Berlin/Osnabrück. In den Staaten rund um die Ostsee steigt die Anspannung – besonders seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Die NATO hat seit dem Beitritt Finnlands und Schwedens zwar die klare militärische Hoheit über die Ostsee, aber auch viele Kilometer neue Grenze mit Putins Reich. Die Anrainer der Ostsee rüsten auf. Und Russland testet in der Region den Westen tagtäglich – mit militärischen Kräften oder hybriden Aktionen.
Johann Wadephul, neuer Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, will die Sicherheit im Ostseebereich stärker in den Blick nehmen. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) erklärte der CDU-Politiker kürzlich: „Die Lage dort ist prekär, das ist offenkundig. Ich finde, dass dieser gesamte baltische Raum bisher in der Öffentlichkeit zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat und möchte in meiner Amtszeit das Augenmerk mehr dort hinlenken.“
Wadephul, der in Molfsee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) lebt, sieht verschiedene Belege für die erhöhte Gefahr: Die Zerstörung von Datenkabeln zwischen dem baltischen Raum und Skandinavien, das Entfernen von Grenzbojen, die Verletzung des Luftraumes von EU- und NATO-Staaten durch russische Luftfahrzeuge, eine aggressiv auftretende russischen Marine. „Es liegt also auf der Hand, dass wir hier oben in einem Gefährdungsraum leben“, so der Minister im ersten großen Interview nach seinem Amtsantritt.
Es sei klar, dass Schleswig-Holstein eine besondere strategische Bedeutung habe, wenn der gesamte Ostseeraum sicherer gemacht werden solle, erklärte Wadephul weiter. Deswegen gebe es auch Überlegungen im Verteidigungsministerium, Bundeswehrstandorte in diesem Bundesland zu stärken.
Auch stehe die endgültige Ausbauentscheidung für den Flugplatz Hohn kurz bevor. Der Norden werde vom Infrastruktur-Paket, das in der Koalition verabredet wurde, profitieren – „bei den Häfen, den Straßen und den Brücken“, so der Außenminister im NOZ-Interview.
Beim Gesprächspunkt „Ukraine“ versicherte Wadephul, dass Kiew „eine Beitrittsperspektive sowohl für die Europäische Union als auch für die NATO habe. Der Minister wörtlich: „In der NATO haben wir uns gemeinsam darauf verständigt, dass die Ukraine auf einem Weg in das Verteidigungsbündnis ist und dieser Weg unumkehrbar ist – Deutschland steht zu diesem Beschluss.“
Seit mehr als drei Jahren führt Russlands Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fort. Trotz harter internationaler Sanktionen gelingt es ihm, die russische Kriegsmaschinerie aufrechtzuerhalten – auch dank cleverer Umgehungsstrategien. So nutzt Russland etwa seine sogenannte „Schattenflotte“, um weiterhin Öl auf dem Seeweg zu exportieren – unter fremder Flagge.
Laut einer Presseerklärung der Organisation Greenpeace vom Oktober 2024 transportieren 192 marode Tanker weltweit russisches Öl und sind eine Gefahr für die Umwelt. Von diesen Schiffen sollen laut Greenpeace 171 in den vergangenen zwei Jahren einmal oder öfter durch die deutsche Ostsee und das Seegebiet der Kadetrinne in der Mecklenburger Bucht gefahren sein. Die Organisation warnt: „Alle Tanker sind überaltert, viele weisen technische Mängel auf, haben zeitweise ihr automatisches Identifizierungssystem abgeschaltet oder Ladung auf See an andere Tanker übergeben – ein besonders riskantes Manöver. Bei einer Havarie in der Kadetrinne wäre die gesamte deutsche Ostseeküste in Gefahr. Alle Tanker sind unzureichend gegen die Folgen einer Ölpest versichert; für die Beseitigung von Schäden müssten die Steuerzahler aufkommen.“
Die Tanker stünden bislang auf keiner Sanktionsliste, warnt Thilo Maack, Meeresbiologe von Greenpeace. So könne die russische Regierung mit ihnen Rohöl exportieren und damit den Angriffskrieg gegen die Ukraine finanzieren. „Diese Schrott-Tanker müssen unbedingt auf die EU-Sanktionsliste“, fordert Maack. „Die Bundesregierung muss schnell handeln und eine drohende Katastrophe verhindern.“
Greenpeace selbst verlangt eine Lotsenpflicht für eine sichere Passage durch vielbefahrene Routen, einen ausreichenden Versicherungsschutz der Tanker und Belege für deren Seetauglichkeit.
Laut einer Meldung der französischen Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) will Großbritannien mit neuen Strafmaßnahmen auf den Ukrainekrieg reagieren. Wie AFP berichtet, hat die britische Regierung am 9. Mai angekündigt, „bis zu 100 Öltanker der russischen Schattenflotte zu sanktionieren“.
Diese Schiffe sollen „seit Anfang 2024 Fracht im Wert von über 21 Millionen Euro“ transportiert haben, erklärte dazu Premierminister Keir Starmer. Das Vereinigte Königreich werde alles in seiner Macht Stehende tun, um Russlands Schattenflotten-Einsätze „zu zerstören, seiner Kriegsmaschinerie die Öleinnahmen zu entziehen und die Unterwasser-Infrastruktur zu schützen, auf die wir uns in unserem täglichen Leben verlassen“, so der britische Regierungschef laut AFP weiter.
Auch die Staaten der Europäischen Union haben sich mittlerweile wegen anhaltender Angriffe gegen die Ukraine auf ein neues Paket mit Russland-Sanktionen verständigt. Dazu gehören auch schärfere Maßnahmen gegen die russische „Schattenflotte“ für den Transport von Öl und Ölprodukten. So soll rund 200 Schiffen das Einlaufen in Häfen in der Gemeinschaft verboten werden.
Das Sanktionspaket soll am 20. Mai beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel formell beschlossen werden und dann sofort in Kraft treten.
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Unser Bildmaterial zeigt:
1. Schiffe des ständigen maritimen NATO-Einsatzverbandes SNMG 1 (Standing NATO Maritime Group 1) im April 2023 bei „Baltic Operations“ (BALTOPS) in der Ostsee. BALTOPS ist das bedeutendste Marinemanöver des Bündnisses im Ostseeraum, ausgerichtet jährlich von der U.S. Navy.
(Foto: Tanja Wendt/Bundeswehr)
2. Johann Wadephul, Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV), am 15. Mai 2024 während seiner Rede im Rahmen des Festakts „75 Jahre NATO“ in der Landesvertretung Niedersachsen.
(Foto: Xander Heinl/Deutscher Bundestag)
Kleines Beitragsbild: Greenpeace-Aktivisten protestierten im September 2024 auf der Ostsee bei Rostock-Warnemünde gegen potenziell umweltschädliche russische Ölexporte mit baufälligen Tankern, der sogenannten „Schattenflotte“ Putins. Auf Schlauchbooten zeigen die Umweltschützer später nahe der passierenden „Seagull“ ein Banner mit der Aufschrift „Oil Kills“ („Öl tötet“). Der 250 Meter lange Tanker transportiert russisches Rohöl, fährt unter der Flagge der Cookinseln und war zum Zeitpunkt der Aufnahme auf dem Weg nach Indien. Die 2003 gebaute „Seagull“ ist in der Vergangenheit durch technische Mängel am Feuerlöschsystem und an der Rettungsausrüstung aufgefallen. Viele der Tanker der russischen „Schattenflotte“ sind unzureichend versichert, so dass im Falle einer Ölpest die betroffenen Länder für den Schaden aufkommen müssten. Außerdem sind die Tanker in Ländern registriert, die niedrige Sicherheitsstandards verlangen und sie selten inspizieren. Ein Unfall auf der Strecke würde beispielsweise Warnemünde, Fehmarn und Damp mit einer Ölpest bedrohen.
(Foto: Daniel Müller/Greenpeace e.V.)