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Berlin/Bamako, Gao (Mali). Nach dem desaströsen Ende der internationalen Militärmission in Afghanistan will offenbar ein Großteil der deutschen Bevölkerung den momentan größten Auslandseinsatz der Bundeswehr, MINUSMA im westafrikanischen Mali, beendet sehen. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor, die am gestrigen Freitag (3. August) von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verbreitet wurde.

Der MINUSMA-Einsatz gilt als derzeit gefährlichste Bundeswehr-Mission überhaupt (MINUSMA = United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali). Erst im Juni wurden dort bei einem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe zwölf Bundeswehrsoldaten zum Teil schwer verletzt (siehe hier und auch hier). Bei der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (VN) sind seit dem 25. April 2013, dem Beginn von MINUSMA, bis jetzt – Stand 17. August 2021 –nach VN-Angaben 253 Soldaten und Mitarbeiter ums Leben gekommen.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt auch der am vergangenen Montag (30. August) veröffentlichte VN-Quartalsbericht über MINUSMA. Die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, so heißt es in dem Report für den Zeitraum 1. April bis 30. Juni 2021, habe in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Zwischen April und Juni seien mindestens 527 Menschen getötet, verletzt oder entführt worden. Im Vergleich zum ersten Quartal (1. Januar bis 31. März 2021) sei dies ein Anstieg der Verbrechen um mehr als 25 Prozent. Schuld daran seien vor allem radikalislamistische Gruppierungen, aber auch Angehörige der malischen Armee und in Mali operierende regionale Kräfte.

Fast die Hälfte der Befragten will Abzug aus dem westafrikanischen Krisenland

Wie die von YouGov im Zeitraum 27. bis 31. August 2021 unter 2022 Personen erhobenen Daten zeigen, sprechen sich 44 Prozent der Befragten für den Abzug der deutschen Soldaten aus dem westafrikanischen Krisenland aus. Lediglich 23 Prozent sind für eine Fortsetzung des Einsatzes. 33 Prozent machten keine Angaben.

Gegen eine Fortsetzung des Mali/MINUSMA-Einsatzes sind vor allem die Wähler der AfD (76 Prozent) und der Linken (58). Dahinter folgen CDU/CSU (43), SPD (40), Grüne (38) und FDP (37).

Die Umfrageergebnisse wurden YouGov zufolge „gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren“.

Rund 362,1 Millionen Euro für ein weiteres Mali-Jahr

Der Deutsche Bundestag mandatierte am 28. Februar 2013 erstmals zwei Einsätze der Bundeswehr in Mali. Die EU-geführte Ausbildungsmission „European Training Mission Mali“ (EUTM Mali) soll das malische Militär befähigen, für die Sicherheit des Landes in eigener Verantwortung zu sorgen. Im zweiten Beschluss ging es zunächst um die logistische Unterstützung einer gemeinsamen, Afrika-geführten Mission AFISMA (African-led International Support Mission to Mali).

Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im April 2013 mit der Resolution 2100 (2013) die Einrichtung der Stabilisierungsmission MINUSMA als Nachfolgemission beschlossen hatte, billigte der Bundestag am 27. Juni 2013 die deutsche Beteiligung daran. Das Mandat erlaubt eine Obergrenze von 1100 Bundeswehrsoldaten.

Das Parlament hat am 19. Mai 2021 nach einer kurzen Debatte der Fortsetzung der Bundeswehrbeteiligung an MINUSMA zugestimmt. In namentlicher Abstimmung votierten 499 Abgeordneten für den Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des Mandats um ein weiteres Jahr bis zum 31. Mai 2022, 147 stimmten dagegen, es gab drei Enthaltungen.

Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für MINUMSA werden für den Zeitraum 1. Juni 2021 bis 31. Mai 2022 laut Bundesregierung voraussichtlich insgesamt rund 362,1 Millionen Euro betragen.

Deutschland ist „Anlehnnation“ für weitere multinationale Truppensteller

Die Bundeswehr unterstützt MINUSMA durch die Bereitstellung eines gemischten Aufklärungsverbandes mit Objektschutz- und Aufklärungskräften inklusive der Hochwertfähigkeit Drohne Heron 1, dem Flugabwehrwaffensystem MANTIS in der Konfiguration „Aufklärung und Warnung“ („Sense & Warn“) sowie erforderlichen Einsatzunterstützungs- und IT-Kräften. Dies wird ergänzt durch Expertise mit Einzelpersonal in den Stäben der Mission und mit den Fähigkeiten der geografischen Informationsberatung sowie der Bereitstellung von Brandschutz- und Bodendiensten zur Unterstützung des Flugbetriebs in Gao.

Deutschland fungiert als Anlehnnation für Beiträge weiterer multinationaler Truppensteller. Soldaten aus Belgien, Estland, Irland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz sind in das deutsche Kontingent integriert. Zudem wurden sowohl das schwedische als auch das britische Einsatzkontingent in Gao in das von Deutschland geführte Camp Castor eingebunden, wodurch sich erhebliche Synergien in der Einsatzunterstützung ergeben.

Darüber hinaus stellt Deutschland mit dem Lufttransportstützpunkt in Niamey, Republik Niger, den taktischen und strategischen Patienten-Lufttransport sowie die logistische Unterstützung der Bundeswehrangehörigen und ihrer Partner bei MINUSMA sicher.

Das militärische Engagement bei MINUSMA wird durch den Einsatz von bis zu 20 deutschen Polizeikräften ergänzt.

Islamistische Ideologen, Terrormilizen und organisierte Kriminalität

In ihrem Antrag zur erneuten MINUSMA-Mandatsverlängerung vom 21. April 2021 machte die Bundesregierung einmal mehr deutlich, warum sich die Bundeswehr auch in diesem Teil der Welt engagiert. Über die politischen Rahmenbedingungen in Mali heißt es in dem Papier: „Die Sahel-Region ist seit dem Vormarsch islamistischer Milizen auf die malische Hauptstadt Bamako Anfang 2012 Schauplatz wachsender Instabilität. Nachdem die islamistischen Gruppen 2012 durch ein Eingreifen des französischen Militärs zunächst gestoppt und zurückgeschlagen werden konnten, sind sie nach einer Konsolidierungsphase zu einem asymmetrischen Terrorkampf übergegangen. Ableger der al-Qaida (Jama’at Nusrat al-Islam wa al-Muslimeen/JNIM) und des selbsternannten „Islamischen Staates“ (Islamic State in the Greater Sahara/IS-GS) zielen mit terroristischen Mitteln darauf ab, ihren Einfluss auszuweiten, Ressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen und ihre islamistische Ideologie zu verbreiten. Dabei sind sie eng mit Strukturen der organisierten Kriminalität verbunden. Sie bedrohen die Sicherheit und Stabilität sowie die Entwicklungschancen der gesamten Region. Hiervon zeugt auch das rapide Anwachsen der Zahl der Binnenvertriebenen.“

Die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Sahel-Region und die Ausweitung des Einflusses global vernetzter Terrorgruppen berührten außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und Europas unmittelbar, so die Bundesregierung weiter. Ziel des Engagements in Mali und in der Region sei daher, dass die Regierungen im Sahel mittel- und langfristig Sicherheit auf ihrem Staatsgebiet weitgehend selbst garantieren könnten, eine Grundversorgung mit staatlichen Dienstleistungen in allen Regionen sichergestellt sei und die staatlichen Akteure von der Bevölkerung als glaubwürdig und legitim akzeptiert würden.

Gewalt auch in Niger, Burkina Faso und anderen Regionen

Blicken wir auch noch kurz auf zwei Nachbarländer Malis. Ähnlich wie in Mali, so bedrohen in Niger JNIM und IS-GS die Bevölkerung und nationale Sicherheitskräfte, besonders entlang der Grenzen zu Burkina Faso und Mali, aber auch in der Tschadsee-Region (hier sind zudem die Terrorgruppierung Boko Haram und deren Ableger ISWAP/The Islamic State in West Africa Province aktiv). Niger ist ein zentrales transkontinentales Transitland und hat als solches eine wesentliche Bedeutung für Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel.

Burkina Faso hat 2020 eine dramatische Ausweitung der Gewalt durch Terrorgruppen, Milizen und bewaffnete Banden in weiten Teilen des Nordens und Ostens erlebt. Wie auch in anderen Sahel-Staaten ziehen diese Gruppen Gewinn aus dem weit verbreiteten Goldabbau. Einnahmen bringen ihnen auch „Wegezölle“ auf wichtigen Verkehrsrouten. Über eine Million Menschen (fünf Prozent der Bevölkerung) sind bisher aus ihrer Heimat geflohen. Die burkinischen Sicherheitskräfte, die bislang nicht für die Aufgaben in der Terrorismusbekämpfung ausgebildet oder ausgestattet waren, können kaum sich noch die Bevölkerung wirksam schützen.

Analyse gemeinsam mit NATO-Verbündeten und im Kreis der EU

Die Bundeswehrpräsenz in Mali steht nun mehr denn je auf dem Prüfstand: Das Scheitern des Militäreinsatzes in Afghanistan hat im politischen Berlin und in der breiten Öffentlichkeit auch eine heftige Diskussion über das Engagement der deutschen Streitkräfte in Afrika ausgelöst.

So sprach sich bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. August im Parlament in ihrer Regierungserklärung zur Lage in Afghanistan für eine intensive Aufarbeitung des Debakels am Hindukusch aus. Von den Antworten werde „abhängen, welche politischen Ziele wir uns realistischerweise für zukünftige und für aktuelle weitere Einsätze im Ausland setzen dürfen.“ Dabei sei klar, so Merkel, dass jedes Engagement anders und daher einzeln zu bewerten sei. Und ebenso klar sei auch, dass „eine solche Analyse gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO und im Kreis der Europäischen Union“ erfolgen müsse.

Deutlicher formulierte es die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl. Der Passauer Neuen Presse (PNP) sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag (2. September): „Viele Soldatinnen und Soldaten, vor allem die, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz waren, stellen sich die Frage, was ihr Engagement dort gebracht hat. Deshalb ist es so wichtig, das zeigen mir Gespräche mit den Betroffenen, dass dieser Einsatz sehr selbstkritisch bilanziert wird. Wo haben die Fehler gelegen, was muss man künftig anders machen?“

Nach der Bundestagswahl sollte eine grundsätzliche Debatte darüber geführt werden, in welchen Teilen der Welt künftig Bundeswehreinsätze stattfinden sollen. Bei dieser Debatte sollten die Ziele solcher Einsätze und auch die zur Verfügung stehenden Mittel eine zentrale Rolle spielen, so die Wehrbeauftragte in ihrem Interview.

Auf die Frage der PNP, ob das unrühmliche Ende der Afghanistan-Mission Konsequenzen für aktuelle und künftige Einsätze der Bundeswehr im Ausland haben müsse, erklärte Högl: „Für den Mali-Einsatz müssen wir klar benennen, welches Ziel wir dort verfolgen, wie die Kooperation mit unseren Partnern läuft und mit welchen Mitteln und Möglichkeiten.“ Auch müsse man sich selbstkritisch fragen, ob die örtlichen Sicherheitskräfte in Mali so ausgebildet würden, dass sie im Ernstfall – anders als jetzt in Afghanistan – auch tatsächlich die Verantwortung übernehmen könnten.

Bereits vor acht Jahren in Deutschland kaum Vertrauen in Afghanistaneinsatz

Als der Deutsche Bundestag am 27. Juni 2013 erstmals die Beteiligung der Bundeswehr an MINUSMA absegnete, sah das Stimmungsbild in der deutschen Bevölkerung noch anders aus. In der damaligen YouGov-Umfrage im Auftrag der dpa sprachen sich 49 Prozent für die logistische Unterstützung des Kampfes gegen islamistische Rebellen und für Ausbildungshilfe aus, nur 34 Prozent waren dagegen. Allerdings befürchtet eine klare Mehrheit von 60 Prozent, dass Deutschland durch die Mission noch stärker ins Fadenkreuz islamistischer Terroristen geraten könnte. 29 Prozent der Befragten glauben dies nicht.

YouGov hatte übrigens im Januar 2013 auch eine Umfrage zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durchgeführt. Auftraggeber war auch hier die dpa gewesen. Drei Viertel der Deutschen glaubten demnach bereits vor gut acht Jahren nicht mehr daran, dass die internationale Mission am Hindukusch noch ein Erfolg werden könnte. Laut der damaligen YouGov-Umfrage sagten nur neun Prozent der Befragten, dass sie mit einem erfolgreichen Abschluss der NATO-Mission rechnen würden. 43 Prozent der Bundesbürger gab 2013 an, dass ihnen ein Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan „nicht schnell genug“ gehe. Nun, das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht …

Redaktioneller NACHBRENNER

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, fordert nach dem Rückzug aus Afghanistan eine Überprüfung des Bundeswehreinsatzes in Mali. In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel am 6. September (Montagsausgabe) sagte der CDU-Politiker: „Wir brauchen eine notwendige Diskussion und Bewertung des bisherigen Einsatzes. Diesen Einsatz können wir nicht allein rechtfertigen mit dem Gedanken der Solidarität mit Frankreich.“

In Mali gehe es um die Stabilisierung der Sahel-Region. „Wir brauchen eine Debatte, welche Ressourcen man braucht, um überhaupt etwas zu erreichen, statt sogar eine Verschlechterung zu ernten“, so Röttgen. Er gab weiter zu bedenken: „Wir haben bislang keine Verbesserung der Sicherheitslage erreicht, sondern die Sicherheitslage hat sich verschlechtert. Man muss auch realistisch sagen: Was ist denn eigentlich notwendig an Einsatz, um Ziele erreichen zu können?“ Dies alles müsse bewertet werden vor dem nächsten Mandat, forderte Röttgen. Und diese Bewertung müsse jetzt bald nach der Bundestagswahl beginnen.

Röttgen schlug in seinem Gespräch mit dem Tagesspiegel zudem eine offene Debatte vor über die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden, dass sich die USA nach Afghanistan stärker von internationalen Einsätzen zurückziehen und nur noch eigene Interessen vertreten wollten.

Der Außenpolitiker erklärte dazu: „Aus dem Verhalten der USA erwächst eine absolut existenzielle Frage, nämlich: Welche Rolle wollen wir selber spielen, wenn es um unsere Interessen geht? Wollen wir unsere Interessen und Werte nur dann verteidigen können, wenn die USA sich auch dafür interessieren und uns unterstützen oder notfalls auch im Fall des Desinteresses der USA?“

Dies sei die „absolut existentielle europäische Frage“, meinte Röttgen. „Die Frage, wie wir entscheiden müssen, wer wir sein wollen, was wir sein wollen in dieser Welt. In dieser Zwischenzeit zwischen untergegangener alter Ordnung und noch nicht entstandener neuer Ordnung. Dies muss in den nächsten Jahren entschieden werden.“ Der Christdemokrat empfahl deshalb dringend, dass „wir die Fähigkeiten schaffen müssen, uns selber zu behaupten“.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Symbolbild „Mali“ – ein Taktisches CIMIC TEAM (TCT) der gemischten Aufklärungskompanie des 4. Deutschen Einsatzkontingents MINUSMA auf dem Wochenmarkt in Wabaria nahe Gao, der Stadt im Nordostens Malis. Die Aufnahme entstand am 7. Februar 2017.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Infografik mit den zentralen Ergebnissen der YouGov-Umfrage vom September 2021 zum MINUSMA-Einsatz der Bundeswehr. Das Hintergrundfoto zeigt deutsche Soldaten im Camp Castor in Gao. Die Aufnahme stammt vom 5. Februar 2017.
(Foto: Christian Thiel/Bundeswehr; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 09.21)


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