menu +

Nachrichten



Bonn/Wachtberg/Koblenz-Schmidtenhöhe/Uedem. Im erdnahen Weltraum ziehen mehrere tausend Satelliten ihre Bahnen. In diesem Bereich befinden sich aber auch zigtausend Teile Weltraumschrott – insgesamt wohl mehr als 10.000 Tonnen Material. Der größte Teil davon hat sich auf niedrigen Orbits in Höhen von bis zu 2000 Kilometern, im sogenannten „Low Earth Orbit“ (LEO), festgesetzt. Eine Kollision mit genutzter Infrastruktur im Weltraum ist damit höchst wahrscheinlich. Auch die Internationale Raumstation ISS ist auf ihrem Orbit in rund 400 Kilometern Höhe von diesem Müll betroffen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Bundeswehr können sich jetzt ein besseres Bild von den Objekten im All machen: mit dem System GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar/Deutsches Experimentelles Weltraumüberwachungs- und Verfolgungsradar).

Um Kollisionen im All so weit wie möglich zu vermeiden, werden kontinuierlich verlässliche Daten zur Weltraumlage benötigt. GESTRA kann diese Daten zur Verfügung stellen. Entwickelt wurde das Überwachungssystem vom Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) in Wachtberg. Die Projektbeauftragung ging von der in Bonn ansässigen Deutschen Raumfahrtagentur im DLR aus, die auch für die Finanzierung verantwortlich zeichnete. Hier flossen beträchtliche Mittel des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

Betrieben wird das Radarsystem GESTRA künftig vom ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrum im nordrhein-westfälischen Uedem, welches vom BMWK und vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) getragen wird.

Nach Test- und Verifikationsphase jetzt Start in die mehrmonatige Abnahme

Nach einer intensiven und erfolgreichen Test- und Verifikationsphase im Dezember 2023 konnte nun mit der finalen Überprüfung begonnen werden. Damit ist das weltweit einzigartige System zur Weltraumüberwachung zugleich in seine mehrmonatige Abnahme gestartet. Verantwortlich für die Durchführung sind auch hier wieder Experten der Deutsche Raumfahrtagentur im DLR, unterstützt von Fachkräften des Fraunhofer-Instituts. Eingebunden in die Schlussphase ist auch das Weltraumlagezentrum der Bundeswehr.

Das Weltraumlagezentrum in Uedem hat schwerpunktmäßig die Aufgabe, ein Lagebild für den Weltraum zu erstellen und zu bewerten sowie nationale Raumfahrtsysteme vor der Kollision mit Weltraummüll zu schützen. Nach Inbetriebnahme von GESTRA werden Mitarbeiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR das ressortgemeinsame System aus dem Weltraumlagezentrum heraus steuern. Dort laufen alle Messdaten zusammen, um daraus die Bahnen der erfassten Objekte zu bestimmen. Ebenfalls sollen diese Daten von Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland angefragt werden können.

Etwa vier Meter große Sendeantenne mit einer immensen Gesamtleistung

Das komplexe GESTRA-Radarsystem umfasst eine Sende- und eine Empfangsantenne, die bei voller Bestückung mit je 256 Einzelelementen versehen sind und deren Radarwellen phasengesteuert werden können („Phased-Array“).

Jedes Element der Sendeantenne wird durch einen extrem leistungsfähigen Verstärker angesteuert, so dass die etwa vier Meter große Sendeantenne insgesamt eine immense Gesamtleistung vorweisen kann. Die Elemente der Empfangsantenne werden einzeln digital ausgelesen und können mittels spezieller Prozessoreinheiten in Echtzeit zusammengefasst werden. Auf diese Weise ändern die beiden Antennen innerhalb weniger Millisekunden ihre Blickrichtung.

Darüber hinaus kann die Antenne mit einem Drehstand mechanisch ausgerichtet werden. Eine eigene Wasserkühlung für jedes einzelne Antennenelement trägt zudem zu einer besonders hohen Radarleistung bei. Dies erhöht die Empfindlichkeit des Systems zusätzlich.

Damit ist GESTRA bei der Beobachtung von Weltraummüll nicht nur sehr dynamisch, sondern auch überaus sensitiv. Sender und Empfänger sind in zwei getrennten Containern untergebracht, was den flexiblen Einsatz an unterschiedlichen Orten erlaubt. Diese Kombination aus Mobilität, digitaler Technik und Leistungsfähigkeit macht GESTRA einzigartig. Die Anlage ist auf dem Standortübungsplatz Koblenz-Schmidtenhöhe aufgestellt.

Bereits ohne volle Auslastung die gestellten Anforderungen alle erfüllt

Während der Demonstration wurden verschiedene Radarmodi erfolgreich überprüft (zwei verschiedene Such-Modi, der Spotlight-Mode und der Tracking-Mode). Die erfassten Sichtungen konnten mit vorhandenen Katalogdaten von Objekten im erdnahen Orbit korreliert werden.

Im Schnitt konnten mit GESTRA pro Stunde mehr als 200 Objekte aufgespürt werden, darunter auch kleine Objekte („Cubesats“) in mehreren hundert Kilometern Entfernung. Gesichtet wurden neben zahlreichen Starlink-Satelliten auch die Orbiter Oneweb-0240 (Höhe circa 1200 Kilometer), NOAA 16-DEB (Höhe circa 825 Kilometer), Sentinel 6 (Höhe circa 1300 Kilometer) sowie der Kleinsatellit CUTE1.7 (20 x 20 x 10 Zentimeter; Höhe circa 600 Kilometer). „Damit erfüllt GESTRA bereits ohne volle Auslastung die gestellten Anforderungen“, so eine DLR-Pressemitteilung.

Künftig ein Teil der international vernetzten Weltraum-Sicherheitsarchitektur

Auf der europäischen Ebene wird das Potenzial von GESTRA im Projekt „EUSST“ (EU Space Surveillance and Tracking) eingebracht. Die Maßnahmen zur Integration des Sensors in EUSST werden Anfang 2024 beginnen und im ersten Halbjahr abgeschlossen sein.

Im niedrigen Erdorbit ist GESTRA nicht nur in der Lage, Weltraumschrott zu erfassen, sondern auch offensive Kleinsatelliten anderer Staaten aufzuspüren und deren Bahn zu verfolgen. Im DLR-Pressetext heißt es dazu: „GESTRA erfüllt vollständig die Anforderungen ziviler und militärischer Weltraumüberwachung und ist somit als prototypisches Weltraumüberwachungsradar ein unverzichtbarer Baustein für eine hoch leistungsfähige, international vernetzte Weltraum-Sicherheitsarchitektur.“


Kompakt                           

Das Weltraumlagezentrum wurde im Juli 2009 in Uedem (Nordrhein-Westfalen) aufgestellt. Es ist seit Juli 2021 Teil des neuen Weltraumkommandos der Bundeswehr. Das Zentrum hat die Aufgabe, deutsche weltraumgestützte zivile und militärische Systeme zu schützen. Der zivile Anteil des ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrums wird vom Raumfahrtmanagement im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gestellt.

Die Bundesregierung hatte bereits 2016 im Weißbuch „Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr“ die Bedeutung des Weltraums als „globales Gemeinschaftsgut für die Funktionsfähigkeit unseres Staates und den Wohlstand unserer Bevölkerung“ erkannt. Deshalb wurde in dem Dokument die Überwachung kritischer Weltrauminfrastrukturen in einem gesamtstaatlichen Ansatz als Aufgabe der Bundeswehr festgeschrieben.

Eine besondere Rolle kommt dabei der Uedemer Einrichtung zu, die auf militärischer Seite in Verantwortung der Deutschen Luftwaffe zusammen mit dem DLR als zentrale, ressortgemeinsame Ansprechstelle der Bundesregierung für die Weltraumlage fungiert.

Das Weltraumlagezentrum bewertet Risiken durch Weltraumschrott (der Satelliten treffen und beschädigen könnte), mögliche Wiedereintritte von Weltraumobjekten (wodurch sich Risiken für Menschen und Infrastruktur auf der Erde ergeben könnten) sowie Einflüsse des Weltraumwetters (ausgelöst durch Aktivitäten der Sonne). Dazu werden alle erdnahen Objekte im Weltraum überwacht und bei Bedarf aufgeklärt, um einen verlässlichen und eindeutigen Objektkatalog erstellen zu können. Warnungen des Weltraumlagezentraums versetzen Bundes- und Landesbehörden ebenso wie Satellitenbetreiber in die Lage, auf Ereignisse im All rasch reagieren zu können.


Besuchen Sie uns auf https://twitter.com/bw_journal


Zu unserer Bildfolge:
1. GESTRA aus der Luft – die Anlage befindet sich auf dem Standortübungsplatz Koblenz-Schmidtenhöhe. Links im Bild die Empfängerstation, rechts die Sendestation.
(Foto: Jens Fiege/Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR)

2. Das GESTRA-System auf der Schmidtenhöhe.
(Foto: DLR)

3. Vorderseite der phasengesteuerten Antenne von GESTRA mit 256 aktiven Elemente und integrierter Kühlung.
(Foto: DLR)

4. Die GESTRA-Überwachungs- und Steuerungseinrichtung. Die Aufnahme zeigt die Simulation einer Weltraumüberwachung bei gleichzeitiger Bahnverfolgung eines Objekts im erdnahen Orbit.
(Foto: Uwe Bellhäuser/Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR)

5. Ausgesuchte Messergebnisse der Funktionsdemonstration von GESTRA. Links: Im Suchmodus konnten mehr als 200 Objekte pro Stunde detektiert werden. Rechts: Im Tracking-Modus können Objekte gezielt auf ihrer Bahn verfolgt werden.
(Foto: Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN