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Kabul (Afghanistan)/Düsseldorf. Afghanistan ist eines der am meisten mit Landminen, Blindgängern und Sprengfallen verseuchten Länder der Erde. Nach Angaben der Vereinten Nationen räumten Spezialisten seit dem Rückzug der Sowjettruppen vom Hindukusch 1989 mehr als 700.000 Minen und 15 Millionen weitere Explosivkörper. Nicht alle alten und neuen Kampfmittel werden entdeckt. Im Dezember vergangenen Jahres starben in der Ostprovinz Nangarhar zehn Mädchen im Alter von acht bis elf Jahren beim Holzsammeln: die Explosion wurde ausgelöst, als eines der Kinder mit der Axt den verborgenen sowjetischen Sprengsatz traf.

Für die Soldaten der NATO-geführten ISAF-Kräfte und die der Folgemission stellen besonders unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen (IED: Improvised Explosive Device) eine große Bedrohung dar. Im Jahr 2012 registrierte ISAF in Afghanistan 15.222 IED-Vorkommnisse (dazu zählen die Explosion, der Fund und die Entschärfung eines Sprengsatzes sowie die Entdeckung eines Verstecks).

Das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall liefert der Bundeswehr nun sieben Transportpanzer Fuchs in der neuen Variante „Kampfmittelaufklärung und -identifizierung“ (KAI). Die Fahrzeuge ergänzen das „Route Clearance System“ der deutschen Streitkräfte zur Aufklärung und Beseitigung von Sprengfallen unter Panzerschutz. Sie werden im Zeitraum November 2013 bis November 2014 an die Truppe übergeben.

Fähigkeitslücke erkannt – und geschlossen

Die Bundeswehr setzt bislang in Afghanistan vor allem handgeführtes Gerät ein, um Marschstraßen oder Bewegungslinien von Sprengfallen freizuhalten: den Minehound VMR3 mit Metalldetektor und Bodenradar von Vallon, das Manipulatorfahrzeug PackBot von ELP oder den Entschärfungsroboter tEODor von Telerob.

Die aktuellen Kampfmittelabwehrverfahren sind allerdings personal- und zeitaufwändig und beinhalten ein hohes Gefahrenpotenzial für die eingesetzten Soldaten. Im Januar 2011 rügte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, in seinem „Jahresbericht 2010“: „Einer besonderen Gefährdung sind mangels geeigneter geschützter Fahrzeuge die Angehörigen der EOD-Trupps ausgesetzt. Für die taktische Aufgabe ,Route Clearance‘ – das ist das zuverlässige und zügige Aufklären und Räumen von Kampfmitteln und ferngezündeten Sprengfallen – steht ihnen kein geeignetes geschütztes Fahrzeug zur Verfügung. Aus diesem Grunde müssen sie abgesessen vorgehen und sind dabei einer erheblichen Gefährdung durch Beschuss, aber auch durch die Sprengfallen selbst, ausgesetzt. Das ist umso unverständlicher, als die amerikanischen Streitkräfte seit längerer Zeit über für diese Aufgabe entwickelte Fahrzeuge mit den Typenbezeichnungen ,Buffalo‘ und ,Husky‘ verfügen.“

Bereits ein Jahr später konnte Königshaus in seinem nächsten Jahresbericht hinsichtlich der von ihm kritisierten Fähigkeitslücke im Bereich „Route Clearance“ (dem Öffnen und Offenhalten von Verkehrswegen durch Aufklären und Räumen von Kampfmitteln und Sprengfallen) eine gute Nachricht nachtragen. Es sei mittlerweile gelungen, Lösungen zu entwickeln und erste Fähigkeiten in den Einsatz zu bringen, schrieb er im Januar 2012. „Im Oktober 2011 konnten zwei Mini MineWolf 240 und Lkw MULTI FSA als erster Anteil der aus zwei unabhängig voneinander einsetzbaren Komponenten zum unbemannten Aufspüren und zur Manipulation von Sprengmitteln bestehenden Systemen in das Einsatzland verlegt werden.“

Deutsche Route-Clearance-Lösung

Der Transportpanzer Fuchs KAI ergänzt den schweren Kampfmittelräumzug der Bundeswehr und soll Gefahrenstellen aufklären, die vom Route Clearance System nicht erreicht werden. Er wird außerdem als Kampfmittelaufklärungssystem unabhängig vom Räumzug operieren und Konvoi-begleitend Gefahrenstellen („Hot-Spots“) aufklären.

Das Route Clearance System besteht aus dem Bedienertruppfahrzeug (Fuchs KAI von Rheinmetall), dem Detektorfahrzeug (fernsteuerbarer Wiesel 1 von Rheinmetall), dem Manipulatorfahrzeug (unbemanntes Manipulatorsystem Mini MineWolf 240 von MineWolf Systems) und den Logistik-Transportfahrzeugen (Lkw MULTI FSA von Rheinmetall MAN Military Vehicles). Die Elemente werden im Verbund für die Aufklärung und Räumung von Sprengfallen, für die Bedienung und für den Transport eingesetzt.

Das Detektorfahrzeug Wiesel, das über einen neu entwickelten Dualsensor mit integriertem Bodendurchdringungsradar (Ground Penetration Radar) und Metalldetektor verfügt, übernimmt im Route Clearance System das Aufspüren von Minen und Sprengfallen. Der mobile und hochgeschützte Fuchs ist mit Arbeitsplätzen für die Fernbedienung und mit Systemen für die Auswertung der Signale des Wiesel-Dualsensors ausgestattet. Das Manipulatorfahrzeug Mini MineWolf übernimmt ferngesteuert die Beseitigung gefährlicher Sprengsätze. Dieses etwa zehn Tonnen schwere Fahrzeug kann mit verschiedenen Werkzeugen wie Manipulatorarm, Bodenfräse oder Raupenschild ausgerüstet werden (sieben dieser Systeme wurden bereits zu Beginn des Jahres 2011 an die Bundeswehr ausgeliefert). Über ein integriertes Videosystem erhält das Personal an Bord des Bedienertruppfahrzeugs Fuchs jederzeit ein direktes Lagebild.

Terrorwaffe des „kleinen Mannes“

Die gestiegene Bedrohung durch IED als Mittel der asymmetrischen Kriegführung hat Auswirkungen auf alle Führungsebenen. In Afghanistan muss immer und an fast jedem Ort mit behelfsmäßig hergestellten und deponierten Spreng- oder Brandvorrichtungen gerechnet werden. Ferngezündete Bomben oder Sprengsätze, die wie Landminen funktionieren, werden zumeist von den Taliban, dem Haqqani-Netzwerk oder der paramilitärischen Hizb-e-Islami ausgebracht.

Generalleutnant Michael D. Barbero, Direktor der 2006 gegründeten US-amerikanischen Joint Improvised Explosive Device Defeat Organization (JIEDDO), bezeichnet die IEDs als „die Waffe des Terrors schlechthin“. Im Dezember nannte der Army-General im Auswärtigen Ausschuss des US-Senats Einzelheiten. Im Zeitraum 2009 bis 2011, so Barbero, sei die Zahl der sogenannten „IED-Events“ in Afghanistan um rund 80 Prozent angestiegen – von 9300 Zwischenfällen im Jahr 2009 auf 16.800 im Jahr 2001. IEDs blieben auch weiterhin die Hauptursache für die vielen Opfer unter der Zivilbevölkerung sowie unter den Militär- und Polizeiangehörigen – sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan. Mehr als 60 Prozent der bis dahin in Afghanistan im Einsatz getöteten oder verwundeten US-Soldaten seien Opfer von IED-Anschlägen gewesen, erklärte Barbero.

Seinen Informationen zufolge sind derzeit rund 85 Prozent aller IEDs, die gegen die Koalitionstruppen eingesetzt werden, in Heimarbeit hergestellte Sprengsätze (HME: Homemade Explosives). Etwa 70 Prozent dieser IEDs enthalten Calcium Ammonium Nitrat (CAN), ein in der Landwirtschaft verwendeter Stickstoffdünger. CAN wird in Pakistan legal von zwei Unternehmen für die Agrarnutzung hergestellt, so etwa von Pakarab Fertilizers Limited in Multan, Punjab. Die pakistanische Jahresproduktion des auch als Kalk Ammon Salpeter bezeichneten Düngers betrug 2012 geschätzt 870.000 metrische Tonnen. Etliche Tonnen davon gelangten bereits illegal nach Afghanistan und wurden für die IED-Produktion verwendet. Während die USA in den letzten zwölf Jahren ungefähr 21 Milliarden US-Dollar für die IED-Abwehr ausgegeben hat (dazu weitere geschätzte 45 Milliarden für Anschaffung von minengeschützten Fahrzeugen), kostet die Herstellung einer improvisierten Brand- beziehungsweise Sprengvorrichtung nur wenige Dollar.

Das ganze Ausmaß des Leids, das Afghanistan mit seinen Minen, Bomben und Sprengfallen zu ertragen hat, wird auch an folgender Statistik deutlich: Nach Auskunft des Mine Action Coordination Centre of Afghanistan (MACCA) starben zwischen 1979, dem Jahr der sowjetischen Invasion, und 2011 mehr als 4000 Menschen in Afghanistan durch Minen und Kampfmittelreste, mehr als 17.000 wurden verletzt.

Seit 30 Jahren in der Truppe bewährt

Die Bundeswehr plant, den Transportpanzer Fuchs KAI ab dem vierten Quartal 2014 am Hindukusch einzusetzen. Das deutsche Route Clearance System wird vermutlich auch beim Abzug der Kräfte aus Afghanistan eine maßgebliche Rolle spielen müssen.

Der Fuchs KAI verfügt neben einem hervorragenden Schutz über einen mehrgliedrigen, hochpräzisen Manipulatorarm, der rund zehn Meter weit reicht und schwere Lasten tragen kann. Die Kampfmittelabwehrkräfte können so aus dem Transportpanzer heraus verdächtige Stellen mit großem Abstand untersuchen und Kampfmittel oder Sprengfallen präzise aufklären und identifizieren. Mit einer an den Manipulatorarm adaptierbaren Rettungsplattform können Personen und Material aus einem Gefahrenbereich evakuiert werden.

Bei dem Trägerfahrzeug des Fuchs KAI handelt es sich um die derzeit modernste Ausführung des seit Jahrzehnten bewährten, geschützten 6×6-Radfahrzeugs der Bundeswehr. Vor rund drei Jahrzehnten in die deutschen Streitkräfte eingeführt, hat Rheinmetall das Schutzniveau und den Einsatzwert des robusten dreiachsigen Radpanzers durch Einrüsten einer „Modularen Schutzausstattung“ (MSA), eines verstärkten Fahrwerks und einer Splitterkegel-reduzierenden Innenverkleidung stetig verbessert.

Die Version Fuchs 1A8 hat zusätzlich einen hohen Minen- und IED-Schutz sowie moderne Schutzelemente, Minenschutzsitze zur Entkoppelung der Besatzung vom Wannenboden, textile Waffenbehälter sowie Netze zur Sicherung der an den Fahrzeugwänden befestigten Komponenten. Optional lässt sich das aktive Abstandsschutzsystem „Active Defence System“ (ADS) einrüsten.


Zu unserer Bildfolge:
1. Sprengung von Kampfmitteln durch US-Spezialisten in der afghanischen Provinz Helmand.
(Foto: Brandon M. Owen/U.S. Marine Corps)

2. Demonstratorfahrzeug Transportpanzer Fuchs KAI.
(Foto: Rheinmetall)

3. Aus einem Waffenversteck der Taliban in der Provinz Ghazni: Materialien zum Bau einer Sprengfalle.
(Foto: Brian Kohl/U.S. Army)

4. Deutsches Route Clearance Package mit Fuchs 1A8 vor dem Detektorfahrzeug Wiesel 1.
(Foto: Michael Mandt/Bundeswehr)

5. Ferngesteuertes Fahrzeug Wiesel 1 mit Dualsensor und Metalldetektor.
(Foto: Michael Mandt/Bundeswehr)

6. 24 Afghanen (darunter 12 Kinder und vier afghanische Polizeikräfte) starben am 9. Juli 2009 bei der Explosion einer Straßenbombe im Distrikt Mohammad Agha in der Provinz Logar.
(Foto: Task Force Spartan/U.S. Army)


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