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Berlin/Brüssel/Bratislava (Slowakei). Vom 31. Mai bis 3. Juni fand in der slowakischen Hauptstadt Bratislava die diesjährige Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO Parliamentary Assembly) statt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt ist seit mehr als neun Jahren stellvertretende Leiterin der deutschen Delegation im 1955 gegründeten Diskussionsforum der Allianz. In Bratislava stellte sie als Generalberichterstatterin des „Ausschusses für die Zivile Dimension der Sicherheit“ ihren Berichtsentwurf „Die NATO wird 70: Bekräftigung der Werte des Bündnisses“ vor. Die Parlamentarische Versammlung setzt sich aus insgesamt 266 Parlamentsabgeordneten aus den 29 NATO-Mitgliedsstaaten zusammen. Hinzu kommen Delegierte aus zwölf assoziierten Staaten, Delegierte aus vier Mittelmeer-Anrainerstaaten, acht sogenannte Beobachter-Delegationen sowie Abordnungen des Europäischen Parlaments und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Im nachfolgenden Interview äußert sich die Politikerin über das westliche Verteidigungsbündnis, seine Stärken, aber auch seine Defizite und internen Differenzen. Wir veröffentlichen das Gespräch mit der Sozialdemokratin mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Bundestages (Online-Dienste). Die Fragen stellte Luca Lypp.

Russland und China bedrohen das europäische Gesellschaftsmodell

Frau Schmidt, in diesem Jahr hat die NATO ein rundes Jubiläum gefeiert. In 70 Jahren ist die Allianz vom regionalen Verteidigungsbündnis zum globalen Sicherheitsakteur gewachsen. Welche Herausforderungen sehen die Parlamentarier für das Bündnis?
Ulla Schmidt: Die freiheitlich-demokratische Ordnung kann nicht mehr als selbstverständlich gelten. Die sozioökonomische Ungleichheit auf der Welt nimmt zu. Das Vertrauen in unsere politischen Institutionen sinkt, während sich Radikale – gestärkt durch die sozialen Medien – auf dem Vormarsch befinden. Dies sind nur einige der Herausforderungen, denen unser Bündnis gegenübersteht. Darüber hinaus bedrohen Russland und China das europäische Gesellschaftsmodell und versuchen auf verschiedenen Wegen, die Grundwerte zu untergraben. Die Annexion der Krim 2014 und der fortwährende Konflikt im Osten der Ukraine, für die Russland verantwortlich ist, sowie die Versuche Russlands, die demokratischen Werte der liberalen Demokratien auszuhöhlen, setzen diese Wertegemeinschaft unter Druck. Russlands hybride Kriegsführung stellt eine Bedrohung für die kleineren Mitgliedstaaten dar.

Georgien und die Ukraine sind Assoziierte Partnerländer der NATO. Es ist ein starkes Signal, dass die nächste Frühjahrstagung der NATO-Parlamentarier in Kiew stattfinden soll. Wie steht es um die Beitrittsperspektive dieser Länder?
Schmidt: Die Aussichten auf eine Mitgliedschaft im Bündnis hängen für Georgien und die Ukraine von weiteren Reformen ab. Nennenswerte Rückschritte in Bezug auf die Demokratie würden ihre Chancen auf einen Beitritt praktisch zunichtemachen. Aber ich habe schon in meinem Bericht über die Schwarzmeerregion darauf hingewiesen, dass eine Mitgliedschaft beispielsweise Georgiens sich stabilisierend und demokratiefördernd in der Region auswirken könnte.

Im Geiste der Solidarität immer wieder eine Lösung finden

Als Generalberichterstatterin des „Ausschusses für die Zivile Dimension der Sicherheit“ haben Sie ihren Generalberichtsentwurf „Die NATO wird 70: Bekräftigung der Werte des Bündnisses“ vorgestellt. Wie soll die Allianz in der Welt stärker für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten, wenn sogar Mitgliedsländer diese Werte infrage stellen?
Schmidt: Die Geschichte der NATO zeigt, dass wir Verbündeten trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten und sogar problematischer Beziehungen untereinander es immer wieder schaffen, im Geist der Solidarität eine Lösung zu finden. Ich bedauere, dass wir als Verbündete manchmal auf die Sprache der gegenseitigen Sanktionen zurückgreifen. Wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben – etwa beim Projekt „Nord Stream 2“ oder beim Erwerb des russischen Raketenabwehrsystems S-400 durch die Türkei –, sollten wir diese Differenzen durch gegenseitige Gespräche, ein besseres Verständnis unserer jeweiligen Sicherheitsanliegen und das Eingehen von Kompromissen ausräumen. Die Stärke der NATO hilft Differenzen zu überbrücken und ihre Mitglieder zu einen, wenn es um ihre Kernaufgabe geht. An ihrem 70. Jubiläum ist die NATO noch immer dazu in der Lage, aber sie muss sich auf die neuen Bedrohungen einstellen, sich weiterentwickeln, sich modernisieren und ihren Kernprinzipien treu bleiben.

Was können Sie als Parlamentarier dazu beitragen, dass die Werte von allen Mitgliedern als Arbeitsgrundlage akzeptiert werden und interne Kritik gegenüber einzelnen Mitgliedern nicht den Zusammenhalt des Bündnisses gefährdet?
Schmidt: Die Parlamentarische Versammlung der NATO hat sich in der Vergangenheit als ein Ort des Austauschs bewährt, in dem immer sehr intensiv und kontrovers diskutiert wurde. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns nicht scheuen dürfen, Rückschritte anzusprechen, aber wir müssen dafür sorgen, dass dies auf respektvolle, ausgewogene und faktenbasierte Weise geschieht. Eine öffentliche Beschimpfung bestimmter Bündnismitglieder ist kontraproduktiv und würde nur Herrn Putin glücklich machen. Stattdessen können wir Expertenunterstützung und den Austausch über bewährte Verfahren anbieten. Die Parlamentarische Versammlung der NATO erscheint mir ein besonders geeignetes Forum für freundschaftliche Gespräche dieser Art.

Deutschland seit Jahrzehnten ein äußerst verlässlicher NATO-Partner

Die USA sind der wichtigste Bündnispartner. Gleichzeitig steht Präsident Donald Trump dem Bündnis skeptisch gegenüber. Deutschland wird seitens der US-Regierung immer wieder dafür kritisiert, die Vereinbarung nicht einzuhalten, wonach der jährliche Verteidigungshaushalt eine Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen soll. Inwieweit hat Ihr Treffen mit der amerikanischen Delegation am Rande der Frühjahrstagung dazu beitragen, im bilateralen Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten Verständigung in solchen strittigen Fragen zu erzielen?
Schmidt: Auch jenseits von Präsident Trump sieht sich Deutschland regelmäßig Angriffen bezüglich der fehlenden Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels ausgesetzt. Die amerikanische Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der NATO und auch andere kritisieren dies, wie auch beispielsweise den Bau der Gaspipeline „Nord Stream 2“. Die Auseinandersetzung darüber geschieht aber in einem offenen Austausch, in dem gleichzeitig die großen Anstrengungen Deutschlands gewürdigt werden und anerkannt wird, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein sehr verlässlicher NATO-Partner und überdies einer der größten Truppensteller ist. Diskussionen wie am Rande der Frühjahrstagung oder auch im Transatlantischen Forum der Parlamentarischen Versammlung bieten eine gute Möglichkeit, in einem offenen Austausch die freundschaftlichen Beziehungen zu den USA zu pflegen.

Solidarität der Bündnispartner wird auf die Probe gestellt

Anfang Januar hatten Sie gemeinsam mit Ihrem amerikanischen Kollegen Gerald Connolly, dem Berichterstatter im Unterausschuss für die Transatlantischen Beziehungen, einen Brief an alle Delegationen geschrieben und diese um Antwort unter anderem zu der Frage gebeten, welchen Stellenwert die NATO für die Sicherheit ihres Landes und den euroatlantischen Raum besitzt. Haben Sie eigentlich von allen Mitgliedern Antwort erhalten? Und was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Rückmeldungen?
Schmidt: Auf den Brief, den mein Kollege Gerald Connolly und ich verschickt haben, haben wir – wenn auch nicht von allen, aber von einer großen Zahl der Delegationen – Antworten bekommen. Diese Antworten waren sehr hilfreich, und sie zeigen deutlich, dass die NATO-Parlamentarier weiterhin an die Grundsätze der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit als Fundament unseres Bündnisses glauben. In den meisten Antworten wird darauf hingewiesen, dass wir einer wachsenden Zahl von Bedrohungen für die regelbasierte Weltordnung ausgesetzt sind und unsere Solidarität auf die Probe gestellt wird. Die Antworten enthielten auch Überlegungen dazu, wie der Zusammenhalt unseres Bündnisses gestärkt werden kann, angefangen von einem stärkeren Engagement im Bereich der politischen Bildung in Schulen und Universitäten bis hin zu einer Intensivierung der NATO-Zusammenarbeit mit der EU, schließlich teilen beide Organisationen die gleichen Werte.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt am 2. Juli 2015 bei einer Rede im Bundestag.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Symbolfoto „Deutschland und die NATO“.
(Foto: NATO)


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