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Berlin/Brüssel/Rom. Das Parlament hat am gestrigen Donnerstag (24. September) mit seinen Beratungen über den Regierungsantrag zu einer Beteiligung der Bundeswehr am erweiterten europäischen Marineeinsatz gegen Schlepperbanden im Mittelmeer begonnen. Die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Federica Mogherini, teilte ebenfalls gestern mit, dass die Phase 2 dieser militärischen Krisenbewältigungsoperation EU NAVFOR Med am 7. Oktober beginnen soll. Bislang war der Mittelmeereinsatz unter EU-Flagge auf die Flüchtlingsrettung und die Informationsgewinnung über das Vorgehen der Schleuser beschränkt gewesen. Die Bundesregierung nannte jetzt auch aktuelle Zahlen zu den von der deutschen Marine in der Seeregion geretteten Menschen.

Unsere Marine beteiligt sich seit Anfang Mai dieses Jahres an den Maßnahmen im Mittelmeer zur Rettung von Menschen in Seenot – zunächst mit der Fregatte „Hessen“ und dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“, nun mit der Fregatte „Schleswig-Holstein“ und dem Tender „Werra“. Seit dem 30. Juni fahren die beiden deutschen Schiffe unter der dunkelblauen Flagge von EU NAVFOR Med.

Dank einer entsprechenden Anfrage der Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) erfahren wir, dass die Besatzungen der deutschen Marineschiffe im Zeitraum 7. Mai bis 18. September 2015 insgesamt 7263 Menschen im Mittelmeer aus Seenot retten konnten – 1419 davon im Rahmen von EU NAVFOR Med und 5844 im Zeitraum davor in nationaler Verantwortung. Insgesamt haben die bei EU NAVFOR Med eingesetzten Kräfte der Europäischen Union bis jetzt 1590 Menschen aus Seenot bergen können. Diese Zahlen nannte am 18. September die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer.

767 gerettete Männer, Frauen und Kinder an Bord der „Schleswig-Holstein“

Ein besonders dramatischer Tag im Mittelmeer war der 19. September. An diesem Samstag vor einer Woche konnten durch Marineschiffe, Schiffe von Hilfsorganisationen und durch ein Frachtschiff fast 5000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken bewahrt werden. Ein Sprecher der Bundeswehr erklärte später, dass alleine die Besatzung der Fregatte „Schleswig-Holstein“ 767 Männer, Frauen und Kinder an Bord geholt und am Sonntag im sizilianischen Palermo den Behörden übergeben hatte.

Damit ist die Zahl der insgesamt im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge durch die Fregatten „Hessen“ und „Schleswig-Holstein“, den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ sowie den Tender „Werra“ auf nun 8030 Menschen angestiegen. Diese Statistik der bisherigen deutschen Marineeinsätze im Rahmen der „Seenotrettung Mittelmeer“ bestätigt inzwischen offiziell auch die Bundeswehr. Unter den 8030 Aufgenommenen sind 5974 Männer, 1504 Frauen und 552 Kinder.

Zahlen offenbaren einen einschneidenden Kurswechsel

Brugger, Sprecherin ihrer Fraktion für Sicherheitspolitik und Abrüstung sowie Obfrau im Verteidigungsausschuss, kritisiert nun eine Entwicklung, die ihrer Meinung nach von den kommunizierten Zahlen bestätigt wird. Gegenüber Spiegel online wies die Grünen-Politikerin darauf hin, dass die Schiffe der deutschen Marine in nationaler Verantwortung wesentlich mehr Menschen im Mittelmeer gerettet hätten, als jetzt unter EU-Regie. Blicke man auf die Zahlen, dann werde der Wandel der Mission offenkundig: Aus der deutschen Nothilfe-Mission sei schon seit geraumer Zeit eine militärische Schlepper-Jagd geworden.

Der Spiegel befasst sich in seinem gestern veröffentlichten Beitrag „Bundeswehr rettet unter EU-Kommando weniger Flüchtlinge“ näher mit dem von Brugger beklagten Trend. Marineoffiziere bestätigten durchaus diese Entwicklung, so Autor Matthias Gebauer. Und in der Marine verteidige man diesen Kurswechsel. Die riesigen Kriegsschiffe seien für die Seenotrettung gar nicht ausgelegt und jetzt doch mehr private Rettungsschiffe und Boote von Frontex (europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) vor der Küste Libyens aktiv.

Spiegel online zitiert einen Offizier: „Die Rettung geht weiter, aber andere übernehmen jetzt diese Aufgabe.“ Dieses Statement allerdings weicht doch ab von der offiziellen Linie der Bundesregierung, die nach wie vor die „Seenotrettung als eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen Marineoperation“ bezeichnet.

Tausende verloren bei dem Versuch, Europa zu erreichen, ihr Leben

Zum Auftakt der ersten Beratung des Bundestages über den Antrag der Regierung mit dem schwerfälligen Titel „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EU NAVFOR Med als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer“ trat Ralf Brauksiepe ans Rednerpult. Der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung versuchte gestern deutlich zu machen, mit welchen Dimensionen des Schreckens man es auf den Flüchtlingsrouten – besonders übers Mittelmeer – zu tun habe.

Brauksiepe sagte: „In der Nacht vom 18. auf den 19. April dieses Jahres kam es im Mittelmeer zu einem tragischen Unglück. Ein Flüchtlingsschiff war vor der Küste Libyens gekentert. 28 Personen konnten gerettet werden. Die italienische Küstenwache musste 24 Leichen bergen. Weitere Suchaktionen blieben erfolglos. Ein Überlebender berichtete jedoch, dass bis zu 950 Menschen an Bord gewesen seien, teils von ihren Schleusern im Laderaum eingeschlossen, darunter rund 200 Frauen und 50 Kinder. Diese Tragödie hat uns alle fassungslos gemacht und sowohl der Politik als auch der Zivilgesellschaft in Europa das grauenvolle Leid der Flüchtlinge vor Augen geführt. Leider blieb dieser zutiefst erschütternde Vorfall kein Einzelfall. Laut Angaben der Vereinten Nationen traten seit Beginn dieses Jahres mehr als 300.000 Menschen die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer an. Tausende von Frauen, Männern und Kindern haben bei ihrem Versuch, auf diesem Weg nach Europa zu gelangen, ihr Leben verloren.“

Nach Auskunft von Frontex konnten seit Jahresbeginn rund 106.000 Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot gerettet werden (Stand: 14. September). Die allermeisten Rettungseinsätze hätten sich nahe der libyschen Küste zugetragen, erklärte die Organisation.

Denkwürdige Namensfindung im EU-Marinehauptquartier in Rom

Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat übrigens bei ihrem gestrigen Besuch in Rom im Hauptquartier der europäischen Mittelmeer-Marinemission vorgeschlagen, das Unternehmen EU NAVFOR Med künftig „Sophia“ zu nennen. Sophia ist der Name des Mädchens, das am 24. August nach einer Seenotrettung auf der Fregatte „Schleswig-Holstein“ um 04:15 Uhr von einer Frau aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu geboren wurde.

Sophia A. ist zugleich das erste Kind, welches an Bord eines Schiffes der deutschen Marine das Licht der Welt erblickte (siehe auch hier).


Zu unserem Bildangebot:
1. 20. September 2015 – Speedboote der Fregatte „Schleswig-Holstein“ bringen Gerettete an Bord des deutschen Marineschiffes.
(Foto: Michael Gottschalk)

2. 31. Juli 2015 – die Fregatte „Schleswig-Holstein“ übernimmt an diesem Tag 435 gerettete Flüchtlinge von drei italienischen Patrouillenbooten.
(Foto: Norman Wald/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Am 20. September 2015 nimmt die Besatzung der „Schleswig-Holstein“ insgesamt 767 Menschen an Bord.
(Foto: Michael Gottschalk/Bundeswehr)


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