Beim] NATO-Gipfel in Warschau sollten die Politiker die Balance zwischen Aufrüstung der östlichen Bündnispartner und dem Dialog mit Russland finden.“

Das Straubinger Tagblatt schlägt vor: „NATO-Militärs verweisen darauf, dass auch die Russen mit Truppenverlegungen an die Westgrenze und großen Übungen immer wieder ihre militärische Stärke demonstrieren. Das mag ja sein. Doch sollte die Logik der kalten Kriege nicht endlich der Vergangenheit angehören?“

Die Lausitzer Rundschau rügt: „Bei ,Anakonda‘ handelt es sich […] um ein Sandkastenspiel im Monsterformat, das zu allem Überfluss den notorischen Propagandisten im Kreml die Chance gibt, mit dem Finger auf andere zu zeigen.“

Baltische Staaten stehen ganz besonders unter russischem Druck

Zum Schluss unseres Beitrags noch ein Blick in zwei „nordische“ Blätter, deren Kommentare etwas von der Bedrohung erahnen lassen, die manche Nachbarn Russlands angesichts der Putinschen Politik empfinden.

So sieht die überregionale lettische Tageszeitung Neatkarīgā Rīta avīze das Verhältnis zu Russland äußerst pessimistisch: „Die Zunahme militärischer Zwischenfälle, das wachsende Ausmaß der Aggressionen sowie skandalöse Drohungen führen dazu, dass inzwischen sogar das neutrale Schweden einen Beitritt zur NATO erwägt. Je mehr die Lage eskaliert, desto mehr steigt das Risiko eines globalen Konflikts – mit allen entsprechenden Folgen.“

Die norwegische Zeitung Aftenposten hält eine stärkere NATO-Präsenz für notwendig: „Russland lässt in Nordeuropa zurzeit immer stärker seine militärischen Muskeln spielen. Natürlich ist auch die Diplomatie nicht tatenlos, vor allem aber ist die NATO zunehmend gefragt. Ziel ist es, die Länder an der NATO-Ostgrenze zu beruhigen und Russland an ,militärischen Nadelstichen‘ oder einem Hybrid-Krieg wie in der Ukraine zu hindern. Die baltischen Staaten stehen besonders stark unter russischem Druck, und es fällt alles andere als leicht, ihre Hilfsgesuche zurückzuweisen. Natürlich ist es nicht ohne Risiko, die Präsenz im Osten zu verstärken. Aber wir sind dazu verpflichtet, unseren Verbündeten zu helfen.“


Zu unseren Aufnahmen:
1. Einen Monat vor Beginn des NATO-Gipfels in Warschau probten Polen und seine Partner an der Ostflanke des Bündnisses mit der Großübung „Anakonda 2016“ den Ernstfall.
(Foto: Robert Suchy/Ministerstwo Obrony Narodowej)

2. Etwa 2000 Fallschirmjäger aus Polen, den USA und Großbritannien eröffneten das internationale Truppenmanöver mit einer Luftlandeübung in der Nähe der polnischen Stadt Torun.
(Foto: Robert Siemaszko/Ministerstwo Obrony Narodowej)

3. An „Anakonda 2016“ beteiligten sich rund 25.000 Soldaten aus 24 NATO-Staaten und Partnernationen.
(Foto: Daniel Chojak/Ministerstwo Obrony Narodowej)

4. Deutsche und britische Pioniere bauten für das Manöver eine Behelfsbrücke über die Weichsel, die dann von gut 300 Fahrzeugen überquert wurde.
(Foto: Arkadiusz Dwulatek/Ministerstwo Obrony Narodowej)


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