Paris/London/Kuala Lumpur (Malaysia). Eine gute Nachricht kommt aus der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Hier unterhält das Internationale Schifffahrtsbüro (International Maritime Bureau, IMB) seit 1992 ein rund um die Uhr besetztes Meldezentrum für Piraterie. Das IMB, eine Organisationseinheit für „Kriminalitätsabwehr“ der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC), meldete am 13. Januar: „Piraterie und bewaffnete Raubüberfälle auf See sind auf den niedrigsten Stand seit 1994 gesunken.“ Belegt wird dies im Jahresbericht „Piracy and Armed Robbery against Ships“ für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2021 mit umfangreichem Datenmaterial. Gleichwohl mahnt das IMB die Seefahrernationen ausdrücklich zur Vorsicht …
Das IMB führt den Rückgang der Vorfälle auf den Weltmeeren auf die Entschlossenheit der Behörden zurück. Gleichzeitig fordert das Schifffahrtsbüro, das koordinierte Vorgehen der verantwortlichen Stellen und die Wachsamkeit auf See beizubehalten, um den Schutz der Seeleute langfristig zu gewährleisten.
IMB-Direktor Michael Howlett sagte am Tag der Veröffentlichung des aktuellen Berichts: „Wir begrüßen den allgemeine Rückgang der weltweit gemeldeten Vorfälle und fordern die Küstenstaaten auf, das weiterhin bestehende Risiko von Piraterie und bewaffneten Raubüberfällen anzuerkennen und dieses Verbrechen in den Gewässern ihrer jeweiligen Wirtschaftszone entsprechend konsequent zu bekämpfen. Unser Piracy Reporting Centre wird sich dabei auch künftig aktiv für einen Informationsaustausch mit den betroffenen Staaten einsetzen, um die Sicherheit von Seeleuten und Handel zu fördern.“
Im Jahr 2021 erhielt das IMB Piracy Reporting Centre 132 Meldungen zu Angriffen von Piraten und bewaffneten Raubüberfällen auf Schiffe. Die Vorfälle umfassten 115 Schiffe, die geentert wurden. Es gab elf versuchte Angriffe. Fünf Schiffe wurden beschossen, ein Schiff wurde gekapert.
Die verstärkte Präsenz internationaler Marineschiffe in den kritischen Regionen und die Zusammenarbeit mit den regionalen Behörden haben sich nach Ansicht des IMB positiv ausgewirkt. Gelobt wird von der Organisation dabei besonders das robuste Vorgehen der dänischen Marine bei der Neutralisierung einer mutmaßlichen Piratengruppe Ende November vergangenen Jahres.
Der allgemeine Rückgang der gemeldeten Vorfälle im Jahr 2021 sei auf ein Absinken der gemeldeten Aktivitäten in der Region des Golfs von Guinea zurückzuführen, so das Piracy Reporting Centre. Dort sei die Zahl von 81 gemeldeten Vorfällen im Jahr 2020 auf 34 im Jahr 2021 gesunken. Weiter schreibt das IMB in seinem Jahresbericht: „Obwohl die Entführungen auf See im Jahr 2021 um 55 Prozent zurückgingen, ist der Golf von Guinea mit 57 entführten Besatzungsmitgliedern in sieben separaten Fällen weiterhin für alle Entführungsfälle weltweit verantwortlich.“
Das Piracy Reporting Centre begrüßt den regionalen Rückgang, warnt jedoch davor, dass die Bedrohung für Seeleute auch zukünftig bestehen könnte. Schiffsbesatzungen, die die kritischen Gewässer befahren, werden auch weiterhin zur Vorsicht angehalten. Die Täter seien nach wie vor gewalttätig und das Risiko für die Besatzungen bleibe hoch, so das Büro. Ein Beispiel dafür sei die Entführung von sechs Besatzungsmitgliedern eines Containerschiffs Mitte Dezember 2021.
IMB-Chef Howlett über die Situation im Golf von Guinea: „Das IMB lobt das entschlossene Handeln der internationalen Seestreitkräfte und der regionalen Behörden im Golf. Dies hat offenbar zum Rückgang der gemeldeten Vorfälle beigetragen und für die Sicherheit der Besatzungen und des Handels gesorgt.“ Das IMB fordere nun die Golfanrainer auf, so Howlett, ihre Zusammenarbeit und physische Präsenz in ihren Gewässern zu verstärken, um eine langfristige und nachhaltige Lösung zur Bekämpfung von Seepiraterie in der Region zu gewährleisten.
Im vergangenen Jahr wurden dem Piraterie-Meldezentrum in Kuala Lumpur 35 Übergriffe auf Schiffe in der Straße von Singapur gemeldet, ein Anstieg um 50 Prozent gegenüber 2020 und die höchste Zahl an gemeldeten Übergriffen seit 1992.
Bei 33 der 35 Vorfälle wurden Schiffe geentert, und obwohl es sich zumeist um Gelegenheitsdiebstähle handelte, wurden zwei Besatzungsmitglieder in zwei Fällen verletzt. Bei 13 der gemeldeten Vorfälle wurden auch Messer und bei zwei weiteren Vorfällen Schusswaffen eingesetzt.
Das IMB Piracy Reporting Centre würdigt in seinem Bericht die anhaltenden Bemühungen der indonesischen Seepolizei. Dies habe dazu geführt, dass die Zahl der Vorfälle im indonesischen Archipel weiterhin rückläufig seien. Das Schifffahrtsbüro: „2021 wurden nur noch neun Vorfälle gemeldet, im Jahr 2020 waren es noch 26. Von den gemeldeten Vorfällen ereigneten sich vier vor Jakarta, bei mindestens fünf Vorfällen, bei denen eine Besatzung bedroht wurde, wurden Messer eingesetzt.“
Im Dezember enterten vier als Fischer getarnte und mit Pistolen und Messern bewaffnete Personen in Port au Prince auf Haiti einen Massengutfrachter. Sie bedrohten die diensthabende Besatzung. Wachleute lieferten sich schließlich einen Schusswechsel, bei dem zwei der Täter getötet wurden.
Südamerikanische Häfen in Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Peru sowie Häfen in Mexiko und Haiti sind weiterhin von bewaffneten Raubüberfällen auf See betroffen. Das IMB nennt Details: „Im Jahr 2021 wurden 36 Vorfälle gemeldet, verglichen mit 30 im Jahr 2020, wobei sechs Besatzungsmitglieder bedroht, vier als Geiseln genommen und zwei angegriffen wurden. Insgesamt wurden einunddreißig Schiffe geentert, die meisten davon vor Anker. Die Zahlen für die Region beinhalten drei versuchte Entführungen und zwei Schiffe, auf die geschossen wurde.“
Die Vorfälle am peruanischen Ankerplatz Callao hätten sich von acht im Jahr 2020 auf 18 im Jahr 2021 mehr als verdoppelt, meldet das Büro besorgt.
Entwarnung – zumindest vorläufig – im Seegebiet vor Somalia. Während die unmittelbare Bedrohung durch somalische Piraten zurückgegangen zu sein scheint (im September wurde die Ausweisung als Hochrisikogebiet überarbeitet), ruft das Piracy Reporting Centre die Kapitäne weiterhin zur Wachsamkeit auf. Dies gelte insbesondere bei Fahrten in der Nähe der somalischen Küste.
Einen entscheidenden Beitrag zur gegenwärtigen zufriedenstellenden Situation hat auch die Bundeswehr geleistet (siehe dazu auch unsere früheren Beiträge – beispielsweise hier oder hier). Sie stellte immer wieder Personal, Schiffe und Flugzeuge für die Mission EU NAVFOR Somalia – Operation „Atalanta“ der Europäischen Union, die seit Dezember 2008 das Ziel verfolgt, die Piraten am Horn von Afrika und im Seegebiet bis zu 500 Seemeilen vor der Küste Somalias und der somalischen Nachbarländer abzuschrecken und die Seeräuberei einzudämmen. Vorrangig wurden und werden nach wie vor die Schiffe für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (UN World Food Programme, WFP) geschützt. Aber auch anderen Schiffen mit humanitären Hilfsgütern, Schiffen unter EU-Flagge oder Schiffen teilnehmender Nationen erhalten militärische Hilfe.
Die Deutsche Marine war seit Anbeginn von „Atalanta“ mit Fregatten, Korvetten und Einsatzgruppenversorger, aber auch mit Seefernaufklärern vom Typ P-3C Orion vor Somalias Küste präsent. Hinzu kam das Unterstützungspersonal, das den logistischen Stützpunkt der Mission in Dschibuti betrieb.
Mit Ablauf des 31. Mai 2021 endet der deutsche Beitrag an der Operation „Atalanta“ mit einem Deutschen Einsatzkontingent und der regelmäßigen Gestellung eines Seefernaufklärers in Dschibuti. Das weitere deutsche Engagement im Rahmen dieser EU-Mission soll nun in Form seegehender Marineeinheiten, mit qualifiziertem Einzelpersonal im Operational Headquarters im spanischen Rota sowie im deutschen Verbindungskommando des United States Naval Forces Central Command in Manama in Bahrain realisiert werden.
Am 16. April 2021 endete schließlich die Stationierung von Bundeswehrangehörigen in Dschibuti. Nach dem Einholen der Bundesdienstflagge am Hangar auf der Base Aérienne, dem Flugplatz des Detachements für die P-3C, löste der letzte Kontingentführer, Fregattenkapitän Michael Langhof, das 32. und vorerst letzte deutsche Einsatzkontingent am Horn von Afrika auf. Deutsche Verbindungsoffiziere sind jedoch weiterhin in Rota und in Bahrain eingesetzt (mit Stand 10. Januar 2022 insgesamt sechs Bundeswehrsoldaten).
Als Erfolge der EU-Mission vor Somalia sind zu nennen: Alle Schiffe, die im Rahmen des Welternährungsprogramms eingesetzt wurden, haben ihre Zielhäfen erreicht. Zudem gelang ein Zurückdrängen der Piraterie.
Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia – Operation „Atalanta“ beziffert die Bundesregierung für den Zeitraum 1. Mai 2021 bis 30. April 2022 mit „voraussichtlich insgesamt rund 21,4 Millionen Euro“.
Seit seiner Gründung im Jahr 1991 ist das IMB Piracy Reporting Centre eine zentrale Anlaufstelle, bei der rund um die Uhr alle Fälle von Piraterie und bewaffneten Raubüberfällen auf See gemeldet werden können. Im Einklang mit den Zielen der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC), der weltweit größten Wirtschaftsorganisation mit einem Netzwerk von 45 Millionen Mitgliedern in mehr als 100 Ländern, trägt das Zentrum zur globalen Bekämpfung der Seepiraterie bei.
Dies geschieht durch die unverzügliche Weiterleitung von Meldungen und die Verbindung zu den Einsatzkräften, die Weiterleitung von Meldungen an die Schifffahrt über GMDSS Safety Net Services und E-Mail-Warnungen an die Chief Security Officers (CSO).
Das IMB der ICC fordert Schiffskapitäne und Reeder auf, alle tatsächlichen, versuchten und vermuteten Vorfälle von Piraterie und bewaffneten Raubüberfällen sofort an das Piracy Reporting Centre in Kuala Lumpur in Malaysia zu melden.
Das ICC gründete Anfang der frühen 1980er-Jahre in London insgesamt drei Büros zur Verbrechensbekämpfung. Das International Maritime Bureau überwacht Piraterie und beschäftigt sich mit anderen relevanten Fragen der Kriminalität auf den Meeren. Für Geldwäsche und Betrugsfälle ist das Financial Investigation Bureau (FIB) zuständig. Das Counterfeiting Intelligence Bureau (CIB) verfolgt Fälle von Marken- und Produktpiraterie.
Zu unserem Bildmaterial:
1. April 2013 – Bundeswehrsoldat an Bord der Fregatte „Karlsruhe“, die zu diesem Zeitpunkt fünf Monate im Einsatz bei der Mission EU NAVFOR Somalia – Operation „Atalanta“ der Europäischen Union gewesen war. Die „Karlsruhe“ wurde damals von der Fregatte „Augsburg“ abgelöst. Der Marineangehörige trägt auf dem Ärmel das Abzeichen der EU-Mission.
(Foto: EU Naval Force Media and Public Information Office)
2. März 2012 – Ein Boarding-Team der Fregatte „Köln“ stoppt im Rahmen von EU NAVFOR Somalia – Operation „Atalanta“ vor der somalischen Küste ein verdächtiges Boot.
(Foto: EU Naval Force Media and Public Information Office)
Kleines Beitragsbild: Symbolbild „Seepiraterie“.
(Bild: nr; Bildmontage mediakompakt)