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Schrobenhausen/Berlin. Hoher Besuch bei MBDA Deutschland in Schrobenhausen: Am 13. Oktober informierte sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer ausführlich über die Geschäftsaktivitäten des Rüstungsunternehmens, das als Kompetenzzentrum für den Bereich der Luftverteidigungs- und Lenkflugkörpersysteme in Deutschland gilt. Am Standort Schrobenhausen beschäftigt MBDA als Teil des europäischen MBDA-Konzerns rund 1100 Fachkräfte. Etwa 250 Ingenieure entwickeln hier derzeit das Luftverteidigungssystem MEADS weiter. MEADS wird als Grundlage für das künftige deutsche Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) gehandelt, das etwa ab 2020 die veralteten Patriot-Systeme der Bundeswehr ablösen soll. Das Thema „MEADS“ stand denn auch bei Seehofers Besuch im Hagenauer Forst, dem Industriepark Schrobenhausens, im Mittelpunkt.

In den vergangenen Jahren hat MBDA Deutschland seine Geschäftsaktivitäten mehr und mehr im Hagenauer Forst konzentriert. Dazu wurden rund 60 Millionen Euro in den Ausbau und in die Modernisierung der Unternehmensstruktur investiert. Entstanden sind dabei neue Büro- und Laborgebäude, ein Simulationszentrum sowie eine Integrationshalle für Luftverteidigungssysteme. Ministerpräsident Horst Seehofer informierte sich an diesem Montag in Schrobenhausen insbesondere über die Einrichtungen und das Know-how der Firma im Bereich der Luftverteidigung.

MBDA Deutschland hat im Rahmen eines trinationalen Entwicklungsprogramms von 2005 bis 2014 gemeinsam mit amerikanischen und italienischen Industriepartnern das Luftverteidigungssystem MEADS (Medium Extended Air Defense System) entwickelt. Die von der Bundeswehr geforderten MEADS-Funktionalitäten wurden in umfassenden Tests nachgewiesen (siehe auch hier und hier). Die bisherigen Kosten der Entwicklung in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro haben sich die USA (58 Prozent), Deutschland (25 Prozent) und Italien (17 Prozent) geteilt. Deutschland hat demnach bislang rund 1,2 Milliarden Euro in das Rüstungsprojekt „MEADS“ investiert.

Immer noch keine Planungssicherheit für die Zeit nach Dezember 2014

Der Geschäftsführer der MBDA Deutschland, Thomas Homberg, unterstrich bei Seehofers Besuch einmal mehr die Bedeutung einer zeitnahen Auswahlentscheidung für das geplante neue Taktische Luftverteidigungssystem der Bundeswehr. Er warnte: „Das trilaterale MEADS-Entwicklungsprogramm endet bereits im Dezember 2014. Die MBDA Deutschland sowie unsere deutschen und internationalen Partner haben heute noch keine Planungssicherheit über diesen Zeitpunkt hinaus. Um die erarbeiteten industriellen Kompetenzen für das zukünftige TLVS zu erhalten und sinnvoll zu nutzen, muss so bald wie möglich über das weitere Vorgehen entschieden werden. Dies gilt umso mehr, als dass Deutschland bereits mehr als eine Milliarde Euro erfolgreich in die Entwicklung von MEADS investiert hat.“

Ministerpräsident Seehofer äußerte sich vor den zahlreichen Pressevertretern, die über den Besuch bei MBDA berichteten, zunächst ganz allgemein über die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Bayern. „Unsere wehrtechnischen Unternehmen sind als Technologietreiber und innovative Arbeitgeber seit Jahrzehnten wichtige Grundpfeiler der bayerischen Industrielandschaft. Sicherheitstechnik ‚Made in Bavaria‘ ist für eine zukunftsfähige Ausrüstung unserer Bundeswehr unabdingbar.“ MBDA Deutschland zeige mit Hightech-Entwicklungsprogrammen wie MEADS, was machbar ist und was zu einer modernen Ausstattung dazugehöre, meinte Seehofer.

Auch weiterhin nationale Schlüsseltechnologien erhalten

Konkret wurde der CSU-Politiker bei der Frage eines Taktischen Luftverteidigungssystems für die deutschen Streitkräfte. Bei dem TLVS handelt es sich um eines der größten geplanten Rüstungsvorhaben des kommenden Jahrzehnts mit einem geplanten Investitionsvolumen von mehreren Milliarden Euro.

Seehofer, der bei seinem MBDA-Besuch unter anderem von dem CSU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl begleitet wurde, ergriff einmal mehr entschieden Partei für das „Medium Extended Air Defense System“.

Die Bundeswehr brauche Rüstungsgüter, deren Systemfähigkeiten aus Deutschland stammten. Man sei es den Soldaten und der Bevölkerung schuldig, die Truppe mit der notwendigen Hochtechnologie auszustatten, vertrat der Ministerpräsident seine bekannte Position. Auch gehe es bei derartigen militärischen Beschaffungsprojekten um die Menschen, deren Arbeitsplätze im Rüstungsbereich unmittelbar betroffen seien. Der Ministerpräsident versprach: „Und deshalb werde ich mich gerade bei diesem System MEADS gegenüber der Bundesregierung dafür verwenden, dass man sich für dieses hochmoderne System entscheidet.“ MEADS, so erinnerte Seehofer, stehe ja auch bereits im Koalitionsvertrag. Er sei von dem System überzeugt. Und wenn er von etwas überzeugt sei, kämpfe er auch dafür.

Allerdings brauche man nun auch möglichst bald eine Entscheidung, mahnte der CSU-Politiker. „Wir neigen in Deutschland dazu, Sachverhalte immer wieder zu prüfen – bis hin zum Stillstand. Für das Luftverteidigungssystem MEADS aber brauchen wir jetzt vor allem möglichst rasch Klarheit.“

Fünf Lösungsvorschläge für den Generalinspekteur der Bundeswehr

Das Rüstungsvorhaben „TLVS“ soll die bestehende Fähigkeit zur bodengebundenen Luftverteidigung und Flugabwehr langfristig erhalten. Gegenwärtig wird die Fähigkeit durch das US-Waffensystem Patriot („Phased Array Tracking Intercept On Target“) abgedeckt. Es befindet sich seit gut 25 Jahren im Einsatz bei der Bundeswehr, wurde unter Beteiligung deutscher Industriepartner an die Bedürfnisse der Truppe angepasst und im Laufe der Zeit kontinuierlich und umfassend weiterentwickelt.

Ursprünglich sollte Patriot durch das trinationale Rüstungsvorhaben MEADS abgelöst werden, das noch bis Ende dieses Jahres gemeinsam mit den USA und Italien weiterentwickelt wird. Nachdem sich in einer früheren Projektphase ein zusätzlicher erheblicher Finanzbedarf abzeichnete, zogen die USA allerdings „die Reißleine“. 2011 teilten die Amerikaner ihren Partnern mit, MEADS nicht zu beschaffen und deshalb auch dem trinationalen Programm keine weiteren Finanzmittel über die bestehenden Verpflichtungen hinaus zur Verfügung zu stellen.

Stattdessen entschieden sich die USA, weiterhin das Patriot‐System nutzen zu wollen. Einvernehmlich wurde beschlossen, die Entwicklung mit dem verbleibenden Budget nach einem Nachweis grundsätzlicher Funktionalitäten zu beenden. Daraus resultierende Entwicklungsergebnisse und Systemkomponenten werden auf die Teilnehmernationen gemäß gemeinsam getroffener Vereinbarungen übertragen beziehungsweise verteilt und stehen damit für nationale Folgeaktivitäten zur Verfügung.

Für den Generalinspekteur der Bundeswehr sind inzwischen Lösungsvorschläge erarbeitet worden, die einerseits ein Taktisches Luftverteidigungssystem auf der Grundlage von MEADS vorsehen, andererseits eine umfassende Modernisierung sowie eine Weiterentwicklung von Patriot – möglichst unter Verwendung der MEADS-Entwicklungsergebnisse und -erkenntnisse – beinhalten.

Insgesamt liegen fünf Lösungsvorschläge über die zwei technologischen Ansätze vor. Ziel ist ein nahtloser Übergang von den heutigen deutschen Patriot‐Systemen in die Nutzung des künftigen Taktischen Luftverteidigungssystems.

Blick in den vertraulichen Teil des aktuellen Rüstungsgutachtens

Wie die Wirtschafts- und Finanzzeitung Handelsblatt am 10. Oktober suggerierte, steht es im Moment um MEADS wohl nicht zum Besten. Im vertraulichen Teil des Rüstungsgutachtens („Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“), das von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Juni in Auftrag gegeben worden war und dessen Exzerpt nun der Öffentlichkeit am 6. Oktober zugänglich gemacht wurde, sollen Vorbehalte formuliert sein.

So beruft sich die Zeitung auf „Parlamentskreise“, mit deren Hilfe ein Blick auch in den vertraulichen Gutachtenteil gelang. Demnach sei „entgegen früheren Aussagen nicht klar, ob sich die Entwicklung des Systems nach dem Ausstieg der USA aus dem Programm noch realisieren lasse“. Weiter schreibt das Handelsblatt: „Grund sei, dass die bisherigen Forschungsergebnisse möglicherweise nicht im vollen Umfang für die Fertigstellung des Systems verwendet werden könnten, da sie nicht ausreichend dokumentiert und überprüft worden seien. Zudem sei unsicher, ob das Eigentum an einigen US-Entwicklungsergebnissen tatsächlich an die verbliebenen Projektstaaten Deutschland und Italien übergehe.“

„Daher müssten einzelne Komponenten möglicherweise neu entwickelt werden“, zitiert das Handelsblatt weiter und schlussfolgert: „Insgesamt bestehe so das Risiko, dass eine künftige Luftabwehr auf der Basis der alten MEADS-Entwicklungsergebnisse nicht oder nur eingeschränkt realisierbar sei.“

Ein Sprecher von MBDA Deutschland kommentierte den Beitrag wie folgt: „Fakt ist, dass der vollständige Zugriff auf die MEADS-Entwicklungsergebnisse vertraglich fixiert ist und der Know-how-Transfer voll im Plan liegt. Darüber hinaus haben Deutschland und die Vereinigten Staaten ein ,Letter of Intent‘ (LoI) zur weiteren Zusammenarbeit geschlossen. Darin sichern die USA ihre Unterstützung der künftigen MEADS-basierten Aktivitäten in Deutschland zu.“ Er verwies auch noch einmal auf den mittlerweile hohen technologischen Reifegrad des Systems. Dieser sei bereits in komplexen Testszenarien nachgewiesen worden. Die Frage nach einem „MEADS-Aus“ stelle sich keinesfalls, hieß es bei MBDA in Schrobenhausen. Zu diesem hochmodernen Luftverteidigungssystem gebe es eigentlich keine Alternative.

Rechtliche Risiken und technische Fragen bei MEADS und Patriot

Eine Klarstellung erfuhr der Artikel des Handelsblattes auch am 13. Oktober in Berlin. In der Bundespressekonferenz äußerte sich Jens Flosdorff, Leiter des Presse- und Informationsstabes und Sprecher des Verteidigungsministeriums, zu MEADS. Bei der Untersuchung zum Themenkomplex „MEADS versus Patriot“ durch die externen Gutachter des Konsortiums um KPMG hätten sich in der Tat eine Reihe von Fragen ergeben. Allerdings hätten diese ganz generell der Weiterentwicklung im Bereich der Boden-Luft-Verteidigung gegolten. Flosdorff wörtlich: „Das betrifft also sowohl das System MEADS als auch das System Patriot. Da gibt es einige offene Fragen, die benannt worden sind. Aber im Prinzip auch Aufgaben, die die Gutachter gestellt haben und die erst einmal erledigt werden müssen, bevor man zu einer endgültigen Entscheidung kommt, wie es in diesem Bereich weitergeht.“

Vor allem gehe es dabei um rechtliche Risiken, aber auch um technische Fragen, die zunächst vor einer abschließenden Systemwahl geklärt werden müssten, so der Ministeriumssprecher. Diese Fragen würden jetzt intern geklärt. Einen Zeitrahmen dafür könne er nicht nennen, so Flosdorff in der Bundespressekonferenz.

Parlamentarier bitten Ministerium um „baldige Auswahlentscheidung“

Unterdessen forderten die Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Verteidigungsausschuss in einem Antrag vom 14. Oktober das Verteidigungsministerium auf „in Bezug auf die zeitgerechte Realisierung eines künftigen Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystems baldmöglichst eine Auswahlentscheidung zu treffen“.

Die Verteidigungsexperten gehen davon aus, dass die MEADS-Entwicklungsergebnisse den Partnerländern zur weiteren Verwertung zur Verfügung stehen werden. Eine Auswahlentscheidung in diesem Jahr und die Bereitstellung finanzieller Mittel für 2015 sei Voraussetzung für eine mögliche Weiterverwendung der MEADS-Entwicklungsergebnissen und -kapazitäten.


Zu unseren drei Aufnahmen:
1. Thomas Homberg, Geschäftsführer der MBDA Deutschland GmbH, begrüßte am 13. Oktober 2014 Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (links) zu einem Besuch am Firmenstandort.
(Foto: Günter Abel/MBDA Deutschland)

2. Das neue 360-Grad-Radar des Luftverteidigungssystems MEADS auf dem MBDA-Gelände in Schrobenhausen.
(Foto: MBDA Deutschland)

3. Ministerpräsident Seehofer äußerte sich bei MBDA auch zum Hightech-Entwicklungsprogramm „MEADS“. Rechts neben Seehofer der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl.
(Foto: Günter Abel/MBDA Deutschland)


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