Wilhelmshaven/Gioia Tauro (Italien)/Munster. Die letzte Phase der Vernichtung der Chemiewaffen aus Syrien hat in der Nacht zum 3. Juli begonnen. In der süditalienischen Hafenstadt Gioia Tauro waren zur späten Stunde rund 600 Tonnen Senfgas und Vorläuferprodukte des Nervengases Sarin vom dänischen Containerschiff „Ark Futura“ auf das US-Transportschiff „M/V Cape Ray“ verladen worden. Danach war die „Cape Ray“ in internationale Gewässer ausgelaufen. Im zentralen Mittelmeer werden mittlerweile auch diese letzten Giftgasbestände aus Syrien auf der speziell umgerüsteten „Cape Ray“ im Hydrolyseverfahren neutralisiert. Die Reststoffe werden später an Land von Spezialfirmen entsorgt, auch in Deutschland. Im Augenblick schützt die deutsche Marine mit ihrer Fregatte „Schleswig-Holstein“ das US-Schiff, das seine gefährliche Aufgabe auf hoher See bislang ohne Zwischenfälle erfüllt hat.
Die Mission zur Neutralisation der tödlichen Kampfstoffe ist eine gemeinsame Initiative der Vereinten Nationen (VN) und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW). Hintergrund sind die Chemiewaffenangriffe vom 21. August 2013 in Vororten der syrischen Hauptstadt Damaskus, bei denen mindestens 1400 Menschen ums Leben kamen.
Damals schlossen die Russische Föderation und die USA eine Rahmenvereinbarung miteinander, in der ein Sonderregime zur beschleunigten Beseitigung der syrischen Chemiewaffen vereinbart wurde (zuvor hatten die Vereinigten Staaten der syrischen Führung als Reaktion auf diese Chemiewaffenagriffe militärische Reaktionen angedroht). Völkerrechtliches Fundament für die Etablierung einer gemeinsamen Mission von VN und OPCW ist die Resolution 2118 (2013) des VN-Sicherheitsrates, die einen entsprechenden Beschluss des OPCW-Exekutivrates indossiert.
Die USA planten früh schon im Rahmen der gemeinsamen VN/OPCW-Mission, die syrischen Chemiewaffen an Bord der „Cape Ray“ durch Hydrolyse zu neutralisieren. Bei der Hydrolyse werden chemische Waffen durch Zugabe von Wasser und anderen Substanzen in einem geschlossenen System so zersetzt, dass sie ihre gefährlichen chemiewaffenfähigen Eigenschaften verlieren (das Abfallprodukt, das Hydrolysat, ist mit anderen Abfällen der chemischen Industrie vergleichbar, wie sie jährlich in großem Umfang in kommerziellen Spezialunternehmen – auch in Deutschland – verbrannt werden).
Wegen der Ukrainekrise wurde allerdings das ursprüngliche Vorhaben, die Hydrolyse auf offener See in gemeinsamer amerikanisch-russischer Verantwortung durchzuführen, am 3. März dieses Jahres suspendiert. Im Anschluss daran baten die USA andere Nationen um Unterstützung für die VN/OPCW-Gesamtmission.
Der Deutsche Bundestag befürwortete knapp einen Monat später, am 9. April, einen Antrag der Bundesregierung zur Entsendung einer deutschen Fregatte als Begleitschutz für die „Cape Ray“. In namentlicher Abstimmung votierten an diesem Mittwoch 535 Abgeordnete für die entsprechende Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, 35 Abgeordnete stimmten mit Nein, 19 enthielten sich (18 Parlamentarier von der Linksfraktion und eine SPD-Vertreterin).
Das Mandat hat eine Personalobergrenze von bis zu 300 deutschen Soldaten und ist bis zum Ende der Operation – längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2014 – befristet. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte am maritimen Begleitschutz der „Cape Ray“ werden der Bundesregierung zufolge rund 7,2 Millionen Euro betragen und aus dem Verteidigungsetat bestritten.
Die Rahmenbedingungen für die deutsche Marine beschrieb die Regierung in ihrem Antrag wie folgt: „Die Bedrohungslage im Mittelmeer und Nordatlantik wird grundsätzlich als niedrig bewertet. Dennoch gleichen die potenziell vorhandenen Risiken und Bedrohungen – wie beispielsweise organisierte Kriminalität, Piraterie und Terrorismus – für die im Rahmen der Operation vorgesehenen Seegebiete prinzipiell denjenigen anderer stark frequentierter Seeverkehrswege. Das aufwändig umgerüstete Spezialschiff ,Cape Ray‘ mit hochgefährlichen C-Kampfstoffen an Bord hat seinerseits hohen Symbolcharakter und stellt daher grundsätzlich ein potenzielles Angriffsziel dar. Die möglichen Schäden eines Angriffs auf ein mit Chemiewaffen beladenes Schiff wären so erheblich, dass eine militärische Absicherung geboten ist.“
Unsere Marine beteiligte sich an der VN/OPCW-Mission zunächst mit der Fregatte „Augsburg“. Das Schiff unter dem Kommando von Jörg Mascow hatte Wilhelmshaven am 11. Februar als Teil des diesjährigen Einsatz- und Ausbildungsverbandes (EAV) verlassen. Aus diesem Verband war die Fregatte später herausgelöst worden, um die Begleitschutzaufgaben im Mittelmeer zu übernehmen. „Das haben wir sehr erfolgreich getan“, sagte Fregattenkapitän Mascow im Rückblick auf die vergangenen Monate nach der Heimkehr am 14. Juli in Wilhelmshaven.
Abgelöst wurde die „Augsburg“ als Begleitschutz des US-Spezialschiffes Anfang Juli von der Fregatte „Schleswig-Holstein“. Die „Schleswig-Holstein“ unter Fregattenkapitän Thorsten Geldmacher war am 29. Juni aus Wilhelmshaven ausgelaufen. Geldmacher hatte an diesem Sonntag gegenüber der Presse erklärt: „Die kontrollierte Vernichtung des syrischen chemiewaffenfähigen Materials schützt unzählige Menschen und trägt zur Sicherheit in der Region bei. Die Besatzung unserer Fregatte ist durch die gerade abgeschlossene Einsatzausbildung und speziell die ABC-Abwehrausbildung für die kommenden Aufgaben gut vorbereitet.“
Der maritime Begleitschutz richtet sich gegen mögliche Bedrohungen aus der Luft sowie über und unter Wasser (unter Einschluss asymmetrischer Bedrohungen), jedoch unter Ausschluss des Schutzes an Bord der „Cape Ray“. Der Auftrag beinhaltet dabei die Unterstützung bei der Erstellung und Aufrechterhaltung eines umfassenden Lagebildes für das US-Spezialschiff und die Teilnehmer der maritimen Begleitschutzoperation. Im Einzelnen hat die Bundeswehr folgende Aufgaben übernommen: Begleitschutz der „Cape Ray“ und Sicherung des Verbandes, Kontrolle des Seeverkehrs, See- und Luftraumüberwachung, Aufklärung und Lagebilderstellung in und über der See, Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen mit weiteren Akteuren sowie temporäre Führung der maritimen Operation.
Das dänische Containerschiff „Ark Futura“ hatte den syrischen Mittelmeerhafen Latakia am 23. Juni mit den letzten Beständen der deklarierten chemischen Kampfstoffe Richtung Italien verlassen. Die Übergabe des gefährlichen Restmaterials erfolgte dann in Gioia Tauro – wie bereits erwähnt – am 3. Juli in 78 Containern an die US-Spezialisten.
Die Neutralisation dieser letzten Kampfstoffe aus Syrien hat unmittelbar danach am 7. Juli in internationalen Gewässern begonnen. Sollte das Wetter auf hoher See mitspielen, könnte die Mission an Bord der „Cape Ray“ Anfang September abgeschlossen sein.
Insgesamt sind aus Syrien unter Aufsicht der OPCW 1300 Tonnen Chemiewaffen zur Vernichtung verladen und außer Landes gebracht worden. Wie Ahmet Üzümcü, Generaldirektor der Organisation der Presse am 24. Juli sagte, sei am Schluss außer den 600 Tonnen für die „Cape Ray“ weiteres Material zur endgültigen Zerstörung an Spezialeinrichtungen in Finnland, in Großbritannien und in den USA angeliefert worden. Mit Stichtag 21. Juli 2014 habe man bislang 31,8 Prozent der syrischen Kampfstoffe unschädlich machen können.
Rund 370 Tonnen Hydrolyseabfall soll nach Informationen der Bundesregierung die GEKA (Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH) in Munster verarbeiten. Die letzten rund 20 Tonnen Abfall, so teilte es OPCW-Sprecher Michael Luhan dem bundeswehr-journal mit, werden voraussichtlich im September von der „Cape Ray“ dorthin gebracht. Die 1997 gegründete GEKA ist das einzige Unternehmen in Deutschland, dem der Umgang mit chemischer Munition zum Zwecke der Vernichtung erlaubt ist.
Zu unserer Bildauswahl:
1. Das US-Spezialschiff „Cape Ray“ im Februar 2014 im spanischen Hafen Rota.
(Foto: Morgan Over/U.S. Navy)
2. Die Fregatte „Augsburg“ stellte den maritimen Begleitschutz für die „Cape Ray“ bis Anfang Juli 2014, dann wurde sie von der „Schleswig-Holstein“ abgelöst.
(Foto: Ann-Katrin Hoffmann/PrInfoZ Marine/Bundeswehr)
3. Die „Cape Ray“ im Januar 2014 im Hafen von Portsmouth, US-Bundesstaat Virginia. Von hier lief das Schiff zu weiteren Seeerprobungen aus.
(Foto: Jared Walker/U.S. Navy)
4. Blick auf eines der beiden Hydrolysesysteme an Bord des US-Schiffes.
(Foto: Todd Lopez/Department of Defense)
5. Tanks an Bord der „Cape Ray“, die von den Chemikern im Laufe des Neutralisationsprozesses benötigt werden.
(Foto: Todd Lopez/Department of Defense)
6. Die Fregatte „Schleswig-Holstein“, die seit Anfang Juli 2014 den Begleitschutz für die „Cape Ray“ im Mittelmeer stellt.
(Foto: Martin Mascheski/PrInfoZ Marine/Bundeswehr)