menu +

Nachrichten



Berlin/Ulm. Voraussichtlich ab dem Jahr 2028 soll die Deutsche Luftwaffe das Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35 Lightning II des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin als Ersatz für den in die Jahre gekommenen Tornado fliegen. Dies beschloss die Bundesregierung im März 2022. Am 14. Dezember 2022 stimmte der Haushaltsausschuss des Bundestages dem Beschaffungsvorhaben aus Mitteln des sogenannten Sondervermögens „Bundeswehr“ zu. Neben der nahtlosen Fortsetzung der nuklearen Teilhabe mit der F-35 wurde in der Debatte um die Tornado-Nachfolge auch immer wieder auf einen Vorteil der F-35 verwiesen: die Tarnkappeneigenschaften. Diese Stealth-Eigenschaft des amerikanischen Jets gegenüber Radargeräten wird inzwischen allerdings hinterfragt – vor allem, wenn es um „passive“ Radare geht. In einer Kleinen Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion vom 14. Juli dieses Jahres zum Themenkomplex „Stealth-Fähigkeit und Passiv-Radar“ stellten etwa die Fragesteller fest: „Mittlerweile gibt es einige Hinweise auf technologische Entwicklungen, die die Unsichtbarkeit von Tarnkappenjets zunehmend infrage stellen.“ Lassen Sie uns zunächst auf die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA im April 2018 und auf einen Beitrag des SPIEGEL vom September 2019 zurückblicken …

Der Sensor-Spezialist Hensoldt stellte auf der ILA 2018 der Öffentlichkeit erstmals sein Passiv-Radarsystem „TwInvis“ im realen Betrieb vor (wir berichteten). Während die Kampflugzeuge anderer Nationen in den Himmel Berlins aufstiegen, um den Zuschauern Flugmanöver zu zeigen, blieben die beiden F-35, die extra aus den USA eingeflogen worden waren, am Boden. Im SPIEGEL-Beitrag „Deutsche Techniker sollen US-Kampfjet enttarnt haben“ hieß es Monate später: „In den Messehallen ging damals das Gerücht, das liege an einem Überwachungssystem, das der deutsche Rüstungstechnikhersteller Hensoldt […] auf der ILA präsentierte. Damit sei es möglich, die US-Jets am Himmel zu verfolgen. Dabei war deren Quasi-Unsichtbarkeit fürs gegnerische Radar einer der entscheidenden Gründe für das US-Militär, auf die F-35 zu setzen.“

Erst nachdem die Veranstaltung beendet und „TwInvis“ abgebaut worden war, starteten die beiden F-35 zu ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten. Ein „TwInvis“-System war jedoch inzwischen von den Hensoldt-Mitarbeitern auf einem Pferdehof bei Berlin aufgestellt worden – mit überraschendem Ergebnis. Nach Angaben des Sensor-Lösungsanbieters soll diese „TwInvis“-Einheit nicht nur in der Lage gewesen sein, die beiden Tarnkappenflugzeuge der U.S. Air Force zu orten, sondern sie auch auf ihrem Heimflug auf einer Strecke von 100 Meilen zu verfolgen.

Reflektion von zivilen Kommunikationssignalen von Objekten in der Luft

In der Kleinen Anfrage der AfD – gestellt unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Rüdiger Lucassen, Ralf Nolte und Gerold Otten – wird erklärt: „Passive Coherent Location-Radare (PCL) beziehungsweise Passive Anti-Stealth -Radare (PAS) sind in der Lage, die genaue Position von Luftfahrzeugen zu berechnen und für eine gewisse Zeit zu verfolgen, indem sie die Zeitdifferenz der empfangenen emittierten Signale (elektromagnetische Wellen) auffangen und analysieren.“

Allein – und bestenfalls im Verbund mit monostatischen Sensoren – böten Passiv-Radare die Möglichkeit, ein weitaus besseres Luftlagebild bereitzustellen, als es bei konventionellen Radaranlagen möglich sei, heißt es in der Vorbemerkung der Fragesteller weiter. Im Gegensatz zu herkömmlichen Radarsystemen brauche ein Passiv-Radar keine Radarwellen (Suchstrahl) auszusenden. Ein Passiv-Radar solle ein Luftbild allein dadurch berechnen können, „indem es erkennt, wie zivile Kommunikationssignale (etwa die elektromagnetischen Wellen von Sendeantennen) von Objekten in der Luft reflektiert werden“.

In Erfahrung bringen wollten die Abgeordneten mit ihrem Fragenkatalog vor allem, welche Aufgabenspektren beziehungsweise Fähigkeiten durch Passiv-Sensorentechnologie im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums abgedeckt werden könnten. Auch fragten sie nach dem Stellenwert der Passiv-Sensorentechnologie im Rahmen der nationalen sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien.

Passiv-Sensortechnologien gehören zu den nationalen Schlüsseltechnologien

Nach Auskunft der Bundesregierung vom 8. August forscht derzeit keine Einrichtung der Bundeswehr im Bereich der Passiv-Sensorentechnologie.

Allerdings, so schreibt die Regierung weiter: „Forschungseinrichtungen der Bundeswehr arbeiteten in diesem Bereich als Auftraggeber mit der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der Angewandten Forschung e.V. zusammen. Eine Zusammenarbeit anderer Stellen der Bundeswehr zu diesem Thema gibt es darüber hinaus mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., dem schweizerischen Bundesamt für Rüstung armasuisse sowie dem australischen Department of Defence.“ Darüber hinaus – so ergänzt die Regierungsantwort – gebe es einen Forschungsaustausch zum Thema „Passiv-Radar“ auf europäischer Ebene (über die Expertengruppe „CapTech RADAR“ der Europäischen Verteidigungsagentur, EDA).

Klar positioniert sich die Bundesregierung bei der Frage nach dem Stellenwert der Passiv-Sensortechnologie. Die Antwort: „Gemäß dem Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie aus [dem Jahr] 2020 gehört die Sensorik und damit auch Passiv-Sensortechnologien zu den nationalen sicherheits- und verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologien.“

Stealth-Eigenschaften der F-35 wurde bei Auswahlentscheidung berücksichtigt

Wenig beunruhigt zeigt sich die Bundesregierung in der Frage eines Teil- oder Komplettverlustes der Stealth-Fähigkeiten der F-35-Neubeschaffung im Hinblick auf die Entwicklung bei den Passiv-Radar-Systemen.

Den entsprechenden Fragen der AfD-Abgeordneten hält die Regierung entgegen: „Die aktuelle und zukünftig absehbare, technische Entwicklung und die sich daraus veränderte Bedrohungslage wurde bei den Entscheidungen zur Auswahl der Tornado-Nachfolge berücksichtigt. Dieses ist jedoch nur ein, wenn auch wichtiges Kriterium, was in die Beurteilung eingeflossen ist.“ An anderer Stelle wird versichert: „Die Stealth-Eigenschaften des Luftfahrzeuges [F-35] wurden in der Gesamtbewertung der Leistungsfähigkeit der Tornado-Nachfolge berücksichtigt.“


Hintergrund                           

Am 3. Dezember 2022 befasste sich der Wissenschaftsjournalist Frank Wittig in der Sendung „odysso – Wissen im SWR“ mit der Frage, ob die Tarnkappentechnologie in absehbarer Zukunft vor ihrem Aus steht. Für seinen sechsminütigen SWR-Beitrag sprach Wittig, der auch Lehrbeauftragter an den Universitäten in Mainz und Kaiserslautern ist, unter anderem mit Experten des Unternehmens Hensoldt zum Thema „Passiv-Radar“.

Die Sendung ist abrufbar unter dem Link:
https://www.swr.de/wissen/odysso/ende-der-tarnkappentechnik-100.html

oder erreichbar (noch bis zum 2. Juni 2027) in der ARD-Mediathek unter:
https://www.ardmediathek.de/video/odysso-wissen-im-swr/ende-der-tarnkappentechnik/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE2NjkyODg


Zu unserem Bildmaterial:
1. und 2. An der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA 2018 nahm die U.S. Air Force unter anderem mit zwei Maschinen des Typs Lockheed Martin F-35 Lightning II teil. Die beiden Flugzeuge der 61st Fighter Squadron/56th Fighter Wing waren nach einem elfstündigen Non-Stop-Flug über den Atlantik und mehrfacher Luftbetankung in Berlin-Schönefeld gelandet. Sie blieben während der gesamten ILA am Boden – Angst vor Hensoldt und dem Passiv-Radar „TwInvis“? …
(Fotos: U.S. Air Force)

3. Visualisierung des Flugverkehrs im Luftraum Bayerns mit Hilfe des Passiv-Radars „TwInvis“ von Hensoldt.
(Bildschirmfoto: Quelle SWR-Beitrag „Ende der Tarnkappentechnik?“ vom 3. Dezember 2022;
Bildbearbeitung: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Passiv-Radar „TwInvis“ in der Erprobung bei Hensoldt – Monitorbilder von georteten „Zielen“ im Luftverkehr.
(Bildschirmfoto: Quelle SWR-Beitrag „Ende der Tarnkappentechnik?“ vom 3. Dezember 2022;
Bildbearbeitung: mediakompakt)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN