Berlin/Husum. Der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz – Slogan „Dein Jahr für Deutschland“ – ist ein Vorzeigeprojekt von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Quasi eine Herzensangelegenheit. Bei ihrem Besuch am 3. August auf der Standortschießanlage in Olderup bei Husum sprach sie mit Rekruten, die gerade im Rahmen dieses neuen Dienstangebotes ihre Grundausbildung durchlaufen. Nach Ansicht der Ministerin wird der neue Freiwilligendienst sehr gut angenommen. Es gebe eine hohe Bereitschaft, das Motto „Dein Jahr für Deutschland“ zu leben, sagte sie bei ihrem Visite beim Spezialpionierregiment 164 „Nordfriesland“ in Husum. Doch die Wirklichkeit sieht weniger rosig aus …
Mit Stand vom 2. Juni 2021 haben 63 Freiwilligen Wehrdienst Leistende im Bereich des Heimatschutzes den Dienst abgebrochen, 235 setzen ihren Dienst weiterhin fort. Dies entspricht einer Abbrecherquote von 21 Prozent (siehe hier). Diese Zahlen nannte am 7. Juni der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Thomas Silberhorn. Er beantwortete damit eine Schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger (Die Linke). Die Linken halten die Quote „insbesondere nach gerade einmal zwei Monaten“ für „äußerst hoch“. Sie könnte zurückzuführen sein „auf eine romantisierte und dadurch verzerrte Darstellung des militärischen Alltags in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“, meint die Fraktion.
Jetzt erkundigten sich Abgeordnete der Links-Fraktion – unter ihnen Christine Buchholz, Andrej Hunko und erneut Tobias Pflüger – nach weiterem Zahlenmaterial zum Thema „Abbruchquoten beim Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz“.
Wie die Bundesregierung nun am 12. August mitteilte, hatten 41 Bewerberinnen und 269 Bewerber für den Diensteintrittstermin 1. April 2021 eine Einstellungszusage für den Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz erhalten. Am 6. April 2021 traten erstmalig 298 Kandidaten – 40 Frauen und 258 Männer – ihren Dienst bei der Bundeswehr an. Darunter waren 27 Minderjährige im Alter von 17 Jahren (eine Rekrutin und 26 Rekruten).
Für den Diensteintrittstermin 1. Juli 2021 hatten 45 Bewerberinnen und 237 Bewerber von der Bundeswehr eine Einstellungszusage erhalten. An diesem Donnerstag sind schließlich 245 Kandidaten – 38 Frauen und 207 Männer – eingestellt worden. Aufgrund der Maßnahmen im Zuge der Coronavirus-Pandemie wurde bei der Deutschen Luftwaffe der Dienstantritt der für den 1. Juli 2021 eingestellten Rekruten auf den 16. August 2021 verschoben. Unter den 245 Rekruten waren drei weibliche und 27 männliche Kandidaten im Alter von 17 Jahren, insgesamt also 30 Minderjährige.
Nach Angaben der Bundesregierung haben zum Stichtag 30. Juni 2021 insgesamt 71 der 298 Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz Leistenden ihr Engagement vorzeitig abgebrochen (elf Frauen und 53 Männer, dazu sieben Minderjährige). Dies entspricht einer Quote von 23,8 Prozent. Die Quote liege deutlich unter der Abbrecherquote im Bundesfreiwilligendienst, die beispielsweise im Jahr 2019 rund 32 Prozent betrug, so die Regierung.
Zum Stichtag 31. Juli 2021 haben der Aufstellung zufolge außerdem 129 Rekruten ihren Dienst vorzeitig beendet (18 weibliche und 96 männliche Kandidaten plus 15 Minderjährige). Die Regierung rechnet vor: „Bezogen auf alle Einstellungen im April und Juli 2021 entspricht dies einer Quote von 23,8 Prozent.“
Der neue Dienst besteht aus einer siebenmonatigen militärischen Ausbildung sowie Reservisteneinsätzen in den folgenden sechs Jahren. Das bedeutet, dass die Freiwilligen in diesem Zeitraum zu Übungen und Einsätzen – etwa bei Naturkatastrophen – antreten, bis sie insgesamt weitere fünf Monate Dienst geleistet haben.
Wie die aktuellen Zahlen (trotz der offiziellen Interpretationen) zeigen, ist der neue „Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz“ kein Selbstläufer. Die Abbrecherquote hat sich bis jetzt bei knapp 24 Prozent eingependelt. Heißt: Gut ein Viertel der Interessenten für diese Form des Dienens – „Dein Jahr für Deutschland“ – schmeißt vorzeitig hin oder tritt gar nicht erst an. Eine erfolgreiche Personalkampagne sieht anders aus, auch wenn Ministerin Kramp-Karrenbauer darauf hinweist, dass manche der Bewerber „in den Heimatschutz reinschnuppern“ und später in den „normalen“ freiwilligen Wehrdienst wechseln würden.
Im Spezialpionierregiment 164 „Nordfriesland“, das Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zusammen mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther am 3. August besuchte, absolvieren aktuell 19 künftige Heimatschützer ihre Grundausbildung.
Die Angehörigen des Spezialpionierregiments 164 stellen die stationäre Unterbringung von Kräften im Einsatz sicher. In einer Selbstdarstellung heißt es: „Das Regiment erkundet, plant, baut, richtet ein und betreibt in Einsatzgebieten Feldlager für die Unterbringung und Versorgung von Einsatzkontingenten, wenn die entsprechende Infrastruktur eines Einsatzlandes nicht vorhanden, oder in nicht ausreichender Qualität zur Verfügung steht. Darüber hinaus baut und betreibt das Regiment Feldtanklager und Pipeline-Anlagen aus entsprechendem Material. Es unterstützt im Grundbetrieb die zivile Betreibergesellschaft des Central Europe Pipeline Systems (CEPS) und des Northern Europe Pipeline Systems (NEPS) der NATO durch den Bau und den Betrieb von Ersatzeinrichtungen aus Feldpipeline-Material. Zusätzlich stellt das Spezialpionierregiment 164 Kräfte und Mittel zur Hilfeleistung bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücken im Zusammenhang mit der zivil-militärischen Zusammenarbeit bereit.“
Die Ministerin sagte nach ihrem Besuch in Husum gegenüber Medienvertretern: „Ich freue mich, dass auch hier am Standort auf allen Seiten große Motivation zu sehen ist. Denn wir brauchen die territoriale Reserve, wir brauchen ,helfende Hände‘ und wir brauchen eine starke Landes- und Bündnisverteidigung.“ Ebenso wie das Vorhalten der Spezialpioniere diene auch die Ausbildung im Bereich „Freiwilliger Wehrdienst Heimatschutz“ der Krisenvorsorge, erklärte Kramp-Karrenbauer.
Unser Bild vom 3. Juni 2021 – entstanden im Rahmen der Grundausbildung „Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz“ des Wachbataillons – zeigt Rekruten auf der Hindernisbahn in der Berliner Julius-Leber-Kaserne Berlin.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)
Kleines Beitragsbild: 3. Juni 2021, Grundausbildung „Freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz“ beim Wachbataillon in der Julius-Leber-Kaserne Berlin – ein Rekrut an der Eskaladierwand.
(Foto: Tom Twardy/Bundeswehr)