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Berlin. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist äußerst angespannt. Am 8. Dezember stürmten Talibankämpfer den Flughafen der südlichen Provinzhauptstadt Kandahar. Die Gefechte dauerten 27 Stunden, 60 afghanische Soldaten und Zivilisten starben. Am 11. Dezember wurden bei einem Angriff der Taliban auf ein Gästehaus nahe der spanischen Botschaft in Kabul zwei spanische und vier afghanische Polizisten getötet. Am heutigen Montag (21. Dezember) kamen beim schwersten Anschlag auf ausländische Truppen seit dem Ende des NATO-Kampfeinsatzes in Afghanistan sechs US-Soldaten ums Leben. Drei weitere seien bei dem Vorfall nahe der Militärbasis Bagram in der Provinz Parwan verletzt worden, sagte der Sprecher der NATO-Mission „Resolute Support“, Michael Lawhorn. Zum Dauerthema „Afghanistan“ äußert sich jetzt der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt.

Hardt, in den Jahren 2009 bis 2015 Mitglied im Verteidigungsausschuss und seit 2015 Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, verteidigt die Aufstockung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr. In einem am heutigen Montag erscheinenden Interview mit der Wochenzeitung Das Parlament sagte der CDU-Politiker, jetzt gehe es darum, den Einsatz in Afghanistan nicht durch ein übereiltes Ende zu gefährden.

Die Berliner Redaktion der Wochenzeitung Das Parlament gestattet den Nachdruck ihres Interviews. Jürgen Hardt diente übrigens von 1982 bis 1986 bei der Bundeswehr. Der Oberleutnant zur See war unter anderem Schiffsicherungsoffizier und technischer Taucher auf der Fregatte „Augsburg“. Mitglied des Deutschen Bundestages ist er seit 2009.

Nachhaltige Sicherheit nur mit selbstbewussten afghanischen Sicherheitskräften

Herr Hardt, als der Bundestag vor einem Jahr die „Resolute Support Mission“ für Afghanistan beschlossen hat, war die Rede von einer Abzugsperspektive. War der Plan zu voreilig?
Jürgen Hardt: Wir haben im Laufe des Jahres festgestellt, dass insbesondere der Rückzug aus der Fläche womöglich zu ehrgeizig war. Jetzt geht es darum, den seit 14 Jahren laufenden Unterstützungseinsatz in Afghanistan nicht durch ein übereiltes Ende zu gefährden. US-Präsident Barack Obama hat erklärt, dass für ihn nicht der Abzug Ende 2016 Priorität habe, sondern die Stabilität Afghanistans. Das war bereits letztes Jahr unsere Position. Wir werden den Einsatz fortsetzen und mit zusätzlichen Aufgaben im Bereich des Fernmeldewesens die Zahl der Soldaten von 850 auf bis zu 980 erhöhen. Wir verändern nichts am Auftrag der Bundeswehr. Es bleibt bei der Ausbildungs- und Unterstützungsmission, weil nachhaltige Sicherheit nur dann gewährleistet werden kann, wenn Streitkräfte, Polizei und Justiz Afghanistans selbstbewusst und aus einer Position der Stärke heraus den Gegnern entgegentreten können, die im Land ihr Unwesen treiben.

Deutschland stellt Hunderte Millionen Euro zur Verfügung, die Afghanistan eine selbsttragende Entwicklung ermöglichen sollen. Trotzdem gehört das Land zu den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen. Stößt der „vernetzte Ansatz“ in Afghanistan an seine Grenzen?
Hardt: Zunächst ist festzuhalten, dass viele Hunderttausend Menschen in den vergangenen Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt sind, wir also kein Szenario erleben wie jetzt in Syrien. Aber die zwischenzeitliche Einnahme von Kunduz durch die Taliban hat für Verunsicherung gesorgt. Umso mehr müssen wir den Menschen in Afghanistan das Gefühl geben, dass wir dauerhaft an ihrer Seite stehen. Wir müssen auch den Mut haben, Menschen in jene Regionen zurückführen, die wir als hinreichend sicher betrachten können. Die afghanische Regierung ist aufgefordert, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen und afghanische Bürger aufzunehmen. Es gibt im Norden des Landes und in Kabul trotz aller Probleme eine hinreichende Sicherheit. Es gibt keine flächendeckende Bedrohung mehr, so wie das unter der Herrschaft der Taliban der Fall war – insbesondere dort, wo al-Qaida Rückzugsräume hatte.

Immer wieder auch das Gespräch mit der pakistanischen Seite suchen

Es gibt immer wieder Berichte über Verbindungen zwischen Taliban und pakistanischen Behörden. Muss Pakistan mehr in die Pflicht genommen werden?
Hardt: Wir ermutigen die afghanische Regierung, das Gespräch mit der pakistanischen Seite zu suchen – das war übrigens ein wichtiger Punkt beim Besuch von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Afghanistan Anfang Dezember. Kabul bemüht sich ernsthaft um eine Annäherung an den Nachbarn. Präsident Ghani war ja bereits in Islamabad. Umgekehrt dürfte auch Pakistan kein Interesse an einem Nachbarn haben, der Terrorismus nicht wirksam und aus eigener Kraft bekämpfen kann.

Halten Sie es für ausgeschlossen, dass eines Tages mit den Taliban verhandelt wird?
Hardt: Es gibt auch unter den Taliban Kräfte, die für eine friedliche Zukunft des Landes zu gewinnen sind. Das ist aber eine Entscheidung der demokratisch gewählten afghanischen Regierung. Sie muss entscheiden, wen sie für gesprächsfähig hält.

Alle Bundeswehreinsätze haben eine tragfähige völkerrechtliche Grundlage

Der Bundestag hat auch der Fortsetzung von „Active Endeavour“ im Mittelmeer zugestimmt, einem Einsatz, der noch immer auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages im Zusammenhang mit 9/11 gründet. Soll aus dem Bündnisfall ein Dauerzustand werden?
Hardt: „Active Endeavour“ hat – genauso wie UNIFIL vor der libanesischen Küste, die Operationen „Atalanta“ am Horn von Afrika und „Sophia“ vor der libyschen Küste – dazu beigetragen, dass wichtige internationale Seewege sicher sind. Bei „Active Endeavour“ streben wir bis zum NATO-Gipfel Mitte 2016 an, den Einsatz vom Artikel 5 zu lösen und auf eine andere völkerrechtliche Grundlage zu stellen.

Wie steht es um die völkerrechtliche Legitimation beim militärischen Vorgehen gegen internationalen Terror? Die Kritik lautet, dass es sich de facto um einen grenzenlos aufgefassten „Krieg gegen den Terror“ handeln würde, der sich gegen nichtstaatliche Akteure wendet.
Hardt: Alle Bundeswehreinsätze, auch der in Afghanistan und im Rahmen von „Active Endeavour“ und der Syrieneinsatz, haben eine tragfähige völkerrechtliche Grundlage. Das Recht zur Selbstverteidigung, wie es die Charta der Vereinten Nationen vorsieht, bezieht sich nicht nur auf Angriffe durch Staaten, sondern auch durch nichtstaatliche Akteure. Um den VN-Sicherheitsrat als rechtsschaffendes Gremium noch handlungsfähiger zu machen, wäre es allerdings wünschenswert, wenn wir einen Konsens erreichen könnten, den VN-Sicherheitsrat zu reformieren und seine Zusammensetzung zu ändern. Zudem gibt es den Vorstoß Frankreichs, die fünf Vetomächte dazu zu bringen, dass sie auf ihr Veto im Fall von Völkermorden verzichten. Diesen halte ich für absolut unterstützenswert.

Bei der Einsatzplanung stets ein pessimistisches Szenario mitbedenken

Was lässt sich aus den Fehlern in Afghanistan beim Einsatz gegen den „Islamischen Staat“ (IS) lernen?
Hardt: Man darf die Situation in einem Land, in dem man einen Militäreinsatz plant, niemals unterschätzen und sollte ein pessimistisches Szenario mitbedenken. Zweitens haben wir gelernt, dass ein motivierter, gut ausgebildeter einheimischer Soldat oder Polizist ein ganz anderes Potential hat, in seiner Heimat für Frieden und Sicherheit zu sorgen als ausländische Kräfte. Deshalb setzen wir beim Kampf gegen den IS auf Akteure am Boden, die mit der Region und den Menschen vertraut sind, wie etwa die Peschmerga im Nordirak.

Also kein Einsatz der Bundeswehr als Bodentruppe – weder in Afghanistan noch im Kampf gegen den IS?
Hardt: US-Truppen führen gemeinsam mit der afghanischen Armee nach wie vor auch militärische Operationen durch. Das machen wir dort nicht mehr. Mit Blick auf Syrien stellt sich diese Frage heute nicht. Aber es wäre nicht ehrlich, hier von vornherein eine rote Linie zu ziehen.

Gemeinsam eine weitere Expansion des IS verhindern

Hätten Sie sich mehr Klarheit für das Mandat beim Syrieneinsatz gewünscht?
Hardt: Der Einsatz besteht aus drei Teilen und der Auftrag ist klar. Es geht um den Schutz des französischen Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“, es geht um die Betankung französischer Kampfflugzeuge durch unsere Tankflugzeuge und es geht um Aufklärung per Satellit und aus der Luft. Der Auftrag der VN-Resolution 2249 umfasst das Recht, den IS dort zu bekämpfen, wo er herrscht. Ein Lagebild, das erlaubt zu beurteilen, wo der IS militärische Stellungen hat, ist Voraussetzung dafür, das Mandat ordnungsgemäß zu erfüllen.

Ist das politische Ziel für Syrien klar genug definiert?
Hardt: Es wird keinen Frieden in Syrien geben, solange es den IS gibt. Und es wird keine nachhaltige erfolgreiche Bekämpfung des IS geben, solange es den Konflikt in Syrien gibt. Es geht darum, eine Expansion des IS zu verhindern, um dann auf der Basis eines Friedensschlusses die syrischen Kräfte zu ermutigen, geschlossen gegen den IS auf syrischem Gebiet vorzugehen. Das hängt allerdings von zwei entscheidenden Punkten ab. Die syrische Opposition muss einen Weg finden, mit Kräften des syrischen Regimes zu einer Vereinbarung zu kommen, die zu einem Waffenstillstand und idealerweise zu Wahlen führt. Zweitens müssen wir Russland davon überzeugen, sich der Bekämpfung des IS und der Befriedung Syriens mit gleicher Konsequenz zu verschreiben, wie wir das tun. Da gibt es positive Signale – etwa das Tandem der Außenminister Lawrow und Kerry, die bei den Genfer Verhandlungen zeigen, dass Russland und Amerika in dieser Frage an einem Strang ziehen. Aber es gibt auch entmutigende Signale, wenn man sich anschaut, welche Ziele mit russischer Unterstützung in Syrien derzeit bekämpft werden. Das sind überwiegend keine Stellungen des IS, sondern Orte, die der syrischen Opposition zuzuordnen sind.


Zu unserem Bildangebot:
1. Bundeswehrsoldaten im Einsatzland Afghanistan. Die Aufnahme stammt vom 29. April 2010.
(Foto: PrInfoZ Kunduz/Bundeswehr)

2. Bundeswehr-Feldlager Camp Marmal bei Mazar-e Sharif.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

3. CDU-Parlamentarier Jürgen Hardt bei einer Rede im Bundestag am 14. Oktober 2015. Er sprach an diesem Tag zum 70-jährigen Jubiläum der Vereinten Nationen.
(Foto: Achim Melde/Lichtblick/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Unser Symbolfoto entstand am 10. Dezember 2015 im Großraumtransportflugzeug A400M. Die Maschine vom Lufttransportgeschwader 62 (Wunstorf) flog an diesem Donnerstag das Vorauskommando des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 „Immelmann“ (Jagel) in die Türkei zur Vorbereitung des Syrieneinsatzes der Bundeswehr.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)


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