menu +

Nachrichten



Berlin. Der Konflikt mit Russland und die Krise um die Ukraine haben in Deutschland eine erneute Wehrpflicht-Debatte befördert. Hochrangige Bundeswehrgeneräle im Ruhestand plädieren mit Nachdruck für eine Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht. Verteidigungsexperten der Großen Koalition lehnen dies ab. Einmal mehr äußerte sich jetzt auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sie schließt eine Rückkehr zur Wehrpflicht kategorisch aus.

Auch wenn die Spannungen und Unruhen in Osteuropa von der deutschen Bevölkerung mit wachsender Sorge verfolgt werden, so wird die Bundeswehr doch auch weiterhin eine Armee ohne Wehrpflichtige bleiben. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus sagte Ministerin von der Leyen vor wenigen Tagen: „Nein, wir werden die Wehrpflicht nicht wieder einsetzen.“ Ihr persönlich seien „motivierte Soldaten, die freiwillig kommen, viel lieber als Soldaten, die nur kamen, weil sie mussten“. Sie wies zudem im Gespräch mit dem Focus Befürchtungen zurück, die Bundeswehr verliere auch wegen ihrer zahlreichen Auslandseinsätze mehr und mehr an Attraktivität. „Die Zahl der freiwilligen Bewerbungen ist hoch“, versicherte die Verteidigungsministerin. Im Augenblick (Stand 16. April 2014) beteiligen sich 4488 deutsche Soldatinnen und Soldaten an 14 Militärmissionen im Ausland.

Zum Thema „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ hatte sich die CDU-Politikerin bereits Anfang April geäußert. In einem Interview mit der Boulevardzeitung Bild hatte Ursula von der Leyen auf die Frage „Wenn jetzt der Kalte Krieg wieder ausbricht – müssen Sie dann vielleicht sogar die Wehrpflicht wieder einführen?“ geantwortet: „Nein! Die Aussetzung der Wehrpflicht war richtig. Die Bundeswehr braucht heute mehr Qualität als Masse.“

Ende der Dienstpflicht gilt ausschließlich in Friedenszeiten

Der Deutsche Bundestag hatte die Allgemeine Wehrpflicht am 24. März 2011 – rund 55 Jahre nach ihrer Einführung – zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Für das entsprechende Wehrrechtsänderungsgesetz der Bundesregierung hatten an diesem Donnerstag gemäß der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses die Fraktionen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. SPD und Linke hatten gegen die Aussetzung des Pflichtdienstes votiert. Mit dem Gesetz ist zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten geschaffen worden, der Männer und Frauen gleichermaßen offensteht.

Die Aussetzung der Wehrpflicht war und ist Teil der angestrebten Streitkräftereform, mit der die Bundeswehr von ursprünglich rund 255.000 auf bis zu 185.000 Soldaten verkleinert werden soll. Das Ende der Dienstpflicht gilt jedoch ausschließlich in Friedenszeiten, im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden. Deshalb blieb auch Artikel 12a des Grundgesetzes, nach dem jeder männliche deutsche Staatsbürger „vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ kann, unangetastet.

Landesverteidigung als Bündnisaufgabe wieder in den Mittelpunkt rücken

Nach Ansicht von Harald Kujat, in den Jahren 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr, sind die deutschen Streitkräfte im Augenblick nicht in der Lage, ihren Kernauftrag – die Landes- und Bündnisverteidigung – zu erfüllen. Dies äußerte der General a.D., der von 2002 bis zu seiner Pensionierung 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses war, im März dieses Jahres in der Wochenzeitung Die Zeit. Er sprach sich dabei angesichts der Krise um die Ukraine und der aggressiven russischen Politik für eine „grundlegende Neubewertung“ der sicherheitspolitischen Lage aus. Kujat wörtlich: „Meiner Meinung nach bedeutet das, dass die Landesverteidigung als Bündnisverteidigung wieder ins Zentrum der Überlegungen gehört.“ Der Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee müsse gestoppt werden.

Zur Landesverteidigung brauche man jedoch starke Landstreitkräfte. Und die bekomme man, so der Ex-General, nur auf zwei Arten: „Entweder wird der Soldatenberuf deutlich attraktiver, also erkennbar auch besser bezahlt – oder man führt die Wehrpflicht wieder ein.“

War die Aussetzung der Wehrpflicht ein großer Fehler?

Ähnlich argumentiert General a.D. Egon Ramms, von 2007 bis 2010 Kommandeur des Allied Joint Force Command im niederländischen Brunssum und damit zu dieser Zeit einer der ranghöchsten deutschen Soldaten in der NATO. Der Bildzeitung sagte Ramms im März: „Wir brauchen die Wehrpflicht. Deutschland kann die Landesverteidigung im Bündnisfall anders nicht gewährleisten. Auf freiwilliger Basis schon gar nicht. Wir brauchen aber auch die nötige Ausrüstung für einen solchen Fall. Mit dem Material, das wir jetzt haben, ist das nicht zu machen.“

Bereits im August 2013 hatte der frühere NATO-General gegenüber Bild die Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland als einen Fehler bezeichnet. Das Projekt sei viel zu überhastet durchgezogen worden „und zwar, ohne dass die ganzen Rahmenbedingungen und Auswirkungen vorher gründlich untersucht worden wären“. Für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht werde es jetzt wohl keine politische Mehrheit im mehr Parlament geben, vermutet Ramms. „Auch in der Gesellschaft würde die Rückkehr zur Wehrpflicht wahrscheinlich nicht verstanden. Aber der Schritt wäre richtig.“

Politik und Diplomatie anstelle militärischer Lösungen

Wie die Positionen innerhalb der Koalition in der Frage einer möglichen Renaissance der Bundeswehr-Dienstpflicht sind, wird am Beispiel von Henning Otte deutlich. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion äußerte sich am 24. März 2014 in einer Presseerklärung: „Die Auswirkungen der Ukrainekrise und die Lage auf der Krim beobachten wir sehr genau. Das entscheidende Mittel zur Lösung dieser Krise ist die Diplomatie. Militärische Lösungen werden uns hier nicht helfen, sondern die Lage eher noch zuspitzen. Es ist nicht erkennbar, wie uns eine Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in dem Zusammenhang weiterbringen könnte.“

Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages, hält – wie er auf Twitter schreibt – die Debatte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht für falsch und verweist auf sein Statement in der Wirtschafts- und Finanzzeitung Handelsblatt vom 24. März.

Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sei keine Antwort auf die Krimkrise, so zitierte ihn an diesem Tag Handelsblatt Online. Statt Eskalation seien jetzt politische und diplomatische Lösungen gefragt. Und noch einen anderen Aspekt führte Klingbeil gegen die Rückkehr der Dienstpflicht zu Felde. Den Personalproblemen bei der Bundeswehr müsse mit einer „Attraktivitätsoffensive“ begegnet werden, forderte er im Handelsblatt-Beitrag. Der Soldatenberuf müsse insgesamt attraktiver und familienfreundlicher werden. Zudem seien bessere Aufstiegsmöglichkeiten nötig. „Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre die Kapitulation vor dieser politischen Aufgabe“, so der verteidigungspolitische Experte der SPD.

Personalgewinnung der Bundeswehr derzeit „gut und stabil“

Die Lage ihrer militärischen Personalgewinnung bezeichnet die Bundeswehr selber „als gut und stabil“ – sowohl rückblickend für das Jahr 2013 als auch vorausschauend für 2014. Details dazu nennt ein Beitrag von Ralf Bonk für das Onlineportal www.bundeswehr.de (wir veröffentlichen den Artikel nachfolgend auszugsweise mit freundlicher Genehmigung des Informations- und Pressestabes des Verteidigungsministeriums).

Für das vergangene Jahr konnte der von den Streitkräften festgelegte Bedarf an neuen Zeitsoldaten zu 87 Prozent gedeckt werden. Von den für 2013 insgesamt vorgesehenen rund 16.000 Neueinstellungen erfolgten 13.900. Davon wurden knapp 11.200 Soldaten von außerhalb neu eingestellt und etwa 2700 Freiwillig Wehrdienst Leistende (FWDL) zu Zeitsoldaten erstverpflichtet.

Beim Offiziernachwuchs konnte der Bedarf wie in den Vorjahren gedeckt werden. Hier stieg die Anzahl der Bewerber für die 1901 Einstellungsmöglichkeiten im Vergleich Jahr 2012 sogar nochmals um acht Prozent auf rund 10.800 Bewerbungen an – 22 Prozent davon waren Frauen.

Für die Laufbahngruppen der Unteroffiziere und Mannschaften konnte der Bedarf im Jahr 2013 von rund 14.100 Einstellungen und Erstverpflichtungen zu 85 Prozent gedeckt werden. Insgesamt stellten sich knapp 29.000 Frauen und Männer den Auswahlverfahren – 13 Prozent davon waren Frauen. Die Gesamtbewerberzahl ist vergleichbar mit der des Jahres 2012. Die Bewerber hatten entweder gerade ihre Schulzeit oder ihre Berufsausbildung beendet oder kamen direkt vom Arbeitsmarkt.

Starke Konkurrenz aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst

Eine Herausforderung für die Personalgewinnungsorganisation bleibt die Laufbahn der Feldwebel im Fachdienst, da es hier einen hohen Anteil an Spezialisten gibt, insbesondere in den Bereichen IT/Elektronik und Sanitätsdienst. Hier ist es schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden. Denn der begrenzten Anzahl möglicher Bewerber steht eine hohe Nachfrage entgegen: in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst.

Rund 70 Prozent der neu eingestellten beziehungsweise erstverpflichteten Zeitsoldaten können als Schulabschluss mindestens die Mittlere Reife vorweisen, 68 Prozent bringen zudem eine abgeschlossene Berufsausbildung mit. Somit kann jede vierte Einstellung – aufgrund einer vorhandenen und militärisch nutzbaren zivilberuflichen Qualifikation – mit einem höheren Dienstgrad erfolgen.

In der zweiten Jahreshälfte 2013 konnten mehr als 8600 FWDL gewonnen werden, wodurch der Bedarf in jedem militärischen Organisationsbereich umfassend gedeckt wurde. Von den etwa 19.000 Bewerbungen für eine Verpflichtung als FWDL im Jahr 2013 stammen rund elf Prozent von Frauen.

Die Bundeswehr nutzt aber auch gezielt die Möglichkeiten der Weiterverpflichtung von Soldaten auf Zeit und des Wechsels in eine andere Laufbahn, um so qualifiziertes Personal zu halten. Dies dient dazu, um einerseits bewährtes Personal längerfristig an den Arbeitgeber Bundeswehr zu binden und andererseits, um auf mögliche Personallücken kurzfristig reagieren zu können. So erfolgten im Jahr 2013 insgesamt rund 9600 Weiterverpflichtungen, davon knapp 1500 bei den Fachunteroffizieren und 1000 bei den Feldwebeln. Zusätzlich gab es im gleichen Zeitraum knapp 500 Wechsel in die Laufbahn der Fachunteroffiziere und knapp 800 in die Laufbahnen der Feldwebel.

Positive Tendenz auch bereits für das Jahr 2014 erkennbar

Für das laufende Jahr können im militärischen Bereich etwa 16.200 Einstellungen und Erstverpflichtungen durchgeführt werden. Rund 30 Prozent konnten davon bereits abgedeckt werden. So liegen die aktuellen Einplanungen in den Laufbahngruppen der Unteroffiziere und Mannschaften ungefähr zehn Prozent über den Vergleichszahlen des Vorjahres. Noch erfreulicher verlief der Start in dieses Jahr sogar bei der Gewinnung von FWDL: Knapp 3300 junge Frauen und Männer erklärten sich bereits für eine Einstellung 2014 bereit.

Die Zahlen der Personalgewinnung der Bundeswehr untermauern die Aussage von Verteidigungsministerin von der Leyen, die in ihrem Focus-Interview ja von einer hohen Zahl freiwilliger Bewerbungen für den Dienst in den Streitkräften spricht.



Unser Bildangebot:
1. Die Aufnahme zeigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 17. Dezember 2013 auf dem Paradeplatz des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin. An diesem Dienstag wurde sie von General Volker Wieker, Generalinspekteur der Bundeswehr, mit militärischen Ehren zum Antritt ihres neuen Amtes empfangen.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Im März 2011 übten letztmalig Wehrpflichtige auf dem Truppenübungsplatz in Frankenberg. Die Rekruten gehörten zum Panzergrenadierbataillon 371 aus Marienberg.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

3. Am 4. Juli 2011 meldeten sich die ersten Freiwillig Wehrdienst Leistenden auch in der Berliner Julius-Leber-Kaserne zum Dienstantritt.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN