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Bremerhaven/Berlin. Neue Lage um das Fass ohne Boden: Die für die Generalinstandsetzung des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ letztendlich veranschlagten Kosten in Höhe von rund 75 Millionen Euro werden wohl nicht ausreichen. Wie am gestrigen Dienstag (30. Januar) mehrere Medien übereinstimmend berichteten, wird es offenbar nicht bei dieser Summe bleiben. Ein Sprecher des Koblenzer Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hatte am Montag mitgeteilt, die ausführende Werft habe nun „für die weitere, zeitgerechte Instandsetzung einen finanziellen Mehrbedarf“ angemeldet. Die Tageszeitung Kieler Nachrichten berichtete dazu, dass jetzt die Kosten für die große Instandsetzung der „Gorch Fock“ auf mehr als 100 Millionen Euro anwachsen könnten. Ursprünglich war einmal eine Liegezeit für das Segelschulschiff der deutschen Marine von etwa einem halben Jahr geplant gewesen, für die Sanierung der traditionsreichen Dreimastbark sollten lediglich rund zehn Millionen Euro ausgegeben werden.

Die „Gorch Fock“ befindet sich bereits seit Weihnachten 2015 in der Werft – zunächst in Elsfleth an der Unterweser, danach im Schwimmdock der Bredo-Dockgesellschaft mbH in Bremerhaven. Das Unternehmen gilt als eine von Europas führenden Werften für Instandhaltung, Reparatur und Umbau.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte am 26. Januar 2017 entschieden, das Segelschulschiff über das Jahr 2030 hinaus zur Ausbildung des Führungsnachwuchses in Dienst zu belassen. Wenige Tage später, am 2. Februar, hatte ihr Parlamentarischer Staatssekretär Ralf Brauksiepe auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen) mitgeteilt, dass bereits „in den vergangenen fünf Jahren insgesamt 13,3 Millionen Euro an Wartungs- und Reparaturkosten“ für die „Gorch Fock“ erforderlich gewesen seien. Diese Kosten seien „im Zuge von zwei Werftliegezeiten und den notwendigen Wartungen und Instandsetzungen im laufenden Betrieb“ angefallen, so Brauksiepe vor fast genau einem Jahr (siehe dazu unseren damaligen Beitrag).

Zieht das Verteidigungsministerium jetzt doch noch die Reißleine?

Wie viel Mehrkosten am Ende tatsächlich auf den Steuerzahler zukommen werden, ist noch unklar. Das BAAINBw will sich nicht zu konkreten Zahlen äußern. Über den von der Werft ermittelten finanziellen Mehrbedarf entscheidet nun das Bundesministerium der Verteidigung. Wie die Kieler Nachrichten schreiben, seien „die Nachforderungen der Werft“ dem Ministerium bekannt und würden dort geprüft. Mit einer Entscheidung sei in den nächsten Tagen zu rechnen. Sollte von der Leyen angesichts der ausufernden Kosten das Instandsetzungsprojekt jetzt stoppen, wäre dies wohl das Ende für die „Gorch Fock“. Allerdings hätte unsere Marine dann für lange Zeit kein eigenes Schulschiff mehr für die Ausbildung des Offiziersnachwuchses.

In seinem Kommentar für die Kieler Nachrichten schreibt Frank Behling über die „Gorch Fock“-Reparatur: „Verteidigungsministerin von der Leyen hat jetzt keine Alternative. Lässt sie das Schiff verschrotten, hat die Marine vermutlich zehn Jahre kein Schulschiff. Zwar könnte jedes NATO-Land einen Ersatzbau in zwei Jahren zum halben Preis realisieren, aber eben nicht Deutschland. Bedarfsanalyse, Projektierung, Bauplanung, Konstruktion, parlamentarische Diskussionen sowie Ausschreibungs- und Vergabeverfahren lassen in Deutschland zehn Jahre im Flug vergehen. So frustrierend es ist, es gibt nur einen Weg: Augen zu und durch.“ Vielleicht wird die Entscheidung aber auch verschoben, bis eine neue Bundesregierung im Amt ist …

Runderneuertes Segelschulschiff könnte noch weitere 35 Jahre genutzt werden

Der Verteidigungsexperte Ingo Gädechens, der erst vor wenigen Tagen als Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss und als stellvertretender verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion in seinem Amt bestätigt wurde, hat eine klare Meinung zum weiteren Schicksal der maroden „Gorch Fock“. Man sei jetzt mittlerweile mit der Generalüberholung des Schiffes so weit fortgeschritten, dass ein Projektstopp nicht zu verantworten wäre, sagte er am heutigen Mittwoch (31. Januar) im Gespräch mit dem bundeswehr-journal.

„Im Falle einer solchen Entscheidung müsste das Schiff abgewrackt werden. Insgesamt wären damit etwa 48 bis 50 Millionen Euro verbrannt“, so der schleswig-holsteinische Politiker auch mit Blick auf frühere Reparaturarbeiten. Er rät deshalb: „Augen zu und durch! Denn ein runderneuertes Segelschulschiff, das am Ende zu fast 80 Prozent aus neuen Elementen besteht und damit fast schon wie ein Neubau ist, ein Rebuild, kann auch länger genutzt werden.“ Sollte die „Gorch Fock“ nach ihrer großen Instandsetzung tatsächlich 2019 wieder in See stechen können, dann rechnet Gädechens mit einer Dienstzeit der Dreimastbark von weiteren 30 bis 35 Jahren. Ein vollständiger Ersatz des traditionsreichen Seglers durch eine Neubeschaffung hält der Unionspolitiker für unrealistisch. „Angesichts der vielen Auflagen würde uns ein solches neues Segelschulschiff wohl zwischen 185 und 200 Millionen Euro kosten.“

Europäisches Segelschulschiff als Alternative zur „Gorch Fock“

Tobias Lindner, Obmann von Bündnis 90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss und sicherheitspolitischer Sprecher seiner Bundestagsfraktion, sagte dem bundeswehr-journal: „Schon als es hieß, dass die Instandsetzung der ,Gorch Fock‘ 75 Millionen Euro kosten werde, hatte ich erheblich Bedenken, ob dies wirklich der wirtschaftlichste Weg ist. Eine weitere Kostensteigerung im zweistelligen Millionenbereich lässt mich erheblich zweifeln, ob ein Ersatz für dieses Segelschulschiff nicht sinnvoller wäre.“

So nachvollziehbar es sei, dass die deutsche Marine auch eine Ausbildung auf einem Segelschulschiff durchführe, so könne er doch nicht verstehen, dass für diese Fähigkeit Mittel in derartiger Höhe ausgegeben würden, kritisierte Lindner. „An anderen, weitaus einsatzrelevanteren Stellen klaffen erhebliche Lücken, in die dringend Geld investiert werden müsste. Diese Art der Priorisierung von Haushaltsmitteln zeigt erneut, dass die Bundeswehr mit dem Geld, was sie hat, weitaus mehr machen könnte.“ Und: „Dies ist nur ein weiteres Beispiel, vor dessen Hintergrund ich Forderungen nach massiven Erhöhungen des Verteidigungsetats noch weniger nachvollziehen kann.“

Der Politiker forderte das Verteidigungsministerium auf, rasch Zahlen und alternativen Lösungswege zu präsentieren. „Ich kann mir als Alternative zur ,Gorch Fock‘ gut ein europäisches Segelschulschiff vorstellen“, meinte Lindner abschließend.

Wird die Öffentlichkeit letztendlich an der Nase herumgeführt?

Klare Kante in Sachen „Gorch Fock“ zieht einmal mehr der Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein. Rainer Kersten, Geschäftsführer des in Kiel ansässigen Vereins, gab am heutigen Mittwoch gegenüber dem bundeswehr-journal folgendes Statement ab: „Die weitere Kostenexplosion bei der Sanierung der ,Gorch Fock‘ war leider zu befürchten, weil sie dem altbekannten Muster entspricht: Zunächst wird das Schiff eingedockt und wichtige Teile demontiert, dann stellt man fest, dass für eine ordnungsgemäße Sanierung weitere Aufwendungen notwendig sind. In dieser Situation bleibt dem Auftraggeber nichts anderes übrig, als die Nachträge zu bewilligen, sonst erhält er nach der Sanierung ein nicht einsatzbereites Schiff.“

Der erneute massive Kostenanstieg zeige, dass es richtig gewesen wäre, statt einer wiederholten Sanierung auf einen Neubau zu setzen, so wie es vom Bund der Steuerzahler gefordert worden sei, erklärte Kersten. Selbst das Argument der Marine, ein Neubau würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, verliere an Bedeutung, wenn sich die Werftliegezeit der „Gorch Fock“ noch um weitere Monate bis Jahre hinziehe. Der Geschäftsführer des Steuerzahlerbundes mutmaßt: „Die Sanierung der ,Gorch Fock‘ ist für den Steuerzahler ein Desaster mit Ansage. Anscheinend ist der Zustand des Schiffes viel maroder, als uns die Marine weismachen will und damit die Öffentlichkeit an der Nase herumführt.“


Unser Bildmaterial zeigt die „Gorch Fock“ im Juli 2009 in Kiel bei der Generalüberholung der elektrischen Schiffsanlage. Unter anderem wurden bei dieser Instandsetzung die fast 50 Jahre alten Leitungen und die dafür notwendigen Befestigungen im Hauptmast erneuert. Das beauftragte Unternehmen ließ dafür den Hauptmast der „Gorch Fock“ auf einer Höhe von fast 40 Metern mit einem Arbeits- und Schutzgerüst verkleiden. Die Aufnahmen wurden am 6. Juli 2009 an der Kieler Förde gemacht.
(Fotos: Thomas Lerdo/Deutsche Marine)


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