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München. Die 50. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), die vom 31. Januar bis zum 2. Februar im Hotel „Bayerischer Hof“ in der Landeshauptstadt stattfand, ist Vergangenheit. Was bleibt, ist – angesichts der Brennpunkte der Weltpolitik und Schwerpunktthemen dieser hochkarätig besetzten Veranstaltung – ein Fazit der Ernüchterung. Spannungen, Konflikte und Krisen wurden in Vorträgen und Diskussionsrunden zwar deutlich nachgezeichnet, konkrete Lösungen oder wenigstens Lösungsansätze jedoch blieben bei dieser Konferenz zumeist ungenannt.

Der Friedensprozess im Nahen Osten, die Katastrophe in Syrien, der erbitterte Machtkampf in der Ukraine, der Atomkonflikt mit dem Iran, die kriselnden transatlantischen Beziehungen und eine mögliche neue Rolle Deutschlands in der Welt (so denn Kanzlerin Angela Merkel zustimmt): Bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz diskutierten rund 400 Politiker und Sicherheitsexperten drei Tage lang über eine umfangreiche Agenda weltbewegender Themen. Was hat dieses Treffen nun letztendlich gebracht?

Die Bedrohungen kommen immer näher

Die Bewertungen bundesdeutscher Medien nach Ende der Veranstaltung klangen mehrheitlich desillusioniert. Der Spiegel beispielsweise beschrieb diese Jubiläumskonferenz als „Gipfeltreffen der Ratlosen“ und sprach von „Stillstand“ und dem weltpolitischen Prinzip „Hoffnung“. Die Tagesschau gebrauchte in ihrer Bilanz ebenfalls den Begriff „Ratlosigkeit“ und hatte bei der Veranstaltung immer wieder „alte Fronten“ ausgemacht. Der Nachrichtensender n-tv berichtete von großer Hoffnungslosigkeit, die sich in den Tagungsräumen angesichts des syrischen Bürgerkrieges breitgemacht habe.

Sehr pessimistisch sieht Michael Stürmer, Chefkorrespondent der Tageszeitung Welt, die globale sicherheitspolitische Großwetterlage. „So viel Drama wie am vergangenen Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz haben die dort versammelten Teilnehmer lange nicht erlebt“, meinte der Historiker. „Die Bedrohungen kommen näher – von der Ukraine über Ägyptens Krise und Syriens Blutsumpf reichten die Themen bis Afghanistan und zum Fernen Osten. Die Europäer müssen sich fragen, wie lange die USA noch die Kraft haben, das Weltgewicht zu stemmen.“

Optimismus, Pessimismus und Realismus

Am Freitag, dem ersten Veranstaltungstag, diskutierten die Fachleute über Freiheit und Sicherheit des Internets, Synergieeffekte europäischer Rüstung und die Zukunft europäischer Verteidigung sowie über die Krisenregion Naher Osten.

Wo und unter welchen Bedingungen der Nahostfriedensprozess fortgeschrieben werden kann, darüber sprachen auf dem Podium der Sondergesandte des Nahostquartetts (Europäische Union, Vereinte Nationen, Russland und USA) Tony Blair, Israels Justizministerin Tzipi Livni, Saeb Erekat von der palästinensischen Fatah sowie Martin S. Indyk, Sondergesandter von US-Außenminister John Kerry. Der schwedische Außenminister Carl Bildt charakterisierte diese Diskussion später als eine Mischung aus Optimismus, Pessimismus und Realismus.

Kolossale Tragödie im Bürgerkriegsland Syrien

Zum dritten Mal in Folge stand der syrische Bürgerkrieg an prominenter Stelle auf der Tagesordnung des MSC-Treffens. Von der Diskussionsrunde zu später Stunde am Freitag gab es wenig Positives zu vermelden. Die Presseagentur dpa etwa berichtete nach diesem Programmpunkt: „Frustrierende Botschaften einerseits, Appelle andererseits – mehr blieb der Sicherheitskonferenz beim Thema ,Syrien‘ nicht.“

Lakhdar Brahimi, Sondergesandter der Vereinten Nationen im Bürgerkriegsland, berichtete über das ergebnislose Ende der Verhandlungen zwischen der Assad-Regierung und den Vertretern der syrischen Opposition in der Schweiz. Zwar sollen Brahimi zufolge die Gespräche in Genf bald wieder aufgenommen werden. In der Zwischenzeit aber, so der Sondergesandte, verschlimmere sich die schreckliche Lage in Syrien und den Flüchtlingslagern in den angrenzenden Staaten immer mehr. Der erfahrene Diplomat machte in München keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über das Ende der jüngsten Verhandlungen („Wir sind in gewisser Weise gescheitert“). Er forderte eindringlich dazu auf, alle Einflussmöglichkeiten zu nutzen, um die Bürgerkriegsparteien für eine Fortsetzung des Dialogs zu gewinnen.

Nach Einschätzung der Vereinten Nationen hat der Bürgerkrieg in Syrien die schlimmste Flüchtlingskrise seit dem Völkermord in Ruanda vor 20 Jahren ausgelöst. Der Portugiese Antonio Guterres, Flüchtlingskommissar der Organisation, erklärte in München sichtlich fassungslos: „Es ist eine kolossale Tragödie.“ Mindestens 2,4 Millionen Flüchtlinge seien offiziell außerhalb des Bürgerkriegslandes registriert. Noch schlimmer sei die Lage der 6,5 Millionen Menschen, die innerhalb Syriens vor der Gewalt auf der Flucht seien. 240.000 Menschen lebten isoliert von jeglicher Hilfe in Gebieten, die für die internationale Unterstützung nicht erreichbar seien. Zwei Millionen Kinder litten unter Unterernährung. Die italienische Außenministerin Emma Bonino sagte im Laufe der Diskussion, sie habe noch keinen Konflikt erlebt, bei dem „einem solchen Ausmaß an Leid und Schrecken eine derartige Gleichgültigkeit“ gegenüberstehe.

Neuwahlen auf Grundlage reformierter Wahlgesetze

Am späten Samstagnachmittag kam es in München zum mit Spannung erwarteten Treffen zwischen Vitali Klitschko und dem ukrainischen Außenminister Leonid Koschara. Eine Annäherung gab es – wie vorausgesagt – nicht. Koschara betonte im Laufe des Streitgesprächs immer wieder, dass die ukrainische Regierung nicht europafeindlich sei, sich aber auch Russland verbunden fühle.

Klitschko nutzte seinen Auftritt, um die Forderungen der ukrainischen Opposition zu bekräftigen. Zentral sei und bleibe weiterhin, dass alle inhaftierten Protestteilnehmer bedingungslos freigelassen werden und vorgezogene Neuwahlen auf Grundlage reformierter Wahlgesetze stattfinden, so der Vorsitzende der Partei „Ukrainische demokratische Allianz für Reformen“. Dies sei die einzige friedliche Lösungsmöglichkeit.

Historische Chance für einen Fortschritt in der Atomfrage?

Am letzten Tag der 50. Sicherheitskonferenz ging es in den Diskussionsrunden um die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, die Folgen des Arabischen Frühlings und um das iranische Atomprogramm. Erstmalig sprachen an diesem Sonntag auf dem Podium offizielle Vertreter der USA und des Iran miteinander – in Anwesenheit des israelischen Verteidigungsministers Moshe Ya’alon. Eine bemerkenswerte Konstellation.

In einer engagierten Debatte um das iranische Nuklearprogramm und die Zukunft der Atomverhandlungen nutzten die Repräsentanten des Iran und der USA die Chance, mit engagierten Plädoyers für ihre Positionen zu werben. Dabei fiel kein anderes Wort so oft wie „Vertrauen“ – aber doch meist nur, um zu beschreiben, woran es an den Gesprächen zwischen beiden Seiten letztendlich fehlt.

Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif forderte unmissverständlich, die Gespräche müssten auf der Grundlage „gemeinsamer Interessen und auf Augenhöhe“ erfolgen. US-Senator Chris Murphy warnte, dass das Zeitfenster für erfolgreiche Verhandlungen begrenzt sei. Es bestünde aber eine historische Chance für erkennbaren Fortschritt in der Atomfrage.

Ein Anschauungsstück kluger Diplomatie

Die Diskussion um die Zukunft des Kosovo ist bei der Münchner Veranstaltung zu einem Anschauungsstück kluger Diplomatie geworden. Serbiens Regierungschef Ivica Dačić und sein kosovarischer Amtskollege Hashim Thaçi setzten auch an diesem Tag in der bayerischen Landeshauptstadt den schwierigen Dialog über die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Priština fort. Moderiert wurde die Diskussion von Catherine Ashton. 220 Stunden, so berichtete die EU-Außenbeauftragte, hätten Dačić und Thaçi inzwischen miteinander über die Normalisierung ihrer Beziehungen gesprochen.

Die Panelteilnehmer bekräftigten ihr Ziel, den steinigen Weg fortzusetzen und den Menschen ihrer Staaten Frieden und Wohlstand zu bringen. Auf dem Balkan hatte die EU in den vergangenen zwölf Monaten eine tragende Rolle bei den Verhandlungen um eine weitere Normalisierung des Verhältnisses zwischen Serbien und dem Kosovo übernommen.

Neudefinition deutscher Außen- und Sicherheitspolitik

Von der 50. Münchner Sicherheitskonferenz wird aus deutscher Sicht und ausländischer Perspektive auf Deutschland vor allem die Berliner Neudefinition von Außen- und Sicherheitspolitik in Erinnerung bleiben. Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatten sich bereits am ersten Veranstaltungstag für ein stärkeres Engagement der Bundesrepublik bei der Krisenbewältigung in der Welt – bis hin zu militärischen Einsätzen – ausgesprochen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier stieß am Samstag ins gleiche politische Horn.

Sein sicherheitspolitisches Lagebild trug und trägt zum überwiegenden Teil dunkle Farben. Steinmeier: „Die gewaltsamen Konflikte sind näher an Europa herangerückt, auch auf dem europäischen Kontinent mit Blick auf die Ukraine. In Ostasien sind wir weit davon entfernt, die Gründe und die historischen Tiefenschichten für die verschärfte Tonlage zwischen China, Japan und den Nachbarn wirklich zu verstehen. Und aus Genf zurückkommend frage ich mich, ob wir wirklich nur über einen blutigen Konflikt in Syrien reden oder schon über die drohende Erosion jeder staatlichen Ordnung im ganzen Mittleren Osten, ähnlich wie im Krisenbogen von der Sahelzone bis zum Golf von Guinea.“

Dies alles sei Grund genug, um über die Möglichkeiten und Grenzen von Außenpolitik und der deutschen Rolle auf der internationalen Bühne zu sprechen, erklärte Steinmeier und formulierte anschließend einige markante Thesen.

Erstens: Deutschland müsse bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.

Zweitens: Die Übernahme außenpolitischer Verantwortung müsse immer konkret sein. Sie dürfe sich keinesfalls in „Empörungsrhetorik oder der bloßen Benotung von Bemühungen und Aktivitäten anderer“ erschöpfen.

Drittens: Deutschland wolle und werde Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Steinmeier wörtlich: „Nur wenn wir unser Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen, im Süden wie im Osten, wird Europas Außenpolitik mehr sein als die Summe vieler kleiner Teile. In diesem Geist prüfen wir aktuell, wie wir die Stabilisierung fragiler Staaten in Afrika, namentlich in Mali, auch militärisch konkret unterstützen können.“

Viertes: Der Einsatz von Militär sei und bleibe ein äußerstes Mittel. Bei seinem Einsatz bleibe Zurückhaltung geboten. Eine Kultur der Zurückhaltung für Deutschland dürfe aber auch nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden. Der Außenminister bildlich: „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren. Entscheidend ist vor allem, dass wir gemeinsam mit anderen intensiver und kreativer darüber nachdenken, wie wir den Instrumentenkasten der Diplomatie ausstatten und für kluge Initiativen nutzbar machen.“

Vertrauensverlust vieler Deutscher in den Partner USA

Deutliche Worte fand Frank-Walter Steinmeier auch zum Thema „Transatlantische Beziehungen“. Hatten die beiden US-Minister John Kerry (Außen) und Chuck Hagel (Verteidigung) in München wegen der Turbulenzen in Folge der NSA-Affäre noch heftig für eine Renaissance dieser Beziehungen – wirtschaftlich und militärisch – geworben (dabei allerdings kein Wort über die NSA verloren), so kam der SPD-Politiker auf folgenden Punkt: „Für uns bleibt das nordatlantische Bündnis unverzichtbare Rückversicherung in einer unruhigen Welt … Aber auch unsere Partnerschaft lebt nicht von Kontinuität allein … Der Vertrauensverlust vieler Deutscher in die Partnerschaft mit den USA kann uns nicht gleichgültig lassen. Er wird nicht von selbst heilen … Wir brauchen ein geeignetes transatlantisches Forum, in dem wir Maßstäbe entwickeln, wie wir in der Ära von ,Big Data‘ elementare Bürgerrechte sichern, welche Regeln für Regierungen, aber auch für Unternehmen in Zukunft gelten sollen.“

Ewald-Kleist-Preis für langjährige Verdienste um Europa

Ein Jubiläumstreffen bei der Jubiläumskonferenz gab es im Hotel „Bayerischer Hof“ am Samstagnachmittag. Ab 15 Uhr hatte sich hier auf dem Podium die wohl erfahrenste Runde versammelt, die es in der Geschichte dieser Münchner Veranstaltung je gegeben hat.

Mit Deutschlands Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Frankreichs ehemaligem Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, Amerikas ehemaligem Außenminister Henry Kissinger und Egon Bahr, dem Architekten der deutschen Ostpolitik ab Mitte der 1960er-Jahre, hatten gleich vier weltpolitische Gewichte – alle jenseits der 90 – auf dem Panel Platz genommen. Flankiert wurden sie dabei von zwei gerade einmal halb so alten Politikern: Radoslaw Sikorski, Außenminister Polens, sowie Großbritanniens ehemaligem Außenminister David Miliband.

Schmidt und Giscard d’Estaing wurden am Abend anlässlich eines Galaempfangs in der Münchner Residenz mit dem Ewald-Kleist-Preis der Münchner Sicherheitskonferenz ausgezeichnet. Die beiden „Elder Statesmen“ erhielten diese Auszeichnung für ihre langjährigen Verdienste um die europäische Sicherheit und Integration.

Text: Christian Dewitz (unter Verwendung von Texten der Münchner Sicherheitskonferenz; folgende Autoren waren an der Berichterstattung des Veranstalters beteiligt: Daniel Furth, Alexander Hamann, Lorenz Hemicker und Christoph Schwarz)


Hintergrund                                

Die Münchner Sicherheitskonferenz vergibt den Ewald-Kleist-Preis seit 2009. Mit ihm sollen herausragende Persönlichkeiten geehrt werden, die sich in besonderer Weise für Frieden und Konfliktbewältigung eingesetzt haben. Die Auszeichnung würdigt zugleich das politische Leben und Wirken Ewald von Kleists, der 1963 die traditionsreiche Veranstaltung – damals unter dem Namen „Wehrkunde-Begegnung“ – ins Leben gerufen und sie bis 1998 geleitet hatte.
Von Kleist, Jahrgang 1922, war der letzte der Verschwörer aus dem engsten Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Er war am gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt, wurde verhaftet, überlebte aber Haft und Konzentrationslager. Der Begründer des alljährlichen Expertentreffens in der bayerischen Landeshauptstadt starb am 8. März vergangenen Jahres im Alter von 90 Jahren
Die Chronik der „Wehrkunde-Begegnung“ verzeichnet mit Horst Teltschik, dem früheren Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, ab 1999 den neuen MSC-Vorsitzenden. Teltschik bezog in die Münchner Veranstaltung verstärkt die Staaten aus Mittel- und Osteuropa sowie Asien ein und erweiterte das Teilnehmerfeld um Vertreter der Wirtschaft. Seit 2008 ist Wolfgang Ischinger Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz.



Zu unserem MSC-Bildangebot – Teil 2:
1. Hotel „Bayerischer Hof“: Blick in den großen Tagungssaal der Münchner Sicherheitskonferenz.
(Foto: Marc Müller/MSC)

2. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hielt am Samstag, 1. Februar 2014, eine viel beachtete Grundsatzrede zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
(Foto: Tobias Kleinschmidt/MSC)

3. Auftritt von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in der bayerischen Landeshauptstadt.
(Foto: Sebastian Zwez/MSC

4. Altbundeskanzler Helmut Schmidt erhielt in München den Ewald-Kleist-Preis. Gemeinsam mit ihm wurde Frankreichs ehemaliger Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing ausgezeichnet.
(Foto: Tobias Kleinschmidt/MSC)

5. Vier Verteidigungsministerinnen auf einem Bild – ein äußerst seltenes Fotodokument, entstanden am Rande der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. Von links: Ine Marie Eriksen Søreide (Norwegen), Karin Märta Elisabeth Enström (Schweden), Jeanine Hennis-Plasschaert (Niederlande) und Ursula von der Leyen (Deutschland).
(Foto: BMVg)


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