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Quetta (Pakistan)/Kabul (Afghanistan)/Berlin. Vier Tage nach dem gewaltsamen Tod ihres Führers Mullah Akhtar Mohammad Mansour haben die Taliban im pakistanischen Quetta einen Nachfolger gewählt. Es ist der 56 Jahre alte Mullah Haibatullah Akhunzada, ein religiöser Rechtsgelehrter, Richter und bisheriger Stellvertreter Mansours. Dieser war am vergangenen Samstag (21. Mai) in der südwestpakistanischen Provinz Belutschistan durch eine US-Drohnenattacke ums Leben gekommen. Präsident Barack Obama persönlich soll den Angriff genehmigt haben.

Die Wahl Akhunzadas durch ihren Obersten Rat gaben die Taliban am heutigen Mittwoch (25. Mai) in einem Pressestatement bekannt. In der von Sprecher Sabiullah Mudschahid an die Medien versandten Mail werden auch die beiden Stellvertreter des neuen Talibanchefs genannt: Sirajuddin Haqqani, Anführer des berüchtigten Haqqani-Netzwerks, und Mullah Mohammad Jakub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar.

Mullah Akhunzada, der in Afghanistans zweitgrößter Stadt Kandahar geboren sein soll, leitete Medienberichten zufolge in der Belutschistan-Provinz eine ganze Reihe von Madrasas (Religionsschulen). Seine Ansichten gelten als militant. Es wird damit gerechnet, dass er die aggressive Linie seines Vorgängers Mansour fortsetzen wird.

Verhandlungen mit der Regierung Ghani weiterhin eher unwahrscheinlich

Rahimullah Yousafzai, ein bekannter pakistanischer Journalist und Kenner der militanten Islamistenszene, glaubt nicht daran, dass die Taliban nach der Wahl Akhunzadas einen versöhnlichen Kurs einschlagen werden. Im Gegenteil. „Ich kann mir kein Abweichen vom früheren Kurs unter Mansour vorstellen – Verhandlungen mit der Regierung in Kabul sind nach wie vor eher unwahrscheinlich“, meinte Yousafzai in einem Gespräch mit Radio Free Europe/Radio Liberty (kurz RFE/RL).

Muhammad Amir Rana, Direktor des Pak Institute for Peace Studies in Pakistans Hauptstadt Islamabad, äußerte sich gegenüber RFE/RL ebenfalls zur möglichen Politik des Mansour-Nachfolgers: „Auch wenn Akhunzada Friedensgespräche in Erwägung ziehen sollte, so wird er dies nicht ohne breite Zustimmung innerhalb der Talibanführung bewerkstelligen können. Viele ranghohe Taliban lehnen Verhandlungen mit Kabul jedoch kategorisch ab.“

Friedensprozess nur mit Beteiligung gemäßigter Taliban möglich?

Die Bundesregierung setzt nach wie vor auf einen Friedensprozess, in den die Aufständischen mit eingebunden sind.

Bei der Regierungspressekonferenz am Montag dieser Woche (23. Mai) erklärte Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, auf eine Journalistenfrage zum Tode Mansours: „[Wir hoffen] sehr, dass der mühsame, schwierige und komplizierte Friedensprozess für Afghanistan unter Beteiligung der Taliban, der ja in den letzten Monaten in Gang gekommen ist – mit sogenannten Vier-Parteien-Gesprächen unter Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika, Chinas, Pakistans und Afghanistans –, dadurch nicht weiter behindert wird.“

Wünschenswert sei vielmehr, so Schäfer, dass man „auf den Pfaden, auf denen das immerhin in den letzten Monaten langsam aber sicher vorangegangen ist“, weiter miteinander werde zusammenarbeiten können. Die Bundesregierung sei der festen Überzeugung, dass „ein dauerhafter Frieden ohne Aussöhnung in Afghanistan und ohne Beteiligung mindestens von Teilen der Taliban“ unmöglich sei.

Zeichen stehen nach Mansours Tod auf noch mehr Terror in der gesamten Region

Völlig düster sieht Spiegel-Mitarbeiter Hasnain Kazim die Lage in Afghanistan nach der Tötung des bisherigen Talibanführers Mullah Mansour (siehe hier) und der Wahl des bisherigen Vize Mullah Akhunzada zum neuen Anführer der Radikalen. In seinem heute erschienenen Onlinebeitrag „Das Phantom aus Kandahar“ prophezeit der langjährige Südasienkorrespondent des Magazins: „Die Hoffnung von US-Präsident Barack Obama, mit dem Tod Mansours einen ,wichtigen Meilenstein‘ im Friedensprozess in Afghanistan erreicht und die Taliban geschwächt zu haben, dürfte sich mit der Wahl Akhunzadas wohl kaum erfüllen.“ Kazim berichtet, dass Talibankommandeure bereits angekündigt hätten, den Kampf gegen „die Besatzer in Afghanistan […] mit größerer Kraft“ fortzusetzen. Bereits die personelle Besetzung der Stellvertreterposten lasse nichts Gutes erahnen, meint der Journalist. „Für Afghanistan und Pakistan bedeutet all das: mehr Terror, ein Rückschlag für die gesamte Region.“

Einen Vorgeschmack auf dieses Szenario erlebte die afghanische Hauptstadt am heutigen Mittwochmorgen. Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Minibus, der mit Justizangestellten besetzt war, starben in Kabul elf Menschen. Wie der einheimische Nachrichtensender TOLOnews von den Sicherheitsbehörden erfahren haben will, zündete der Attentäter seinen Sprengstoffgürtel gegen 9 Uhr in der Hauptverkehrszeit. Unter den Toten seien auch Passanten, vier Menschen seien verletzt worden. Zu der Tat bekannten sich die Taliban.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Die Taliban-Bewegung entstand in den frühen 1990er-Jahren als Zusammenschluss paschtunisch-afghanischer Flüchtlinge in Pakistan. 1994 eroberte sie weite Teile Afghanistans. Seit ihrem Sturz 2001 agieren die Islamisten von Pakistan aus. Die Aufnahme zeigt Kämpfer der radikalislamischen Organisation.
(Foto: amk)

2. Die Aufnahme zeigt angeblich den neuen Talibanchef Mullah Haibatullah Akhunzada.
(Foto: AIP)


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