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Berlin. In deutscher Nord- und Ostsee lagern Altlasten von rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und etwa 5000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, die in den beiden Weltkriegen durch Militäroperationen oder danach durch Verklappung versenkt wurden. Dies gefährdet Schiffsverkehr, Fischerei, Tourismus, Menschen an Stränden sowie die Meeresumwelt und behindert Offshore-Installationen und Seekabel-Verlegungen. Jetzt befasste sich der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages mit der Problematik. Für das Sofortprogramm „Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee“ sollen im kommenden Jahr zusätzliche Mittel in Höhe von acht Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

Dies beschloss der Ausschuss am gestrigen Donnerstag (13. Oktober) auf Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Die Entscheidung fiel im Rahmen der Beratungen zum Etat des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Einzelplan 16).

Für den entsprechenden Titel „Nationaler Meeresschutz“ sind nunmehr 30 Millionen Euro gegenüber 22 Millionen Euro im Regierungsentwurf veranschlagt. Auch Union und Linke hatten zu dem Themenbereich Vorschläge vorgelegt. Den um sechs Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen ergänzten Einzelplan nahm der Ausschuss schließlich mit Koalitionsmehrheit gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen von CDU/CSU, AfD und Linke an.

Keine Mehrheit für den Unionsvorschlag „schwimmende Plattform“

Die Erhöhung von Ansätzen unter anderem für das Munitionsaltlasten-Sofortprogramm soll mit deutlichen Kürzungen in den Titeln „Förderung der Entwicklung digitaler Lösungen für den Umweltschutz“ (minus 4 Millionen Euro auf 3,5 Millionen Euro) und „Förderung nachhaltiger Infrastrukturen in Rechenzentren“ (minus 5,8 Millionen Euro auf 4 Millionen Euro) gegenfinanziert werden. Zur Begründung wiesen die Koalitionsfraktionen darauf hin, dass in den Jahren 2020 und 2021 kaum beziehungsweise keine Mittel abgeflossen seien.

Keine Mehrheiten fanden Änderungsanträge der Oppositionsfraktionen. Die CDU/CSU beispielsweise hatte acht Änderungsanträge und einen Maßgabebeschluss (er bezog sich ebenfalls auf die Munitionsaltlasten) vorgelegt. Unter anderem forderte die Unionsfraktion, 80 Millionen Euro im Haushalt zu veranschlagen, um eine schwimmende Plattform zur Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlasten im Meer zu beschaffen.

Zudem schlugen die Unionspolitiker analog ein Bundesprogramm für die Entfernung von Munitionsaltlasten an Land mit einem Volumen von zehn Millionen Euro vor (gegenfinanziert werden sollten diese Änderungen unter anderem durch eine Bedarfsanpassung beim Bundesnaturschutzfonds und beim Ansatz „Endlagerung und Standortauswahlverfahren“).

Metallhüllen der Munitionskörper rosten mit der Zeit am Meeresgrund durch

Wie nun sehen die verschiedenen Schadstoffbelastungen in den deutschen Gewässern aus? Das Umweltbundesamt klärte dazu im März dieses Jahres in seinem Onlinebeitrag „Munition im Meer“ auf.

Bei der Schadstoffbelastung durch konventionelle Munition besteht das eigentliche Problem darin, dass die Metallhüllen der Munitionskörper – beispielsweis Bomben, Minen oder Granaten – mit der Zeit durchrosten und dabei die enthaltenen Schadstoffe in die Meeresumwelt freisetzen. Bei den Schadstoffen handelt es sich bei konventioneller Munition um sogenannte Sprengstoff-typische Verbindungen (STV) wie 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT) und weitere Nitroaromaten, dazu Hexahydro-1,3,5-trinitro-1,3,5-triazin (RDX) oder Octahydro-1,3,5,7-tetranitro-1,3,5,7-tetrazocine (HMX). Insbesondere TNT und seine ⁠Metabolite⁠ sind als Nitroaromaten giftig, krebserzeugend und zudem erbgutverändernd.

Neben den Sprengstoff-typischen Verbindungen enthält die konventionelle Munition auch Schwermetalle wie Quecksilber. Auch die Schwermetalle gelangen nach dem Wegrosten der Metallhüllen in die Meeresumwelt.

Der analytische Nachweis dieser Chemikalien in der Meeresumwelt ist nicht einfach, da sie zurzeit noch in sehr geringen Konzentrationen auftreten und nur in der Nähe der Versenkungsgebiete höhere Konzentrationen erreichen und sich in Meeresorganismen wie Muscheln anreichern können.

Das Umweltbundesamt hat daher das Institut für Toxikologie und Pharmakologie für Naturwissenschaftler des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel beauftragt, verschiedene biologische Proben (etwa Muscheln und Fische, aber auch marine Säuger) sowie Sediment auf verschiedene Sprengstoff-typische Verbindungen sowie ihre Metaboliten zu analysieren. Die gewonnenen Daten zur räumlichen Verbreitung und zeitlichen Entwicklung von STV in marinen Organismen werden toxikologisch bewertet. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Anfang 2023 veröffentlicht.

Unfälle mit dem Kampfstoff Zäh-Lost nahe der dänischen Ostseeinsel Bornholm

Bei der Schadstoffbelastung durch chemische Munition ist bekannt, dass in der Ostsee deutlich mehr chemische Munition (rund 5000 Tonnen) versenkt wurde als in der Nordsee (etwa 90 Tonnen im „Helgoländer Loch“).

Chemische Kampfstoffe sind militärisch genutzte chemische Verbindungen, die die physiologischen Funktionen des menschlichen Organismus dermaßen stören, dass die Kampffähigkeit der Soldaten beeinträchtigt oder sogar der Tod herbeigeführt wird. Sie wurden im Ersten Weltkrieg eingesetzt, im Zweiten Weltkrieg nur produziert. Dabei handelt es sich um folgende Stoffe: Überwiegend S-Lost (Hautkampfstoff), Tabun (Nervenkampfstoff), Phosgen (Lungenkampfstoff), Chloracetophen (Augenreizstoff) sowie Clark I, Clark II, Adamsit und Arsinöl (Nasen- und Rachenreizstoffe).

Über die Gefahren für die Meeresumwelt, die von diesen versenkten Kampfstoffen ausgehen, schreibt das Umweltbundesamt mit Bezug auf entsprechende Fachberichte:

Mit Ausnahme von Tabun sind alle genannten Kampfstoffe schwerer als Meerwasser oder zersetzen sich im Wasser. Versenkter Kampfstoff zeigt somit keine Tendenz, an die Meeresoberfläche aufzusteigen und dort verdriftet zu werden. Bei der Reaktion der Kampfstoffe mit Wasser durch Hydrolyse entstehen weniger toxische Stoffe. Ausnahmen stellen Zäh-Lost (⁠Mischung⁠ von S-Lost mit Verdickungsmittel) und arsenhaltige Verbindungen dar. Zäh-Lost (und in geringerem Maße auch normales S-Lost) kann auch längere Zeit nach Freisetzung aus Munitionsbehältern in Form von mehr oder weniger großen, elastischen Brocken auftreten und noch seine volle Wirksamkeit als Hautkampfstoff entfalten, wenn es, etwa durch Hängenbleiben in Fischernetzen, an die Meeresoberfläche gelangt und dort mit der Haut in Berührung kommt. Die arsenhaltigen Verbindungen Clark I, Clark II und Adamsit können aufgrund ihrer Beständigkeit auch längerfristig im marinen Milieu existieren und insbesondere im Sediment lokal in höheren Konzentrationen verbleiben. Sie bilden jedoch keine Klumpen wie Zäh-Lost.

Die meisten der bisher bekannten Unfälle mit Kampfstoffen wurden durch Zäh-Lost rund um das Versenkungsgebiet östlich der dänischen Ostseeinsel Bornholm verursacht, wobei Klumpen von Zäh-Lost in Fischernetze gerieten.

Weißer Phosphor an den Stränden der Ostsee und auch Nordsee

Und schließlich die Schadstoffbelastung durch weißen Phosphor: Weißer Phosphor fand als Wirkmittel in bestimmter Brandmunition Verwendung (beispielsweise Phosphor-Brandbomben). Er stellt eine Modifikation des elementaren Phosphors dar und entzündet sich bei 20 bis 40 Grad Celsius mit Sauerstoff von selbst und brennt mit bis zu 1300 Grad Celsius.

Bis heute werden Brocken von weißem Phosphor, die wie Bernstein aussehen, an deutsche Strände gespült, insbesondere bei Usedom, wo mehr als 1,2 Tonnen durch Fehlwürfe von Brandbomben ins Meer gelangten. Hier weisen Warntafeln die Urlauber auf die Gefahren hin. Durch Verwechslungen mit Bernstein können Unfälle durch Strandfunde von weißem Phosphor eher an den Ostseestränden als an der Nordsee auftreten.

Daten- und Informationslage zur Gefährdung der Meeresumwelt verbessern

Momentan wird bei einer Gefährdung der Schifffahrt durch Munitionsaltlasten diese durch Kampfmittelräumdienste entschärft, geborgen und zur einzigen deutschen Entsorgungsanlage GEKA im niedersächsischen Munster (GEKA = Gesellschaft zur Entsorgung chemischer Kampfstoffe und Rüstungsaltlasten) gebracht.

Falls eine Entschärfung durch Taucher nicht möglich ist, wird die Munition direkt gesprengt. Da dabei die Schadstoffe nicht vollständig vernichtet, sondern erst recht in die Umwelt freigesetzt werden, sollten Sprengungen allerdings nach Möglichkeit vermieden werden. Zudem können Sprengungen durch den Unterwasserknall das Gehör von Meeressäugern verletzen.

Im Jahr 2019 hat die Umweltministerkonferenz beschlossen, die Daten- und Informationslage zur Gefährdung der Meeresumwelt durch Munitionsaltlasten zu verbessern und auf dieser Grundlage über die Notwendigkeit und Eignung von Maßnahmen – einschließlich Bergung und Entsorgung – zu befinden und mit der Ostsee zu beginnen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Munitionsaltlasten in der Ostsee.
(Foto: Jana Ulrich/Forschungstauchzentrum der Christian-Albrechts-Universität/CAU zu Kiel)

2. Die Überreste zweier Weltkriege in Nord- und Ostsee stellen heute eine enorme Gefahr für Schifffahrt, Fischerei, Gesundheit und das Meeresökosystem dar.
(Grafik: Forsvarets forskingsinstitutt – the Norwegian Defence Research Establishment, FFI)

Kleines Beitragsbild: Eine Forschungstaucherin über einem immer noch gut erhaltenen Torpedokopf in der Ostsee.
(Foto: Jana Ulrich/Forschungstauchzentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, CAU)


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