Berlin/Bonn. Die Streitkräfte sind die elementaren Pfeiler der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Einsatzbefugnisse ergeben sich sowohl aus dem Begriff der Verteidigung als auch aus den flankierenden Normen des Grundgesetzes (Folgeabsätze der Artikel 87a und 35). Doch wie verhalten sich die Einsatzbefugnisse zueinander? Und welche Stelle entscheidet über Vorliegen der Merkmale einer jeweiligen Einsatzbefugnis?
Mit diesen zentralen Fragen hat sich der Rechtswissenschaftler Maximilian Orthmann in seiner bei Duncker & Humblot erschienenen Fachpublikation „Landesverteidigung“ (Untertitel: „Struktur, Reichweite und Entscheidungskompetenzen der Einsatzbefugnisse der Streitkräfte zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland“) befasst. Das Gesamtergebnis seiner Arbeit ist eine in Breite und Tiefe anspruchsvolle Analyse der deutschen Wehrverfassung – auch vor dem Hintergrund neuer Gefahrenpotenziale und Bedrohungsszenarien für unser Land.
Intensiv hat der Autor dabei das systematische Verhältnis der Einsatzbefugnisse sowie der einzelnen Tatbestandsmerkmale zueinander untersucht. So ist ein Gesamtüberblick über die Wehrverfassung Deutschlands entstanden, der dankenswerterweise nicht nur auf eine einzelne Einsatzbefugnis begrenzt ist. Vielmehr ist es Orthmann gelungen, das System der Einsatzbefugnisse in seiner gesamten Struktur sichtbar werden zu lassen und dabei zugleich auch korrespondierende Entscheidungskompetenzen und deren Verhältnis zueinander zu berücksichtigen.
In seiner Einleitung definiert der Autor für den Leser das Ziel seiner Arbeit. Er schreibt unter anderem: „Ziel dieser Abhandlung ist es durch Beleuchtung der wehrverfassungsrechtlichen Einsatzbefugnisse sowie durch Herausarbeiten von Merkmalen und Auslegung der Normen zu einer umfänglich umschreibenden Definition der Einsatzbefugnisse zu gelangen, unter welche einzelne Anwendungsszenarien – etwa ein Cyber-Angriff – zu subsumieren sind.“ Heißt konkret: Orthmann war bestrebt (und – vorweg gesagt – dies ist ihm auch gelungen), eine Definition herauszuarbeiten, die auf eine Vielzahl von Einzelfallbeispielen anwendbar ist.
Dazu urteilte der Rechtswissenschaftler in der Einleitung zu seinem Fachbuch: „Durch die digitale Gefährdungslage erfahren die ,mannigfachen Meinungsverschiedenheiten‘ und Diskussionen um die Reichweite der wehrverfassungsrechtlichen Einsatzbefugnisse eine, an sich nie verlorene, Aktualität, die in einer revidierten Analyse [dieser Einsatzbefugnisse] resultiert.“ Orthmann weiter: „Denn wenn auch bis jetzt eine Vielzahl an Arbeiten über die wehrverfassungsrechtlichen Einsatzbefugnisse publiziert wurde, so bleibt unter Berücksichtigung dieser Beiträge und ausgelöst durch die Neuartigkeit des Gefahrenpotenzials [etwa] von Cyber-Angriffen zu klären, durch welchen Auslöser und inwiefern die wehrverfassungsrechtlichen Einsatzgrundlagen in dem System der wehrverfassungsrechtlichen Sicherheitsarchitektur und gegenseitiger Abhängigkeiten Maßnahmen der Streitkräfte zulassen.“
Am Ende seiner Untersuchungen kommt der Autor zu dem Schluss, dass die in seinem Werk dargestellten Einsatzbefugnisse der deutschen Wehrverfassung ein weitreichendes Schutzpotenzial – auch angesichts neuer Bedrohungsszenarien – bieten. Die historischen Materialien zeigten außerdem eindeutig auf, so Orthmann, dass eine Begrenzung der Einsatzmöglichkeiten „Pate bei der Schaffung des Artikels 87a Grundgesetz sowie der Notstandsnovelle war“. Eine Lückenlosigkeit gebe es auf Grund der begrenzten Einsatzszenarien nicht. Dieses Ergebnis mache allerdings keinesfalls eine Ausweitung der Streitkräftebefugnisse oder gar eine zum Polizeirecht vergleichbare Generalklausel notwendig. Was erforderlich sei, sei eine regelmäßige Überprüfung und gegebenenfalls Überarbeitung der Rahmenbedingungen.
Der Rechtswissenschaftler erinnerte auch daran, dass sich die staatliche Gefährdungslage derzeit deutlich anders präsentiere als die Gefährdungslage der 1960er-Jahre. Jedoch, so Orthmann, handele es sich bei der derzeitigen Fassung des Verteidigungsbegriffs „nicht um den zahnlosen Tiger, wie er mitunter in Bezug auf Terrorismus-Szenarien (Bekämpfung des Terrorismus durch Bundeswehreinsätze im Innern), Seepiraterie (Einsatz der Streitkräfte gegen Kriminelle auf See) oder Cyber-Bedrohungslagen (Cyber-Raum ein verfassungsrechtliches Niemandsland?)“ dargestellt werde.
Die vorliegende Arbeit ist fundamental und richtungweisend. Wenn es denn „ein Haar in der Suppe“ zu entdecken gäbe, dann der Umstand, dass der Inhalt des mit Abbildungen und Anhang (Literatur- und Stichwortverzeichnis) 422 Seiten starken Buches die Aufmerksamkeit des Lesers enorm fordert. Denn bei der Materie (identisch mit einer im Jahr 2021 von Orthmann eingereichten Dissertation) handelt es sich – das verrät schon der Untertitel „Struktur, Reichweite und Entscheidungskompetenzen der Einsatzbefugnisse der Streitkräfte zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland – um fachliche schwere Kost. Da die Zielgruppen dieses Bandes mit der Nummer 21 der Reihe „Recht der inneren und äußeren Sicherheit“ aber wohl eher in (juristischen) Fachkreisen oder Führungskreisen der Bundeswehr zu vermuten sind, dürfte die Frage nach dem Spannungsgehalt der verwendeten Wissenschaftssprache am Schluss zweitrangig sein.
Maximilian Orthmann studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der Université de Fribourg (Schweiz). Anschließend war er als Doktorand am Institut für Öffentliches Recht am Lehrstuhl von Prof. Dr. Philipp Reimer in Bonn tätig.
2021 wurde Orthmann von der Juristischen Fakultät der Universität Bonn zum Dr. iur. promoviert. 2022 legte er sein zweites Staatsexamen ab.
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Bildhinweise:
1. Der Hintergrund unseres kleinen Beitragsbildes zeigt einen Kampfpanzer Leopard 2A7V vom Panzerbataillon 393 auf dem Standortübungsplatz in Bad Frankenhausen. Die Aufnahme stammt vom 6. Oktober 2021. Einmontiert ist das Cover des bei Duncker & Humblot erschienenen Fachbuches „Landesverteidigung“.
(Hintergrundfoto: Marco Dorow/Bundeswehr; Buchcover: Duncker & Humblot GmbH; Bildmontage: mediakompakt)
2. Die Arbeit „Landesverteidigung“ von Autor Maximilian Orthmann ist bei Duncker & Humblot in der Reihe „Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit“ erschienen. Der Inhalt der Fachpublikation war im Jahr 2021 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen worden.
(Buchcover: Duncker & Humblot GmbH; Bildmontage: mediakompakt)