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Regensburg. Am 24. Februar begann der militärische Überfall Russlands auf die Ukraine. Seitdem dauert der Angriffskrieg Moskaus mit zunehmender Härte und immer größeren Zerstörung an. Die genauen Opferzahlen sind unbekannt. Mehr als drei Millionen Menschen haben nach Angaben des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen UNHCR bislang die Ukraine verlassen. Die NATO- und EU-Staaten haben umfangreiche Sanktionen gegen Russland beschlossen. Die Ukraine erhält humanitäre Hilfslieferungen. Viele Staaten, darunter auch Deutschland, liefern zudem Waffen zur Verteidigung des Landes.

Bereits seit Herbst vergangenen Jahres gab es Berichte über einen massiven russischen Militäraufmarsch entlang der ukrainischen Außengrenzen. Russland stritt damals eventuelle Angriffspläne ab und beschuldigte die NATO, verstärkt in der Region aktiv zu sein. Im Dezember dann veröffentlichte Russland einen Entwurf für ein so genanntes „Sicherheitsabkommen“ mit den USA und der NATO. Darin wurde unter anderem der Abzug aller Bündnistruppen aus den seit 1999 beigetretenen osteuropäischen Ländern sowie ein Aufnahmestopp für Nachfolgestaaten der 1991 aufgelösten Sowjetunion gefordert. Die USA und andere NATO-Staaten lehnten diese Forderung als Verhandlungsgrundlage ab.

Wiederkehrender Streitpunkt zwischen Russland und der NATO ist der von Russland geäußerte Vorwurf, die Allianz hätte in den 1990er-Jahren verbindliche Zusagen an die Sowjetunion beziehungsweise den Rechtsnachfolger Russland getätigt, das Bündnis nicht weiter nach Osten auszudehnen. Die NATO bestreitet dies.

Kreml-Machthaber Putin spricht der Ukraine das Existenzrecht ab

Einige Experten wandten inzwischen ein, dass es Russlands Präsident Wladimir Putin gar nicht um die von ihm behaupteten „Erweiterungspläne“ der NATO gehe. Vielmehr stellten die rechtsstaatlichen Reformen und der Aufbau einer funktionierenden Demokratie in der Ukraine ein politisches Risiko für das autoritäre Regime im Moskau dar. Die Westorientierung der Ukraine bedeute außerdem einen Verlust der russischen Einflusssphäre, so diese Stimmen.

In einem langen Essay mit dem Titel „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“ leugnete Putin im Sommer 2021 faktisch das Existenzrecht der Ukraine. Diplomatische Bemühungen zur Beilegung der Krise blieben erfolglos. Am Abend des 21. Februar verkündete Russland die Anerkennung der seit 2014 umkämpften so genannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in der Ostukraine. In der Nacht darauf rückten russische Truppen in das völkerrechtlich zur Ukraine gehörende Gebiet ein.

Mit dem Krieg in der Ukraine und den mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen auf Europa und insbesondere Deutschland befasste sich am gestrigen Freitag (18. März) der Chefredakteur der Mittelbayerischen Zeitung, Gerd Schneider.


Gerd Schneider, Mittelbayerische Zeitung: An den Börsen wird die Zukunft gehandelt. Das heißt nicht, dass man mittels der Kursverläufe künftige Entwicklungen vorhersagen kann. Stattdessen bildet das Hoch und Nieder an den Finanzmärkten nur die Erwartungen der Marktteilnehmer ab. Und die sind in diesen Wochen, nicht unüblich für Krisenzeiten, vollkommen uneinheitlich.

Seit die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist, fahren die Börsen Achterbahn. Mal fallen die Kurse ins scheinbar Bodenlose, dann geht es steil nach oben, ohne dass sich dahinter ein schlüssiges Muster erkennen ließe. Spekulanten mit eisernen Nerven mag dieses Chaos beglücken. Insgesamt sind Kurskapriolen mit extremen Ausschlägen kein gutes Zeichen.

Tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass gerade wir Deutschen uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass die fetten Jahre hinter uns liegen. Für das Gros der Gesellschaft ist das eine ganz neue Erfahrung. Wir haben uns daran gewöhnt, dass all die Turbulenzen und Erschütterungen, die wir in den vergangenen 30 Jahren erlebt haben, irgendwie an uns vorüberzogen. Die Anschläge vom 11. September 2001, der Krieg in Afghanistan, die Finanzkrise 2008, Russlands Besetzung der Krim, Trumps Wahl zum US-Präsidenten: All das spielte sich vor unseren Augen ab, ohne dass es direkte Folgen für unsere Art zu leben hatte und ohne dass wir den Gürtel enger schnallen mussten. Die Blase, die das Land umgab, schien unzerstörbar zu sein.

Der Krieg, der seit ein paar Wochen in Europa tobt, hat uns diese Gewissheit genommen. Für die meisten Deutschen ist das ein Schock. Die Ereignisse in der Ukraine könnten uns lehren, dass ewiger Wohlstand und die Abwesenheit von existenziellen Krisen kein Naturrecht sind.

Noch lässt sich nur ahnen, welche Zumutungen aus dem Krieg und dem Wirtschaftsembargo des Westens erwachsen. Das betrifft viele Länder; aber ganz besonders die Exportnation Deutschland. Man muss sich hüten, Panik zu schüren. Doch wenn man manchen Wissenschaftlern glaubt, könnte es wirklich hart werden. Vor allem dann, wenn sich die Regierung doch noch dazu aufraffen sollte, den russischen Gasröhren den Hahn zuzudrehen.

Neben dem Krieg vor unserer Haustür gibt es noch einen weiteren „Schwarzen Schwan“, der das Land auf eine schwere Probe stellt: die Rückkehr der Inflation. Selbst die Europäische Zentralbank, die mit ihrer expansiven Geldpolitik die Geister rief und sie lange ignoriert hat, räumt inzwischen ein, dass sie mit ihrer Einschätzung falsch lag. Noch ist in den meisten Köpfen nicht angekommen, was es bedeutet, jährlich fünf oder sechs Prozent seiner Ersparnisse durch Geldentwertung zu verlieren. Vermutlich wird man sich daran gewöhnen müssen. Inflation, das zeigt die Geschichte, gibt nur selten ein kurzes Gastspiel.

Hinzu kommen hausgemachte Probleme. 100 Milliarden will die Regierung allein in die Bundeswehr stecken. Die Folgen des Ukraine-Krieges werden uns noch viel mehr kosten. Jetzt fällt uns auf die Füße, dass die Regierung in den vergangenen Jahren Wohltaten wie Rente mit 63 und Mütterrente verteilt hat, als gäbe es kein Morgen. Der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt hat ein Maß erreicht, das selbst Ökonomen mit sozialdemokratischem Hintergrund unverantwortlich nennen. Auch die Staatsquote, der Anteil der Ausgaben für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, wächst uferlos. Ministerien und Verwaltungsapparate werden immer weiter aufgebläht, die allgegenwärtige Bürokratie legt sich wie Mehltau übers Land. Man könnte diese Liste des Grauens noch weiter fortsetzen. Da ist der Fachkräftemangel als Folge der Überalterung. Oder die Frage, wie sich Schwund und Wohlstandsverlust auf die Akzeptanz der Energiewende auswirken.

Der Ukraine-Krieg könnte für Deutschland eine Zäsur sein, eine Revision unseres Lebensstils. Es gibt Wichtigeres als Wohlstand, die Freiheit. Gegen sie vor allem führt Putin Krieg.


Randnotiz                                  

Die Mittelbayerische Zeitung ist eine regionale Tageszeitung mit Sitz in Regensburg, erstmals erschienen am 23. Oktober 1945. Sie gehört zur Unternehmensgruppe Mittelbayerischer Verlag KG.

Gerd Schneider ist seit Februar dieses Jahres bei der Mittelbayerischen Zeitung nach der Übernahme durch die Verlagsgruppe Passau neuer Chefredakteur. Der 58-Jährige war zuvor bereits Chefredakteur des auch zur Verlagsgruppe gehörenden Donaukurier in Ingolstadt.

Die Verlagsgruppe rund um die Passauer Neue Presse hatte die Mittelbayerische 2021 übernommen. Durch das Geschäft entstand ein Verbreitungsgebiet vom Osten Bayerns bis nach Ingolstadt in Oberbayern mit dem dort vor knapp fünf Jahren gekauften Donaukurier.

Schneider war schon einmal bei der Mittelbayerischen Zeitung – von 2007 bis 2010 als Chef der Sportredaktion.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Symbolbild „Presselandschaft“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: Michael Gaida/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich)

2. Verwüstungen in Charkiw durch russischen Raketenbeschuss. Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine und mit mehr als 40 Universitäten und Hochschulen nach Kiew das bedeutendste Wissenschafts- und Bildungszentrum des Landes.
(Bild: nr/Twitter)

3. Weltweit finden Demonstrationen gegen den Krieg Putins in der Ukraine statt. Die Aufnahme entstand bei einer Protestkundgebung am 19. März 2022 in München.
(Bild: nr/Twitter)

Kleines Beitragsbild: Symboldarstellung „Zeitungen“ aus dem Bildangebot von Pixabay.
(Foto: kalhh/freie kommerzielle Nutzung, kein Bildnachweis erforderlich; grafische Bearbeitung mediakompakt)


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