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Kunduz (Afghanistan). Vor rund neun Jahren, am 25. Oktober 2003, trafen im nordafghanischen Kunduz die ersten Soldaten der Bundeswehr ein. Einen Tag zuvor hatte der Deutsche Bundestag den ISAF-Einsatz der Bundeswehr zum dritten Mal verlängert und dabei einem Einsatz über die Hauptstadt Kabul hinaus zugestimmt.

Die 27 Mann des Vorauskommandos wurden in der Provinz im Norden des Landes von US-Soldaten begrüßt. Zu den ersten Arbeiten der Bundeswehrtruppe zählte in jenen Herbsttagen 2003 der Aufbau von Fernmeldeverbindungen. Das deutsche Engagement in Kunduz galt damals als Pilotprojekt – zunächst sollten dort rund 230 Soldaten den zivilen Aufbau schützen.

Eine gefühlte Ewigkeit später, am 11. Juli 2012, übergab Deutschland die Verantwortung für die Sicherheit in der Region an die Afghanen. Von dieser „Security Transition“ betroffen sind neben Kunduz-Stadt fünf der sechs Distrikte der Provinz Kunduz. „Die afghanischen Sicherheitskräfte sind jetzt in der Lage, eigenständig die Sicherheit in der Provinz zu garantieren“, erklärte bei der feierlichen Übergabe der Kommandeur des ISAF-Regionalkommandos Nord, Generalmajor Erich Pfeffer. Er versicherte zudem, die NATO-Truppen würden Afghanistan auch über das Jahr 2014 hinaus unterstützen. „Wir werden den afghanischen Sicherheitskräften helfen, so lange sie unsere logistische Unterstützung brauchen.“ Die Internationalen Truppen, so der Kommandeur, fühlten sich zur Zusammenarbeit mit den Afghanen so lange verpflichtet, bis diese in der Lage seien, selbständig ihre Heimat zu verteidigen.

Aufständische noch nicht geschlagen

An der Zeremonie im Camp Pamir nahmen neben Provinzgouverneur Mohammad Anwar Jagdalak und lokalen Vertretern auch der Innenminister Afghanistans, Bismillah Khan Mohammadi, und der Chef des afghanischen Generalstabs, General Sher Mohammed Karimi, teil. Anwesend war auch der Befehlshabers des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Rainer Glatz. Gouverneur Jagdalak räumte bei der Übergabe „Sicherheitsprobleme“ in Kunduz ein. Die Feinde der Regierung Karsai hielten in Teilen der Provinz zwar „noch die Fahne hoch“. Afghanische Sicherheitskräfte seinen allerdings jetzt in der Lage, hier die Aktivitäten der Aufständischen einzudämmen.

Bundesregierung ist optimistisch

Die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung von den NATO-Streitkräften an die afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces; ANSF – in erster Linie National Afghan Army; ANA und Afghan National Police; ANP) ist von der afghanischen Regierung und ihren internationalen Partnern anlässlich der Konferenz in Kabul im Juli 2010 beschlossen worden. Bestätigt wurde diese Vereinbarung beim NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010. Der NATO-Gipfel in Chicago im Mai dieses Jahres hat den Fahrplan für die „Security Transition“ ebenfalls bestätigt. Die Transition hat im Juli 2011 mit „Tranche 1“ begonnen und soll bis Ende 2014 abgeschlossen sein. In ihrem letzten „Fortschrittsbericht Afghanistan“ (Zwischenbericht Juni 2012) zieht die Bundesregierung folgendes vorläufiges Fazit: „Drei Viertel der Afghanen leben inzwischen in Gebieten unter afghanischer Verantwortung. Die zunehmend positive Entwicklung der Sicherheitslage hat sich weiter verstetigt. Die Transition ermöglicht eine verantwortungsvolle Rückführung und schließlich eine Beendigung der internationalen Schutztruppe ISAF. Um diesen Erfolg dauerhaft zu sichern, ist eine fortgesetzte Ausbildung, Beratung und Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte auch nach 2014 erforderlich.“

Gefährliche Ost- und Südregionen

Die dritte Tranche von Gebieten, in denen die Übergabe der Sicherheitsverantwortung von ISAF an ANSF eingeleitet wird, hatte Präsident Hamid Karsai am 13. Mai verkündet. Die Tranche 3 enthält 122 Distrikte sowie die kompletten Provinzen Uruzgan, Kapisa und Parwan. Damit sind nun alle Provinzhauptstädte sowie 75 Prozent der afghanischen Bevölkerung von der Security Transition berührt. Trotz regionaler Unterschiede sei der Prozess überwiegend positiv verlaufen, so die Bundesregierung. Die vierte Tranche der Transition soll Anfang 2013 folgen; mit der fünften und letzten Tranche Mitte 2013 soll der Transitionsprozess dann in allen Teilen Afghanistans eingeleitet sein. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass viele Regionen mit teilweise äußerst kritischer Sicherheitslage vor allem im Süden und Osten noch ausstehen.

Alte und neue Netzwerke der Macht

Mit der Provinz Kunduz, der Entwicklung der ANSF und der Transition befassen sich zwei Arbeiten, die wir kurz vorstellen wollen. Der Diplom-Politologe Nils Wörmer hat in einer Studie für die unabhängige US-Forschungseinrichtung „Afghanistan Analysts Network“ (AAN) die Netzwerke der Macht in der Provinz Kunduz beschrieben. Seine Analyse beginnt Anfang der 1990er-Jahre, als nach dem sowjetischen Rückzug vier Mujahedin-Fraktionen in Kunduz um die Macht kämpften und führt bis hin in die Gegenwart des deutschen Engagements. Die Arbeit des Doktoranden der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und früheren Offiziers der Fallschirmjägertruppe hat hohe Relevanz für politische und militärische Entscheidungsträger in Sachen „Kunduz“. Wörmer: „The Networks of Kunduz – A History of Conflict and Their Actors, from 1992 to 2001“ (erschienen August 2012).

Marco Overhaus und Michael Paul haben eine Studie für die SWP zum Thema „Aufbau der nationalen afghanischen Sicherheitskräfte“ verfasst (erschienen August 2012). Die 30 Seiten starke Arbeit untersucht Stand und Perspektiven der Security Transition nach dem NATO-Gipfel in Chicago. Neben der operativen Entwicklung der ANSF stehen zwei Probleme im Mittelpunkt der Studie: zum einen die Existenz der Milizen, die dem Aufbau eines staatlichen Gewaltmonopols in Afghanistan entgegenstehen, und zum anderen der Zustand der afghanischen Regierungsstrukturen (governance), die gestärkt werden müssen, damit die Übergabe der Sicherheitsverantwortung dauerhaft sein kann.


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