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Berlin. Der gestrige 10. Mai 2016 markiert für die Bundeswehr mehr als nur eine massive Kurskorrektur oder nachhaltige Trendwende. Dieser Dienstag hat fast schon eine historische Dimension. Denn erstmals seit Ende des Kalten Krieges soll sich der Personalumfang der deutschen Streitkräfte wieder deutlich erhöhen. Wie in zahlreichen Medien in den vergangenen Tagen bereits angekündigt, so ging Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gestern mit einem neuen Personalkonzept an die Öffentlichkeit. Bei einer Pressekonferenz in ihrem Berliner Dienstsitz, dem Bendlerblock, sagte sie: „Heute ist das Signal sehr klar in die Truppe hinein, dass ein Vierteljahrhundert des Schrumpfens der Bundeswehr vorbei ist.“ Die Experten um die CDU-Politikerin haben für den Zeitraum bis 2023 einen zusätzlichen Bedarf an 14.300 militärischen Kräften und 4400 Haushaltsstellen für Zivilbeschäftigte ermittelt. Die Planer gehen davon aus, dass in den kommenden sieben Jahren die Aufstockung um die 4400 zivilen Mitarbeitern problemlos gelingen wird. Nach Prüfung der Realisierbarkeit im militärischen Bereich rechnen sie bis zum Jahr 2023 hier allerdings zunächst „nur“ mit rund 7000 zusätzlichen Dienstposten.

Wie Jörg Fleischer, Ressortleiter „Politik“ in der Redaktion der Bundeswehr, jetzt in einem Beitrag über die „Trendwende Personal“ im Onlineportal des Ministeriums schreibt, halten es die Planer wohl „für realistisch, dass es bis 2023 zu einem Aufwuchs von insgesamt etwas mehr als 11.000 militärischen und zivilen Bundeswehrangehörigen“ kommt. „Aus derzeitiger Sicht verbliebe damit als weitere Herausforderung noch ein Fehl von rund 2400 Stellen bis zur Erfüllung des prognostizierten Bedarfes von 14.300 Dienstposten“, rechnet Fleischer vor.

Die „Trendwende Personal“ – so die offizielle Bezeichnung für das neue Personalkonzept – soll „beginnend ab 2017 […] in ausgewählten Bereichen der militärischen und zivilen Strukturen die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr erhöhen, die Robustheit stärken und neue Fähigkeiten aufbauen“. So steht es im Tagesbefehl von Verteidigungsministerin von der Leyen, der gestern an alle Angehörige der Streitkräfte erging.

25-jährige Ära der Abrüstung bei der Bundeswehr ist nun vorbei

Die Bundeswehr hat in den Jahren nach dem Fall der Mauer, der Beendigung des damaligen Ost-West-Konflikts und der deutschen Wiedervereinigung einen kontinuierlichen Personalabbau erlebt. Betrug ihre Stärke am 3. Oktober 1990 noch rund 590.000 Soldaten (und etwa 215.000 Zivilbedienstete), so sank die Zahl der Uniformträger in den Folgejahren rasch auf 495.000, dann auf 250.000 im Jahr 2010 und schließlich auf gegenwärtig maximal 185.000. Die Ministerin verkündete bei ihrer Pressekonferenz im Bendlerblock denn auch fast schon pathetisch: „Ein Vierteljahrhundert des Schrumpfens der Bundeswehr ist vorbei – es ist Zeit für die Bundeswehr, wieder zu wachsen.“

Auch in ihrem Tagesbefehl begründete von der Leyen, warum jetzt eine gut zweieinhalb Jahrzehnte währende Phase der Abrüstung der Bundeswehr enden muss: „Mit Blick auf die Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage und die daraus erwachsenden Anforderungen an die Streitkräfte ist nun ein Umdenken und Umlenken erforderlich – hin zu mehr Flexibilität. Wir werden uns von den bisher bekannten starren personellen Obergrenzen abwenden müssen. Denn was wir brauchen, ist ein atmender Personalkörper, der sich an unseren tatsächlichen Aufgaben orientiert. Deswegen wird der Personalbedarf der Bundeswehr künftig jedes Jahr für die Mittelfrist festgelegt, nach einem strukturierten Planungs- und Prognosemodell, das eigens für diesen Zweck entwickelt worden ist.“

Das letzte Wort haben Finanzminister und Parlament

Für dieses neue, am Personalbedarf orientierte Verfahren, soll ein Personalboard eingerichtet werden. Leiten werden es die beiden Staatssekretäre im Bundesministerium der Verteidigung Gerd Hoofe und Katrin Suder sowie Generalinspekteur Volker Wieker. Dieses Board soll nicht nur den jährlichen Personalbedarf „erläutern und nachvollziehbar begründen“, sondern gleichzeitig Aussagen zur Realisierungsplanung treffen. Beide Ergebnisse sollen anschließend in die Haushaltsplanung überführt werden.

Der Tagesbefehl der Ministerin weist ausdrücklich darauf hin: „Diese […] Methodik ändert jedoch nichts daran, dass sich die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte jeweils aus dem Haushaltsplan ergeben müssen, so wie es Artikel 87a, Absatz 1, des Grundgesetzes vorsieht. Das heißt, der Haushaltsgesetzgeber kann bei seiner Entscheidung auf die Ergebnisse des Personalboards zurückgreifen.“

Immer noch erhebliche Diskrepanz zwischen Zielgrößen und Realität

Die „Trendwende Personal“ will das Verteidigungsministerium „durch das Zusammenwirken mehrerer Elemente“ – so Jörg Fleischer in seinem Onlinebeitrag – herbeiführen.

5000 militärische Dienstposten sollen beispielsweise durch Optimierung im bereits bestehenden Personalkörper gewonnen werden. Bei den freiwilligen Wehrdienst Leistenden will man den Fixanteil (fester Dienstposten und feste Aufgabe) um 3500 Stellen erhöhen. Die Zahl der bislang ständig besetzten Dienstposten für Reservisten soll von 2500 auf 3000 aufgestockt werden. Wer bereits bei der Bundeswehr ist, soll künftig über die „besondere Altersgrenze“ hinweg sein Engagement verlängern und länger in der Truppe bleiben können.

Allen Überlegungen liegt zugrunde, dass bis Ende 2016 die aktuelle Planungsgröße für Berufs- und Zeitsoldaten nach dem Personalstrukturmodell (PSM) 185 auch tatsächlich erreicht wird: 170.000. Laut Verteidigungsministerium umfasst die Bundeswehr momentan 167.310 Berufs- und Zeitsoldaten (Stand: 31. März 2016). Auch bei der Planungszahl für freiwilligen Wehrdienst Leistende – 12.500 – gibt es „Nachbesserungsbedarf“; Ende März hatte die Bundeswehr lediglich 9767 Freiwillige unter Vertrag.

Viele Einzelmaßnahmen in allen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen

Laut ministeriellem Tagesbefehl sind 96 Einzelmaßnahmen geplant, um die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu steigern. Dazu gehören unter anderem der Aufbau des neuen Organisationsbereichs „Cyber- und Informationsraum“, die Aufstellung einer weiteren Boarding-Kompanie im Seebataillon, die Stärkung der Spezialkräfte von Heer und Marine, die Stärkung der Kapazitäten im Management großer Rüstungsprojekte sowie der Ausbau der Sanitätsversorgung im In- und Ausland.

Darüber hinaus will das Bundesministerium der Verteidigung „weitere Schritte“ einleiten, um die Auswirkungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie „abzufedern“.

Absage an wirklichkeitsferne, starre Personalobergrenzen

Ministerin von der Leyen äußerte sich über ihr neues Bundeswehr-Personalkonzept auch noch einmal am Dienstagabend beim Reservistenverband in Berlin. Als Ehrengast des Parlamentarischen Abends der Interessenvertretung räumte sie ein, dass die „Verschlankungsprozesse“ der Truppe nach der Wiedervereinigung zwar notwendig gewesen seien. Jetzt müsse man sich aber den Realitäten stellen, weil sich die Zeiten geändert hätten. Fünf neue Auslandseinsätze in den vergangenen zwei Jahren, die Flüchtlingshilfe im Inland, eine gewachsene Cyber-Bedrohung, neue Bündnisverpflichtungen – „all das zeigt, dass wir uns neu aufstellen müssen“, so Ursula von der Leyen. Die Zeiten starrer Personalobergrenze, die sich nicht an der Wirklichkeit orientierten, seien endgültig vorbei.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, begrüßte ausdrücklich von der Leyens Personalpläne. In einem Interview mit dem NDR am heutigen Mittwoch sagte er: „Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges von Jahr zu Jahr kleiner geworden ist. In den letzten Jahren ist sie dann zu klein geworden, denn gleichzeitig sind die Aufgaben wieder gewachsen.“ Die Verteidigungsministerin habe mit ihrer Ankündigung, die Truppe zunächst um 7000 Soldaten und 4400 zivile Kräfte verstärken zu wollen, die „Tür für eine Bundeswehr aufgestoßen, die nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich funktionsfähig ist“, lobte Bartels.

Für den zweiten Teil unseres Beitrages über die „Trendwende Personal“ haben wir politische Reaktionen, weitere kompetente Stimmen und lesenswerte Medienkommentare zusammengetragen.


Zu unserem Bildangebot:
1. Pressestatement von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 10. Mai 2016 im Bendlerblock zum neuen Personalkonzept der Bundeswehr.
(Videostandbild: Quelle phoenix)

2. Die Ministerin und Generalinspekteur Volker Wieker am 10. Mai 2016 beim Parlamentarischen Abend des Reservistenverbandes in Berlin.
(Foto: Ralf Wittern/Reservistenverband)

Kleines Beitragsbild: Ehrengast Ursula von der Leyen beim Parlamentarischen Abend des Reservistenverbandes.
(Foto: Ralf Wittern/Reservistenverband)


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