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Hamburg/Berlin/Düsseldorf. Eva W. wurde als Minderjährige schwer sexuell missbraucht. „Alles, was man sich an sexualisierter Gewalt vorstellen und überleben kann, ist mir passiert“, berichtete sie vor Kurzem einem Rechercheteam des Norddeutschen Rundfunks (NDR) im Interview. Vom Missbrauch seien auch Fotos und Videos gemacht worden. Dass solche Aufnahmen noch Jahrzehnte später im Darknet kursieren, ist für die Betroffenen die Hölle. Auch für W.: „Ich wünschte, ich hätte jemanden vor mir, der das einfach beenden würde – der es löschen könnte.“ „Es“, das sind die ewigen Spuren abscheulicher Verbrechen an Kindern und Jugendlichen, begangen von Pädokriminellen …

Deutsche Ermittler verzichten darauf, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch systematisch zu löschen, obwohl das schon mit wenig Personal möglich wäre und verantwortliche Politiker aus Bund und Ländern dies versprochen hatten. Das haben Recherchen des ARD-Politikmagazins „Panorama“ und des Rechercheformats „STRG_F“ (NDR/Funk) ergeben.

Ermittlungsbehörden lassen die strafbaren Aufnahmen, die in pädokriminellen Online-Foren getauscht werden, sogar dann nicht sofort löschen, wenn sie Gegenstand von Ermittlungen waren. Im Fall des pädokriminellen Forums „Alice in Wonderland“ sind die dort verlinkten Aufnahmen weiterhin online zu finden, obwohl das Forum bereits im September 2024 durch nordrhein-westfälische Ermittler abgeschaltet wurde.

Weltweit einmalige Datenanalyse durch monatelange intensive Recherche

Dass weiterhin nicht gelöscht wird, haben „STRG_F“ und „Panorama“ zunächst mittels einer weltweit einmaligen Datenanalyse herausgefunden, die sie monatelang in großen pädokriminellen Darknet-Foren durchgeführt haben. Teilweise stießen sie auf Fotos und Videos, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen – und die schon über Jahre im Netz standen.

In einem außergewöhnlichen Pilotprojekt erfassten dann zwei Mitarbeiter von „STRG_F“ und „Panorama“ über Monate hinweg in den großen pädokriminellen Darknet-Foren die dort verlinkten Fotos und Videos.

Hintergrund ist, dass sich pädokriminelle Täter zwar im anonymen Darknet vernetzen, aber die Datenmengen ihrer illegalen Aufnahmen nicht dort speichern, weil sie zu groß sind. Daher wählen sie Speicherdienste im „normalen““ Internet, um ihr Material verschlüsselt hochzuladen. Im Darknet-Forum teilen sie dann nur einen entsprechenden Download-Link. Die Speicherdienstbetreiber ahnen wegen der Verschlüsselung meist nichts davon, reagieren aber auf Hinweise von außen.

Speicherdienste löschten mehr als 300.000 Links zu Millionen Aufnahmen

„Panorama“ und „STRG_F“ meldeten die eingesammelten Links an diese Speicherdienste. Insgesamt deaktivierten die Dienste infolgedessen mehr als 300.000 Links zu Millionen Aufnahmen mit einer Datenmenge von 21.600 Gigabyte – und löschten die Daten von ihren Servern. Sie waren zuvor über 23 Millionen Mal von Pädokriminellen heruntergeladen worden.

Zwei Darknet-Foren, in denen systematisch gelöscht wurde, stellten ihren Betrieb komplett ein, darunter das zweitgrößte der Welt. Ein weiteres wurde von den Betreibern nicht mehr gepflegt und von Nutzern als „totes Forum“ bezeichnet. „STRG_F“ und „Panorama“ konnten beobachten, wie einige Pädokriminelle, die über Jahre illegale Aufnahmen verbreitet hatten, wegen der konsequenten Löschung aufhörten, weiter Inhalte hochzuladen.

Löschverfahren beim Bundeskriminalamt nach Kritik angeblich „umgestellt“

Dass Behörden diese effektive Methode nicht nutzen, steht im Widerspruch zu politischen Zusagen der vergangenen Jahre. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte den Kampf gegen Kindesmissbrauch zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen wollen.

Nachdem 2021 durch Recherchen von „STRG_F“, „Panorama“ und SPIEGEL bekannt geworden war, dass auch das Bundeskriminalamt (BKA) bei Ermittlungen in Darknet-Foren massenhaft illegale Inhalte im Netz gelassen hatte, hatte die SPD-Politikerin mehrfach beteuert, dass die Löschverfahren beim BKA daraufhin „umgestellt“ worden seien. Noch im Dezember 2024 hatte sie im Interview mit „Panorama“ und „STRG_F“ versichert: „Aus meiner Sicht ist es besser geworden; wir haben jedenfalls unsere Bemühungen verstärkt.“

„Fehlendes Personal und ungeklärte Rechtslage“ – wenn Behörden mauern

Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hatte aufgrund der Recherchen aus dem Jahr 2021 prüfen lassen, ob deutsche Polizeibehörden die Methode umsetzen könnten. Im offiziellen ministeriellen Protokoll wurde schließlich festgehalten, dass [diese Methode] „eine geeignete Möglichkeit bietet, die Verfügbarkeit von Missbrauchsabbildungen zu reduzieren“.

Den Reportern von „STRG_F“ und „Panorama“ liegt allerdings exklusiv der vertrauliche Bericht vor, der klarstellt, dass technisch mögliche Löschungen der strafbaren Aufnahmen nicht stattfänden, selbst wenn diese „im Sinne des Opferschutzes und der öffentlichen Erwartungshaltung ein wirkungsvoller Beitrag“ wären. Dem Bericht zufolge fehle das Personal und zudem müsse die Rechtslage geklärt werden. Auch das BKA hat das systematische, sogenannte anlassunabhängige Löschen strafbarer Bilder bisher nicht umgesetzt, wie die Recherchen jetzt belegen.

CDU-Politiker Reul kündigt erneuten Vorstoß in Innenministerkonferenz an

Konfrontiert mit den neuen Ergebnissen der Medienvertreter sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul – auch verantwortlich für den Fall „Alice in Wonderland“ – im Interview mit „STRG_F“ und „Panorama“: „Dass man, wenn man so vorgeht, den Foren den Boden entzieht, das ist doch logisch.“ Die Methode sei gut, „davon muss mich auch keiner mehr überzeugen“, so der CDU-Minister. Bisher habe Priorität, die Täter zu verhaften und die Opfer aus der Gefahrenzone zu bringen: „Das heißt aber nicht, dass das andere nicht gemacht werden muss.“ Reul kündigte an, das brisante Thema erneut in die Innenministerkonferenz einzubringen.

Das Bundesinnenministerium teilte schlussendlich auf erneute Anfrage des Teams von „STRG_F“ und „Panorama“ mit, man habe entsprechende Prozesse „evaluiert und angepasst“. Dabei seien auch „die Prozesse im Zusammenhang mit der anlassunabhängigen Recherche im Internet berücksichtigt“ worden. Was das konkret bedeutet, wurde nicht weiter ausgeführt.

„STRG_F“ berichtet über das Thema am vergangenen Donnerstag (6. Februar) in der ARD und auf YouTube, die Sendung „Panorama folgte an diesem Tag am Abend ebenfalls im Ersten. Der Beitrag ist jetzt unter anderem in der ARD-Mediathek zu sehen oder auf YouTube (Links ohne Gewähr):
https://www.ardmediathek.de/video/panorama/kindesmissbrauch-polizei-loescht-strafbare-bilder-nicht/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS8yNjc2NzBkYi1mNWI1LTQyNDktOTdjNi03MTEyODQxOTQwOTA
und
https://www.youtube.com/watch?v=Ndk0nfppc_k


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Zu unserem Bildmaterial: Screenshot aus dem YouTube-Beitrag „Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“ des Formats „STRG_F“. Das Reportageformat „STRG_F“ (Aussprache „Steuerung F“) wird vom Norddeutschen Rundfunk produziert und auch über YouTube veröffentlicht. Behandelt werden politisch oder gesellschaftlich relevante Themen für eine Hauptzielgruppe zwischen 14 und 29 Jahren.
(Bildschirmfoto: Quelle „STRG_F“-Beitrag auf YouTube; Bildbearbeitung: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Screenshot aus dem YouTube-Beitrag „Pädokriminelle Foren im Darknet: Jetzt löschen wir richtig“, Rechercheformat „STRG_F“.
(Bildschirmfoto: Quelle „STRG_F“-Beitrag auf YouTube; Bildbearbeitung: mediakompakt)


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