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Münster/Berlin. Zur Bewältigung von Katastrophen wie nach dem Starkregen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Sommer dieses Jahres müssen die organisatorischen Strukturen in Deutschland künftig deutlich modifiziert werden. Auch muss das Führungssystem und dessen Ausstattung aktualisiert und internationalen Standards angepasst werden. Das sind zwei Punkte aus einer Reihe von Forderungen und Empfehlungen, die jetzt eine rund 60 Personen umfassenden Expertenkommission „Starkregen“ erarbeitet hat. Zu der Kommission gehörten neben Vertretern von Behörden, Feuerwehren, Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz und den Johannitern sowie dem Technischem Hilfswerk auch Wissenschaftler verschiedener Hochschulen. Auch die Bundeswehr war in die Expertenrunde eingebunden.

Die Expertenkommission „Starkregen“ war von der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) und dem Deutschen Feuerwehrverband (DFV) mit der Aufarbeitung des Sommer-Großeinsatzes beauftragt wurden.

In einer ersten Stellungnahme nach Abschluss der Arbeiten sagte Ulrich Cimolino, Vorsitzender der Kommission und Branddirektor in Düsseldorf, der Presse: „Eine umfassende Umfrage unter allen Einsatzkräften hat uns schon jetzt erste wertvolle Erkenntnisse geliefert.“ Ausgemachte Probleme und Schwachstellen im Katastrophenschutzsystem würden sich – so die Untersuchungen – „quer durch alle Organisationen und über alle administrativen Ebenen hinwegziehen“.

Mangelnde Mittel und mangelndes Interesse der Politik

Rund 2500 Einsatzkräfte haben an der Erhebung für die Expertenkommission teilgenommen. Mit ihrer Hilfe sollen nun Schwachstellen analysiert und Verbesserungspotenzial identifiziert werden. Dazu Cimolino: „90 Prozent der Kräfte im Sommer kamen aus dem Ehrenamt. Obwohl Ausmaß und Komplexität solcher Lage nicht zum ersten Mal aufgetreten sind, waren es für die einzelnen Helfer meist völlig neue Ereignisse, die sie zuvor so noch nicht erlebt hatten.“ Der Kommissionsvorsitzende vermutet: „Auch deshalb sind solche Ereignisse nur selten Gegenstand von Einsatzplanung und Ausbildung. Das aber hat sich jetzt als Fehler erwiesen.“

Laut Umfrage der Expertenkommission hatten rund zwei Drittel der Einsatzkräfte eine derartige Großschadenslage noch nie erlebt. Wer jedoch schon Erfahrungen mit ähnlichen Katastrophen hatte, bemängelte in der Befragung, dass es seit dem letzten Ereignis aus Sicht der Helfer keine durchgängige Verbesserung der Schwachstellen gegeben habe. Als vermutete Gründe wurden mangelnde Mittel und mangelndes Interesse der Politik angegeben. „Das Interesse ist nur temporär vorhanden und nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwunden“, lautete beispielsweise in der Befragung eine Aussage.

Warum die Satellitentelefone der Bundeswehr nicht funktionierten

Schlechte Noten verteilten die Befragten auch für den Bereich „Kommunikationsmittel und Kommunikationsmöglichkeiten“. Eine eher negative Rolle spielte dabei auch das oft nach kurzer Zeit und dann mitunter für viele Stunden oder mehrere Tage ausgefallene Digitalfunknetz der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).

Weiter war eine jahrzehntealte Anordnung der Bundesnetzagentur der Grund dafür, dass Helfer der Bundeswehr in der Flutkatastrophe anfangs in einem bestimmten Bereich ihre Satellitentelefone nicht nutzen konnten. Dies betraf vor allem das Gebiet um das Radioteleskop im nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel. Nach Angaben von Satellitenfunkbetreibern befindet sich hier die weltweit einzige Zone, in der die Nutzung von Satellitentelefonen technisch unterbunden wird. Jordan Hassin, Sprecher der US-Satellitentelefongesellschaft Iridium aus Virginia, sagte dem Westfalen-Blatt vor Kurzem dazu: „Wir haben die behördliche Anweisung aus Deutschland, unseren Dienst nicht in der Nähe des Teleskops in Effelsberg anzubieten. Weltweit gibt es keine andere Sperrzone dieser Art.“

Die Bundenetzagentur hatte Satellitentelefon-Gesellschaften bereits Ende der 1990er-Jahre verpflichtet, ihre Dienste in einem Umkreis von 30 Kilometern um das Radioteleskop zu blockieren. So sollen Störungen des Empfangs von Radiowellen aus dem All verhindert werden. Das Radioteleskop in der Eifel war vor 50 Jahren gebaut worden und ermöglicht Wissenschaftlern den Blick in weit entfernte Himmelssysteme.

Die strengen Vorgaben hatten nach der Flut im Juli dazu geführt, dass die Bundeswehr ihre Satellitentelefone in Teilen des Katastrophengebiets nicht nutzen konnte. Die Helfer in Uniform wusste nichts von der Schutzzone, und das Max-Planck-Institut für Radioastronomie als Betreiber der 100 Meter großen Parabolantenne ahnte nicht, dass die Soldaten auf Satellitenfunk angewiesen sein würden. Der Physiker Benjamin Winkel, der in Effelsberg arbeitet, erklärte gegenüber dem Westfalen-Blatt: „Als wir im Juli von den Schwierigkeiten der Bundeswehr erfuhren, haben wird die Bundesnetzagentur sofort gebeten, die Schutzzone aufzuheben.“ Iridium-Sprecher Hassin ergänzte: „Das haben wir auf Anweisung der Bundesnetzagentur auch sofort getan.“

Nachbesserungsbedarf bei Fahrzeugen sowie zivilen Hubschraubern und Drohnen

Kritisiert wurde in der Umfrage von vielen Einsatzkräften auch die „mangelnde Geländegängigkeit mit nicht ausreichender Wasser-Durchfahrtsfähigkeit sowie teils unzureichende Motorisierung von Einsatzfahrzeugen auch des Katastrophenschutzes“. Probleme hätten auch die unzureichende Robustheit insbesondere moderner Fahrgestelle sowie die mangelhafte Wartungsfreundlichkeit etlicher Fahrzeuge bereitet, hieß es weiter.

Kritik gab es auch am Einsatz ziviler Hubschrauber. Unbedingt verbesserungswürdig sei die Verfügbarkeit, Leistungs- und Multirollenfähigkeit solcher Maschinen im Katastrophenschutzeinsatz. Sowohl bei den Hubschraubern als auch bei den im Schnitt gut bewährten zivilen Drohnen müsse es nach Einschätzung der Befragten rasch Verbesserungen geben.

Lehren aus früheren Gefahrenlagen nur halbherzig oder kaum umgesetzt

Neben den zahlreichen Schwachstellen bei dem Starkregen-Einsatz in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden in der Umfrage aber auch positive Aspekte genannt. Dazu gehört unter anderem die unkomplizierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Organisationen und vor allem mit den vielen privaten Helfern und unmittelbar Betroffenen.

Dirk Aschenbrenner, Präsident des 1950 gegründeten „Expertennetzwerkes für Schutz, Rettung und Sicherheit“ vfdb, kündigte in einem Pressestatement an: „Wir werden die Ergebnisse und Erfahrungen in den kommenden Wochen und Monaten sorgfältig auswerten und die detaillierten Ergebnisse im kommenden Jahr präsentieren.“ Deutlich werde schon jetzt, dass viele Erkenntnisse nicht neu seien. „Die Lehren der Vergangenheit wurden nur nicht oder einfach zu wenig umgesetzt – für echtes ,Lessons Learned‘ müssen jetzt zunächst unbedingt tragfähige Strukturen entwickelt und gebildet werden“, forderte Aschenbrenner.

DFV-Präsident Karl-Heinz Banse sieht in der Arbeit der Expertenkommission eine wertvolle Unterstützung und Entscheidungsgrundlage auch für Weichenstellungen in der Politik. Sein Statement: „Wir haben die Fachleute in unseren Reihen, wir haben das Know-how – leider fehlt neben den technischen Mitteln häufig auch die politische Unterstützung.“ Diese Unterstützung der Politik dürfe nicht immer erst dann kommen, wenn etwas passiert sei, warnte der Chef des Deutschen Feuerwehrverbandes.

Wir haben übrigens mehrfach über den Katastropheneinsatz der Bundeswehr in den Starkregen- und Hochwassergebieten berichtet, letztmalig am 1. September 2021 (siehe hier).


Zu unserem Bildmaterial:
1. Gemeinde Rech im Ahrtal, 21. Juli 2021 – beim Katastropheneinsatz der Bundeswehr in den Hochwassergebieten im Sommer 2021 unterstützten viele Pioniere die örtlichen und regionalen Rettungskräfte.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)

2. Ortsgemeinde Insul im Ahrtal, 26. Juli 2021 – Pioniere errichteten hier beim Hochwassereinsatz für die Anwohner eine Medium Girder Bridge, kurz MGB.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Beim Katastropheneinsatz der Bundeswehr kam immer wieder auch schweres Gerät zum Einsatz. Die Aufnahme vom 26. Juli 2021 zeigt Soldaten, die mit dem Pionierpanzer Dachs in Insul eine Furt für andere Fahrzeuge räumen.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)


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