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Berlin/Schrobenhausen/Waltham (USA). „MEADS kommt! Sicherheitspolitisch wichtig! Deutsche Schlüsseltechnologie, viele Arbeitsplätze in Bayern gesichert!“ – der Text, den der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn in den späten Abendstunden des gestrigen Montags (8. Juni) twitterte, gleicht dem Schlusspunkt der denkwürdigen Geschichte „Du hast keine Chance, aber nutze sie“. Hahn, außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der CSU, hatte der ARD gestern bestätigt, dass jetzt die Auswahlentscheidung zur Beschaffung eines neuen Raketenabwehrsystems für unsere Streitkräfte gefallen sei. Getroffen habe sie (formal) der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker. Grundlage für die Beschaffung soll nun das von den beiden Rüstungsunternehmen MBDA Deutschland und MBDA Italien gemeinsam mit dem US-Konzern Lockheed Martin entwickelte System MEADS (Medium Extended Air Defense System) sein. MBDA Deutschland mit Sitz im süddeutschen Schrobenhausen ist bei MEADS vor allem zuständig für die Elemente der Gefechtsstandsoftware BMC4I (Battle Management Command, Control, Communications, Computers and Intelligence), des Startgeräts (Launcher) und des Multifunktions-/Feuerleitradars (kurz MFCR).

Die Meldung „Verteidigungsministerium gibt Auftrag für neues Boden-Luft-Abwehrsystem“ des ARD-Hauptstadtstudios erreichte die Redaktionen am gestrigen Montag kurz nach 19 Uhr. In dem Text heißt es: „Das neue System soll das bisher von der Bundeswehr eingesetzte und in die Jahre gekommene Boden-Luft-Abwehrsystem Patriot ersetzen. Patriot ist ein Produkt des US-Rüstungsunternehmens Raytheon. In den letzten Monaten lieferten sich die Anbieter der beiden Systeme eine PR-Schlacht, um zu einem späteren Zeitpunkt den Beschaffungsauftrag des Bundesverteidigungsministeriums zu bekommen.“

Polnische Militärführung setzt künftig auf Patriot

Der amerikanische Rüstungs- und Elektronikkonzern Raytheon (Sitz: Waltham, Massachusetts) war in Deutschland mit einer modernisierten Variante seines Patriot-Systems angetreten, um auch hier den Zuschlag zu erhalten. Den gab es vor Kurzem für das Unternehmen bereits im Nachbarland Polen.

Dort hat sich die polnische Regierung dafür entschieden, ein Flug- und Raketenabwehrsystem des Typs Patriot zu beschaffen. Branchenkenner beziffern diesen Rüstungsdeal auf gut 5,6 Milliarden US-Dollar. Das Nachsehen bei dieser polnischen Entscheidung haben nun das europäische Konsortium Eurosam (bestehend aus Thales und MBDA Missile Systems mit Sitz im französischen Le Plessis-Robinson bei Paris) sowie Lockheed Martin mit MEADS.

Bis zuletzt hatte Raytheon auch in Deutschland intensiv für die neuesten Weiterentwicklungen bei Patriot geworben. Noch im Januar hatte der Konzern eine deutsche Delegation nach Waltham eingeladen, um dort die aktuellen Technologien des Systems zu präsentieren. Dazu gehört laut einer Pressemitteilung von Raytheon „auch der Gallium-Nitrit (GaN)-basierte Active Electronically Scanned Array (AESA), welcher künftig die 360-Grad-Abdeckung ermöglicht, ein wesentlich größeres Gebiet schützt und die Bedrohungen schneller erkennt, einordnet und neutralisiert“.

Die Besuchergruppe aus Deutschland bestand aus Vertretern des Bereichs „Verteidigungsplanung- und politik“ im Bundesverteidigungsministerium, des BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr), der Luftwaffe sowie des Flugabwehrraketendienstes der Luftwaffe.

Vom Comeback eines „erfolgreichen Auslaufmodells“

In den vergangenen Monaten hatte das bundeswehr-journal übrigens regelmäßig über die Frage der Patriot-Nachfolge berichtet. Auch über die Weltpremiere am 6. November 2013 auf dem Versuchsgelände in White Sands im US-Bundsstaat New Mexiko, als das Raketenabwehrsystem MEADS zwei aus entgegengesetzten Richtungen anfliegende Ziele verfolgen und zerstören konnte. Dies war zuvor noch keinem anderen am Markt verfügbaren System geglückt.

Allerdings war zu diesem Zeitpunkt das Schicksal von MEADS fast schon besiegelt. Die USA hatten zuvor definitiv entschieden, aus dem ursprünglichen trinationalen Projekt auszusteigen und das System nicht zu beschaffen. Darüber hinaus hatte das Bundesministerium der Verteidigung bereits 2011 mitgeteilt, MEADS „in absehbarer Zeit“ nicht beschaffen zu wollen (siehe hier). Wie MEADS schließlich das Comeback schaffte, können Sie ebenfalls bei uns noch einmal nachlesen (beispielsweise hier und hier).

Rechte an der MEADS-Software verbleiben bei der Bundeswehr

Doch zurück zur Eilmeldung aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Kollegen berichten aus Berlin: „Aus Ministeriumskreisen heißt es, MEADS sei favorisiert, weil es im Vergleich mit Patriot ein neues, ausbaubares System mit einer neuen Softwarearchitektur sei. Nach einer Beschaffung hätte die Bundeswehr die Rechte an dieser Software. Im Übrigen verfüge MEADS über ein 360-Grad-Radar. Dadurch könnten mehrere simultan ablaufende Raketenangriffe abgewehrt werden. Raytheon hatte in der Vergangenheit mehrfach versichert, dass ein Patriot-Upgrade zu einer vollen 360-Grad-Abdeckung möglich sei und dass die Kosten für eine Weiterentwicklung des Patriot-Systems wesentlich unter denen einer MEADS-Lösung lägen.“

Dazu zitiert die ARD einen Sprecher des Unternehmens Raytheon, der sich Anfang Mai so geäußert haben soll: „Patriot wurde kontinuierlich durch neue Technologien und Fähigkeiten um das Kernsystem herum weiterentwickelt. Dies wurde durch mehr als 600 Raketenabschüsse und 2500 Tests belegt und hat sich im Kampf bewährt. Die Einbeziehung dieser Test-Ergebnisse sowie der Kampferfahrungen garantieren, dass das System weiterhin auf alle neuen sowie neu entstehenden Gefahren vorbereitet ist.“

Strenge Auflagen sollen die Weiterentwicklung begleiten

Offenbar habe das Verteidigungsministerium, so die ARD-Meldung weiter, an dieser Raytheon-Aussage so seine Zweifel. Zwar gebe es mit MEADS bislang keine Kampferfahrung, allerdings hätten Testschüsse stattgefunden. Die ARD: „Ein weiterer wichtiger Faktor für die Entscheider war die Integration des von Diehl entwickelten Boden-Luft-Lenkflugkörpers Iris-T SL. Durch die offene Systemarchitektur von MEADS ist diese Integration möglich. Die voraussichtlichen Kosten für eine tatsächliche Beschaffung könnte ein Volumen von rund vier Milliarden Euro haben.“

Ergänzend zu den ARD-Informationen noch rasch ein Blick auf eine aktuelle Nachricht der Deutschen Presse-Agentur. Wie der dpa-Newskanal berichtet, sind die Verteidigungsexperten der Koalition offensichtlich am Montagabend im Bendlerblock über die MEADS-Entscheidung unterrichtet worden. MBDA soll nun bis Mitte 2016 ein Angebot vorlegen, heißt es bei der Agentur weiter. Für die Weiterentwicklung des Systems sollen strenge Auflagen vertraglich festgelegt werden, um Verzögerungen und Qualitätseinbußen zu vermeiden.

Den CDU-Bundestagsabgeordneten Henning Otte zitiert dpa mit den Worten, dass mit der Entscheidung für MEADS „eine wichtige Fähigkeitslücke für den Schutz unseres Landes und unserer Soldaten im Einsatz geschlossen“ werde. Otte begrüße die geplanten vertraglichen Auflagen, berichtet dpa. Denn zu oft seien in der Vergangenheit Rüstungsprojekte von Verspätungen und Preissteigerungen gekennzeichnet gewesen, so der Verteidigungspolitiker.


Zu unserem Bildangebot:
1. Das MEADS-Startgerät (Launcher) auf einem deutschen Trägerfahrzeug. Die Aufnahme entstand am 14. Mai 2014 bei MBDA Deutschland in Schrobenhausen.
(Foto: MBDA Deutschland, MEADS International)

2. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn bestätigte am Abend des 8. Juni 2015 die Auftragsvergabe gegenüber der ARD.
(Foto: Büro Hahn)

3. Das MEADS-Raketenabwehrsystem auf der Missile Range White Sands im US-Bundesstaat New Mexiko 2013.
(Foto: MEADS International)

Kleines Beitragsbild: MEADS-Komponenten bei MBDA Deutschland.
(Foto: Bernhard Huber/MBDA Deutschland)

 


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