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Berlin/Kempten. Auch wenige (bis gar keine) Informationen können mitunter das Ausgangsmaterial für einen interessanten redaktionellen Beitrag sein. Vor gut zwei Wochen, am 10. August, veröffentlichte der Deutsche Bundestag seine Drucksache 18/9371. In diesem sechsseitigen Papier nimmt die Bundesregierung Stellung zur „Entwicklung des Sondergerichtsstands und der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Kempten für Straftaten Bundeswehrangehöriger im Auslandseinsatz“. Der Sondergerichtsstand beim Amtsgericht Kempten bearbeitet seit dem 1. April 2013 bereits entsprechende Fälle. Das Aufgabenpaket der neuen Institution hat der Justiziar des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Christian Sieh, einmal wie folgt skizziert: „Möglichst alle einschlägigen Ermittlungsverfahren sollen [hier] bei einer Staatsanwaltschaft konzentriert und eine effektive und zügige Strafverfolgung garantiert werden.“ Eine aufschlussreiche Zwischenbilanz erwartete vor Kurzem von der Bundesregierung die Bundestagsfraktion der Linken. Jan Korte, Frank Tempel, Jan van Aken und andere hatten dazu 18 präzise Fragen formuliert und eingereicht. Elf davon blieben unbeantwortet …

Die Parlamentarier wollten unter anderem wissen, „wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Bundeswehrangehörige aus welchen Bundesländern“ es seit dem 1. April 2013 beim Gerichtsstand für besondere Auslandsverwendung der Bundeswehr gegeben habe. Wissen wollten die Linken beispielsweise auch, gegen wie viele Bundeswehrangehörige Anklage erhoben worden sei und wie viele Beschuldigte freigesprochen beziehungsweise zu Geldstrafen oder zu Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung verurteilt worden seien.

Keine Auskunft gab es auch auf die Frage: „In wie vielen Ermittlungsverfahren ging es um unnatürliche Todesfälle?“ Offen auch der Fragenkomplex: „Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte betrafen Straftaten gegen Zivilpersonen im jeweiligen Land des Auslandseinsatzes, um welche Straftaten handelte es sich dabei, und in wie vielen Fällen führten die Ermittlungen zu Anklagen und Verurteilungen?“

Die Bundesregierung verwies in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken darauf, dass „die Strafverfolgung grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder“ falle. Deshalb verfüge man „weder über Informationen zu dem in Kempten eingesetzten richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Personal des Freistaats Bayern noch über statistische Angaben zu dort geführten Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren“.

Spezielle Erfahrungen bei Ermittlungen mit Auslandseinsatzbezug erforderlich

Soldaten der Bundeswehr unterliegen auch bei besonderer Auslandsverwendung gemäß Paragraf 1a Absatz 2 des Wehrstrafgesetzes dem deutschen Strafrecht. Für entsprechende Sachverhalte bestand bis zur Einführung von Paragraf 11a der Strafprozessordnung kein besonderer Gerichtsstand (Anmerkung zu § 11a StPO, Gerichtsstand bei Auslandstaten von Soldaten in besonderer Auslandsverwendung: „Wird eine Straftat außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung – Paragraf 62 Absatz 1 des Soldatengesetzes – begangen, so ist der Gerichtsstand bei dem für die Stadt Kempten zuständigen Gericht begründet.“)

Die frühere Rechtslage, so schreibt die Bundesregierung in ihrer Vorbemerkung, sei weder den Anforderungen an eine effiziente Strafverfolgung noch den Besonderheiten der Verfahren, an denen Bundeswehrangehörige im Auslandseinsatz beteiligt sind, gerecht geworden. Denn neben Kenntnis der militärischen Abläufe und Strukturen sowie der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der besonderen Auslandsverwendung seien spezielle Erfahrungen bei Ermittlungen mit Auslandseinsatzbezug erforderlich.

Der Deutsche Bundestag habe mit Gesetz vom 21. Januar 2013 die Einführung eines besonderen Gerichtsstands für diese Strafverfahren geschaffen, „um diesen vielfältigen speziellen Anforderungen gerecht zu werden und um eine effektive, zügige Strafverfolgung“ zu gewährleisten.

Verbandsjustiziar Sieh bewertete den einheitlichen Strafgerichtsstand für Soldaten im Auslandseinsatz in einem früheren Beitrag grundsätzlich positiv. Der Sondergerichtsstand beim Amtsgericht in Kempten erspare nicht nur den unmittelbar betroffenen Soldaten besondere Belastungen. Früher hätten auch die langen Verfahrensdauern „überall in den Streitkräften zu Unverständnis, Verunsicherung und Ärger“ geführt. Zudem sei es „für alle Armeeangehörigen sehr wichtig, sich auch im Auslandseinsatz bei der Strafverfolgung in guten Händen zu befinden – im Sinne nicht wohlwollender, sondern kompetenter Hände“.

Hilfreiche Lehrgänge am Zentrum Innere Führung in Koblenz

Um die Frage der besonderen Kompetenz ging es auch in einem Punkt der Linken-Anfrage an die Bundesregierung. Zur besonderen Spezialisierung der Richter und Staatsanwälte beim Amtsgericht Kempten weist die Bundesregierung zunächst darauf hin, dass für alle interessierten deutschen Richter und Staatsanwälte die Möglichkeit bestehe, an verschiedenen Lehrgängen am Zentrum Innere Führung in Koblenz teilzunehmen.

Aus dem Kreis der Richter des Amts- und des Landgerichts Kempten sowie der Staatsanwälte der dortigen Staatsanwaltschaft hätten „im Jahr 2013 zwei Personen, 2014 eine Person und 2016 bislang drei Personen“ den am Zentrum Innere Führung durchgeführten Lehrgang „Der Rechtsberater-Stabsoffizier im Auslandseinsatz“ besucht. Das ebenfalls am Koblenzer Zentrum angebotenen „Informationsseminar für Juristinnen und Juristen – Recht und Führungskultur in der Bundeswehr“ hätten aus diesem Kreis „im Jahr 2014 zwei Personen, 2015 drei Personen und 2016 bisher eine Person“ belegt.

Bundesvereinigung erwartet „baldige Beantwortung der offenen Fragen“

Heftige Kritik an der aus ihrer Sicht unbefriedigenden Antwort der Bundesregierung zu den 18 Detailfragen der Linken kommt von der Bundesvereinigung „Opfer der NS-Militärjustiz“.

Der 1990 gegründete Verein, dessen wissenschaftlicher Beirat seit 2012 von dem Militärhistoriker und Friedensforscher Wolfram Wette geleitet wird (Ehrenvorsitzender ist der Jurist und Militärhistoriker Manfred Messerschmidt, der von 1990 bis 2012 Vorsitzender des Beirats war), beklagt in einer Pressemitteilung: „Die ,Vorbemerkung der Bundesregierung‘, für die offensichtlich eine Verlängerung der üblichen Frist zur Beantwortung nötig war, wiederholt zum x-ten Mal den Anspruch dieses per Bundesgesetz errichteten Gerichtsstands, eine ,effektive, zügige Strafverfolgung‘ sicherzustellen, verweist ansonsten aber auf die alleinige Zuständigkeit des Freistaates Bayern. Das schließt auch die Angaben zum Personal des Gerichtsstandes ein […].“

Die Bundesvereinigung mahnt: „Der nach solcher ,Nicht-Antwort‘ ernüchterte Leser fragt sich am Ende, wann und wie es gelingen kann, vom Freistaat Bayern die erbetenen Auskünfte zu erhalten, die die Bundesregierung unter Hinweis auf ,Länderhoheit‘ verweigert? Eine baldige Beantwortung der offenen Fragen wäre auch geboten, um dem entstandenen Eindruck entgegenzuwirken, es gäbe in der Angelegenheit etwas zu verbergen.“

Generalbundesanwalt ermittelte 2010 und 2011 gegen 31 Beschuldigte

Zumindest eine markante Information haben die Fragesteller von der Bundesregierung denn doch noch erhalten. Dadurch erfahren auch wir, dass der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) zwar nicht in die Arbeit der Staatsanwaltschaft Kempten eingebunden ist. Da er aber seit dem 30. Juni 2002 für die Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zuständig ist, hat der GBA „seither insgesamt zwölf personenbezogene Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 31 Angehörige der Bundeswehr wegen des Verdachts der Begehung von Kriegsverbrechen in Afghanistan“ eingeleitet.

Dabei handelte sich um zwei Ermittlungsverfahren gegen insgesamt acht Beschuldigte im Jahr 2010 und zehn Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 23 Beschuldigte im Jahr 2011. Alle Verfahren sind inzwischen, nach zum Teil umfangreichen Ermittlungen, eingestellt worden. Die Ermittlungen hätten „keinen genügenden Anlass“ zur Erhebung der öffentlichen Klage geboten, erklärte die Bundesregierung.

Mitgeteilt wird abschließend noch so viel: „Von den insgesamt 31 Beschuldigten hatten zum Zeitpunkt der Durchführung des jeweiligen Ermittlungsverfahrens jeweils vier Beschuldigte ihren (letzten) Wohnsitz beziehungsweise Standort in Baden-Württemberg und Bayern, jeweils ein Beschuldigter in Berlin und in Brandenburg, fünf Beschuldigte in Niedersachsen, sieben Beschuldigte in Nordrhein-Westfalen, zwei Beschuldigte in Rheinland-Pfalz, jeweils drei Beschuldigte im Saarland und in Sachsen sowie ein Beschuldigter in Thüringen.“

Man darf raten, ob die Linken sich mit diesem Ergebnis des Verteidigungsministeriums, das die Fragen der Parlamentarier für die Bundesregierung bearbeitet hat, abspeisen lassen werden. Oder ob sie einen zweiten Anlauf wagen, um doch noch handfeste Informationen zum Thema „Straftaten von Bundeswehrangehörigen im Auslandseinsatz“ zu erhalten. Eine Anfrage an die Pressestelle des Amtsgerichts Kempten oder direkt an das Bayerische Staatsministerium der Justiz wäre allemal den Versuch wert …

„Aufgaben erst an ein Land delegiert und dann aus den Augen verloren“

Wir konnten Jan Korte, den Stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Die Linke, noch kurz zur „Auskunft“ der Bundesregierung befragen.

Herr Korte, die Antwort des Bundesministeriums der Verteidigung für die Bundesregierung scheint mehr Fragen aufzuwerfen, denn zu einer Klärung beizutragen …
Jan Korte: Dass uns die Bundesregierung auf unsere Fragen in weiten Teilen die Antwort verweigert, ist alles andere als neu. Relativ neu hingegen ist die Dreistigkeit und Kreativität, mit der man unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen versucht. Die Tendenz zur Nicht-Antwort und das Spiel mit den Zuständigkeiten hat sich unter der Großen Koalition weiter verstärkt. Leider ist die Position der Bundesregierung – wonach allein die bayerische Justiz beziehungsweise Staatsregierung zuständig sei – juristisch kaum angreifbar. Für die bayerischen Gerichte und Staatsanwaltschaften ist in der Tat das Land Bayern zuständig, auch wenn die Sonderzuständigkeit vom Bundestag beschlossen wurde, diese in der Strafprozessordnung – also einem Bundesgesetz – geregelt ist und es sich als Gegenstand hier um die Bundeswehr handelt.

Hat sich die Problematik, eines Tages möglicherweise wenig erschöpfende Auskunft über die Arbeit des Kemptener Sondergerichtsstandes zu erhalten, denn nicht schon in der Gesetzgebungsphase angedeutet?
Korte: Von einer regionalen Zuständigkeitsverlagerung für eine hoheitliche Aufgabe war während des Gesetzgebungsprozesses weder in der ausführlichen Anhörung vor dem Rechtsausschuss noch in den Plenardebatten die Rede. Ich glaube, dass damals auch etliche Kollegen in den Reihen der Koalition ihre Zustimmung verweigert hätten, wenn sie gewusst hätten, wie sich hier der Bund ureigener Verantwortung entledigt und welchen Umgang die Bundesregierung nun mit dem Sondergerichtsstand betreibt. Es kann nicht angehen, dass Aufgaben des Bundes erst an ein Land delegiert und dann aus den Augen verloren werden.

Was gedenkt die Fraktion der Linken jetzt zu tun? Wird man einen erneuten Anlauf bei der Bundesregierung starten oder vielleicht doch eher versuchen, sich die Informationen auf „Landesebene“ beschaffen?
Korte: Wir werden uns jedenfalls nicht so einfach abspeisen lassen und die Bundesregierung erneut zum Sondergerichtsstand und zu der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Kempten befragen. Mich interessiert beispielsweise, inwieweit sie entsprechende Zahlen über Anzeigen, Ermittlungsverfahren und Strafverfahren evaluiert hat oder evaluieren wird, da ihr ja die Verantwortung für die Angelegenheiten der Bundeswehr obliegt. Und wenn nein, wie sich das mit ihrer Zuständigkeit für die Bundeswehr verträgt? Inwieweit direkte Nachfragen beim Amtsgericht Kempten oder dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz erfolgversprechend sind, wird man sehen müssen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Aufnahme der Fürstäbtlichen Residenz Kempten. Hier hat das Amtsgericht mit seiner Schwerpunktstaatsanwaltschaft für „Straftaten von Bundeswehrangehörigen im Auslandseinsatz“ seinen Dienstsitz.
(Foto: Tilman2007)

2. Abgeordneter Jan Korte von den Linken am 25. Februar 2016 im Deutschen Bundestag. Das Bild zeigt ihn bei seinem Debattenbeitrag zum Thema „Asylverfahren“. Korte ist unter anderem Mitglied des Innenausschusses des Parlaments.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Justitia – entdeckt bei einem Stadtbummel durch Wiesbaden.
(Foto: Dierk Schaefer)


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