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Berlin/Kabul (Afghanistan). In den vergangenen Jahren ist die Bundeswehr mehrfach durch Einbrüche, Sachbeschädigungen, Brandstiftungen sowie Diebstähle im Bereich ihrer Liegenschaften in die Schlagzeilen geraten. Unter den gemeldeten Fällen waren 14 Munitions- und 30 Waffendiebstähle. Der größte Einbruch und Munitionsdiebstahl bei der Truppe überhaupt ereignete sich am 7. Februar 2014: An diesem Freitag brachen unbekannte Täter in der Fallschirmjägerkaserne in Seedorf zehn Munitionsbehälter auf und entwendeten insgesamt 34.881 Patronen Handmunition. Wie die Bundesregierung bereits am 29. April dieses Jahres in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke mitgeteilt hatte, gab es außer Seedorf „keine Waffen- und Munitionsdiebstähle als Folge von externen Einbrüchen“.

Gleichwohl bestätigte die Bundesregierung im April für den Zeitraum 2003 bis 2013 insgesamt „44 Fälle des Diebstahls, die nicht im Zusammenhang mit einer Einbruchshandlung in eine Bundeswehrliegenschaft stehen“. Die Zahl schließe auch Fälle von ungeklärten Verlusten ein. Dabei seien in 25 Fällen Waffen, in fünf Fällen Waffenteile und in 14 Fällen Munition entwendet worden, so die offiziellen Angaben. In zehn Fällen habe man Teile des Diebesguts wieder auffinden beziehungsweise sicherstellen können. In 17 Fällen hätten Tatverdächtige ermittelt werden können.

Nach Ansicht der Linken-Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan Korte, Katrin Kunert, Alexander S. Neu und ihrer Fraktion muss angesichts dieser Informationen „vorwiegend von mutmaßlichen Innentätern innerhalb der Bundeswehr ausgegangen werden“. Hierfür spreche auch die hohe Zahl von 137.717 sogenannten Sabotageschutzüberprüfungen durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) im genannten Zeitraum, argumentierten die Politiker. Bei diesen Überprüfungen war in 685 Fällen ein Sicherheitsrisiko ermittelt worden.

Alles in allem sind laut Bundesregierung keine Fälle von Munitions- oder Waffendiebstählen aus Bundeswehrbeständen bekannt, denen eine politische Motivation zugrunde lag.

Das Bundeswehr-Meldewesen soll überarbeitet werden

Die Bundeswehr will Ursachen und Hintergründe von Waffen- und Munitionsverlusten künftig umfassender dokumentieren. Wie die Bundesregierung in einer weiteren Antwort (vom 21. Juli dieses Jahres) auf zusätzliche Fragen der Linksfraktion schreibt, wird das „Meldewesen“ der Streitkräfte gegenwärtig entsprechend überarbeitet.

Im Umgang mit Munition sei der größte Teil der Fehl-Meldungen auf rechnerische Fehler zurückzuführen, erklärt die Bundesregierung zudem. Sie weist auch darauf hin: „Weiterhin wurde durch die Polizei im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen wiederholt Munition aus Bundeswehrbeständen aufgefunden, die beispielsweise aus bereits abgerechneten Schießvorhaben stammen und damit aufgrund einer Falschmeldung widerrechtlich in den Besitz eines Soldaten gelangt sind.“

Die Annahme, dass es sich bei den Tätern vornehmlich um Innentäter handeln muss, könne im Wesentlichen für solche und für Diebstähle innerhalb von Liegenschaften vermutet werden, meint auch die Bundesregierung. Hinzu kämen allerdings auch Fälle, in denen Waffen oder Munition beispielsweise bei Transporten oder im Laufe von Übungen entwendet würden. Ebenso seien hier Verlustfälle zu berücksichtigen, bei denen auch ein Diebstahl durch Dritte nicht ausgeschlossen werden könne.

Ausdrücklich macht die Bundesregierung darauf aufmerksam, dass für die Erfassung von tatsächlich erfolgten Diebstählen grundsätzlich die Länderpolizei zuständig sei. Eine zentrale polizeiliche Erfassung von Waffendiebstählen mit Bezug zu Bundeswehrangehörigen bestehe nicht.

Die bisherigen Erfahrungswerte der Bundeswehr hätten gezeigt, so die Regierung abschließend, dass sich die erfassten Verluste von Waffen und Munition im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückführen ließen: Verlust bei Übungen oder Schießvorhaben, Fehl bei Bestandsüberprüfungen, Fehler in der Buchführung und an letzter Stelle „Diebstahl“.

Gigantisches Arsenal unzureichend registrierter Waffen

Bleiben wir beim Thema „Munition und Waffen“, wechseln wir aber die Szenerie. Nach Afghanistan. Hier stieß vor Kurzem US-Sonderermittler John F. Sopko auf einen erschreckenden Missstand mit gefährlicher Langzeitwirkung. Von den 474.823 registrierten Handfeuerwaffen, die die USA an die afghanischen Sicherheitskräfte geliefert haben, sind 43 Prozent (203.888 Waffen) in den Registrierungssystemen nicht, nur mit unvollständigen Informationen oder mehrfach vorhanden.

Um es auf den Punkt zu bringen: Sopkos Aufsichtsbehörde SIGAR (SIGAR: Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction/Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans) fand nach intensiven Recherchen in den Vereinigten Staaten und in Afghanistan heraus, dass von fast der Hälfte der ausgelieferten Handfeuerwaffen nicht bekannt ist, wo diese abgeblieben sind.

Die USA statten die Sicherheitskräfte Afghanistans seit Jahren schon mit Pistolen, Sturmgewehren, Maschinengewehren, Schrotflinten und Granatwerfern aus (seit 2004 wurden mehr als 747.000 Waffen und Zusatzausrüstung im Wert von etwa 626 Millionen US-Dollar an Kabul geliefert). Ein genauer Überblick über den Verbleib aller Stücke fehlt jedoch.

Rund 50.000 Waffen ohne Lieferunterlagen oder Empfangsbestätigungen

So fand SIGAR heraus, dass zwar beim US-Verteidigungsministerium gleich zwei Datenbanken mit Informationen aller an Afghanistan gelieferten Handfeuerwaffen existieren, die beiden Systeme aber nicht miteinander verbunden sind. Das System SCIP (Security Cooperation Information Portal) registriert die aus den USA ausgeführte Fracht. Das System OVERLORD (Operational Verification of Reliable Logistics Oversight Database) erfasst die in Afghanistan ankommende Fracht. Da SCIP und OVERLORD nicht miteinander verlinkt sind, müssen Korrekturen, Ergänzungen oder Löschungen von Einträgen mit der Hand erfolgen.

Wen wundert es nun, dass das Datenmaterial hinten und vorne nicht passt? Alarmierend für Sopko und seine Mitarbeiter ist nicht nur, dass es für 203.888 Waffen in den Datenbanken keine oder doppelte Einträge gibt. Oftmals wurden Seriennummern auch bis zu drei Mal verwendet, für mehr als 50.000 Waffen fehlen Lieferunterlagen oder Empfangsbestätigungen völlig.

Unregistrierte Pistolen der Bundeswehr in einem Depot in Kandahar?

Bereits im Jahr 2009 habe eine Untersuchung in einem Militärdepot im südafghanischen Kandahar ergeben, so der SIGAR-Bericht zur mangelhaften Waffendokumentation, dass dort auch 400 Pistolen der Bundeswehr eingelagert worden waren. Auch von diesen Waffen waren keine Seriennummern erfasst worden.

Das Problem könnte sich nun in Zukunft noch deutlich auswachsen. Christian Thiels, der sich ebenfalls mit dem Thema der SIGAR-Ermittlungen befasst hatte, schrieb am 29. Juli in einem Beitrag für die Tagesschau: „Es gibt Pläne, Armee und Polizei am Hindukusch von derzeit 352.000 auf 228.500 zu verkleinern. Schon jetzt haben die Sicherheitskräfte mehr als 112.000 Waffen zuviel in ihren Depots. Angesichts der ,begrenzten Fähigkeit von Afghanistans Regierung, die Waffen zu registrieren oder sie richtig zu entsorgen‘ sei das Risiko hoch, dass diese Waffen in die Hände von Aufständischen fallen, warnt der Bericht des Sonderermittlers.“


Zu unserem Bildangebot:
1. Nach Auskunft der Bundesregierung ist der größte Teil der bei der Bundeswehr erfassten „Fehl-Meldungen“ bei Munition auf rechnerische Fehler zurückzuführen. Die Aufnahme zeigt einen Soldaten am Maschinengewehr eines Panzers.
(Foto: Björn Trotzki/Bundeswehr)

2. Mit Ausnahme der Fallschirmjägerkaserne in Seedorf hat es bislang nach Regierungsauskunft keine Waffen- und Munitionsdiebstähle bei der Bundeswehr als Folge von externen Einbrüchen gegeben. Das Bild zeigt ein militärisches Warnschild im thüringischen Jonastal.
(Foto: Jøra)

3. Die Aufsichtsbehörde SIGAR veröffentlichte im Juli 2014 die Ergebnisse einer alarmierenden Untersuchung – rund 204.000 Handfeuerwaffen, die an die afghanischen Sicherheitskräfte geliefert wurden, sind in den entsprechenden Datenbanken nur unzureichend erfasst. Oft gibt es keine Einträge, manchmal wiederum Doppelerfassungen.
(Foto: SIGAR)

4. Der SIGAR-Report kritisiert, dass Seriennummern von Handfeuerwaffen teilweise auch bis zu drei Mal verwendet wurden. Für mehr als 50.000 Waffen gibt es keine Lieferunterlagen oder Empfangsbestätigungen.
(Foto: SIGAR)


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