Stockholm/Berlin. Die weltweite Produktion von Rüstungsgütern ist – nach einem Tief 2014 – im vergangenen Jahr zum dritten Mal nacheinander wieder gestiegen. Das ist die Kernaussage des aktuellen Berichts „Top 100 Rüstungsproduzenten“ des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute), der am 10. Dezember veröffentlicht wurde. Den Daten des Instituts zufolge löste Russland Großbritannien als „Nummer 2“ der Waffenproduzenten ab. Die USA behaupteten mit ihren Mega-Unternehmen die Führung im Ranking „The SIPRI Top 100 Arms-producing and Military Services Companies“. Deutsche Firmen rangieren im Mittelfeld. Der global orientierte Think-Tank, 1966 vom schwedischen Parlament initiiert, liefert Daten, Analysen und Empfehlungen zu internationalen militärischen Fragen. Die SIPRI-Datensammlung über die globale Rüstungsbranche gibt es seit 1989.
Im Jahr 2017 wurde laut SIPRI von den weltweit einhundert größten Rüstungsunternehmen Verkäufe im Gesamtwert von rund 398,2 Milliarden US-Dollar getätigt. Zum Vergleich dazu die globalen Militärausgaben der vorherigen Jahre (in US-Dollar, real): 2010 > 442 Milliarden; 2011 > 418 Milliarden; 2012 > 399 Milliarden; 2013 > 392 Milliarden; 2014 > 380 Milliarden; 2015 > 383 Milliarden und 216 > 389 Milliarden (siehe auch unseren Beitrag vom Dezember 2017). Alles in allem verzeichnete SIPRI seit 2002 einen Ausgabenanstieg (real) von 44 Prozent.
Chinesische Firmen sind im Ranking des Instituts nicht berücksichtigt, weil hier verlässliche Daten über Rüstungsverkäufe fehlen. Nach Einschätzung der Stockholmer Fachleute müssten sich aber auf den vorderen Tabellenplätzen auch drei Waffenproduzenten aus dem Reich der Mitte befinden.
Die Vereinigten Staaten sind und bleiben dem SIPRI-Bericht für das Jahr 2017 zufolge der mit Abstand größte Waffenproduzent der Welt. US-Unternehmen teilen nach wie vor mehr als die Hälfte des Weltmarktes für Rüstungsgüter unter sich auf. Insgesamt befinden sich unter den einhundert Top-Rüstungskonzernen 42 amerikanische Unternehmen, die 2017 Waffen im Wert von etwa 226,6 Milliarden US-Dollar verkauft haben.
Mit Verkäufen von knapp 45 Milliarden Dollar ist Lockheed Martin auch weiterhin der führende Rüstungsproduzent der Welt. Auf nicht einmal ein Zehntel dieser Summe kommt der größte deutsche Rüstungskonzern, die Rheinmetall AG mit Sitz in Düsseldorf. Rheinmetall belegt mit Verkäufen von rund 3,4 Milliarden Dollar Platz 25.
Größter russischer Waffenkonzern ist laut SIPRI Almaz-Antej. Das Unternehmen, das seine Zentrale in Moskau hat, belegt mit Verkäufen in Höhe von 8,5 Milliarden Dollar den zehnten Platz des globalen Rankings. Rechnet man die Verkäufe der zehn im Ranking aufgelisteten russischen Firmen zusammen, so ergibt sich hier ein Gesamtwert von rund 37,7 Milliarden Dollar.
SIPRI-Analytiker Siemon Wezeman kommentierte die aktuelle Entwicklung so: „Die Waffenverkäufe russischer Unternehmen haben seit 2011 deutlich zugenommen. Grund dafür ist vor allem Moskaus Entscheidung, die Streitkräfte des Landes umfassend zu modernisieren.“ Alexandra Kuimova, Teamkollegin von Wezeman, ergänzte: „Almaz-Antey beispielsweise, bislang bereits Russlands Rüstungsproduzent Nummer eins, hat 2017 seine Waffenverkäufe um gut 17 Prozent steigern können.“
Größtes Rüstungsunternehmen in Westeuropa bleibt BAE Systems in Großbritannien (Ranking-Platz 4), gefolgt vom Thales-Konzern Frankreich (Platz 8) und Leonardo in Italien (Platz 9). Die 24 westeuropäischen Waffenhersteller steigerten ihren Absatz um 3,8 Prozent auf 94,9 Milliarden US-Dollar. Sie beherrschen damit knapp ein Viertel des Marktes.
Die vier in den „Top 100“ gelisteten deutschen Rüstungskonzerne – Rheinmetall (Platz 25), ThyssenKrupp (Platz 53), Krauss-Maffei Wegmann (Platz 56) und Hensoldt (Platz 74) – erhöhten ihre Produktion insgesamt um zehn Prozent. Damit hatte Deutschland im vergangenen Jahr einen Anteil von 2,1 Prozent an den weltweiten Waffenverkäufen. Allerdings haben Rüstungsverkäufe eine geringe Bedeutung für den deutschen Außenhandel: Sie machen weniger als ein Prozent der gesamten deutschen Exporte aus.
Dass die Herstellung und der Verkauf von Rüstungsgütern weltweit nun bereits zum dritten Mal in Folge gestiegen sind, kommt für die Mitarbeiter des Internationalen Friedensforschungsinstituts nicht überraschend. So sagte die Direktorin des Forschungsbereichs „Arms and Military Expenditure Programme“ Aude Fleurant in Stockholm: „Viele Länder modernisieren ihre Waffensysteme. Das ist seit Langem geplant und erstreckt sich über einen großen Zeitraum. Die Spannungen in bestimmten Ländern und Regionen haben zudem die Nachfrage nach moderneren Waffensystemen steigen lassen.“ Die permanente Forderung der Vereinigten Staaten, die europäischen Länder sollten und müssten einen größeren NATO-Beitrag leisten, sei an den Daten allerdings noch nicht ablesbar, so die SIPRI-Expertin.
Heftig debattiert wurde in Deutschland das Thema „Rüstungsexporte“ nach der Ermordung des regierungskritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Dieser war am 2. Oktober im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getötet worden. Nach Darlegung der US-Nachrichtendienste waren höchste Kreise des Wüstenstaates um Kronprinz Mohammed bin Salman an der Tötung Khashoggis beteiligt oder hatten zumindest davon gewusst.
Die Bundesregierung reagierte auf das Verbrechen, das weltweit Entsetzen ausgelöst hatte, zunächst mit einem vollständigen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien. Medienberichten zufolge soll jedoch der Lieferstopp für bereits genehmigte deutsche Rüstungsgüter vorerst nur auf zwei Monate begrenzt sein.
Dazu hatte die Nachrichtenagentur Reuters am 23. November berichtet, dass die Regierung um diesen Schritt gebeten habe und sich die Industrie daran freiwillig halten werde. Zuvor hatte Der Spiegel in Erfahrung gebracht, dass die an den Rüstungsausfuhren beteiligten Ministerien sich gegen einen Widerruf der bereits erteilten Genehmigungen entschieden hätten, da in diesem Fall wahrscheinlich Schadenersatzforderungen gestellt worden wären.
Der Umfang der bereits bewilligten und nun vorerst gestoppten Ausfuhren nach Saudi-Arabien soll knapp zweieinhalb Milliarden Euro betragen. Zwei Exportgeschäfte ragen dabei besonders heraus: Zum einen geht es um die im September genehmigte Lieferung von vier Artillerieortungsradare des Typs Cobra des Konsortiums Thales/Hensoldt/Lockheed, zum anderen um Patrouillenboote, die für Saudi-Arabien auf der Peene-Werft in Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern gebaut werden.
Für zusätzliche Negativschlagzeilen sorgte in diesem Zusammenhang Rheinmetall. Medienrecherchen zufolge soll der Konzern trotz Rüstungsexportstopp Saudi-Arabien weiter mit Munition beliefern – und zwar über Tochterfirmen in Italien und Südafrika.
Anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen SIPRI-Berichts erklärte Katja Keul, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen für Abrüstungspolitik: „Die USA als erneuter Spitzenreiter bei der Rüstungsproduktion überrascht kaum. Die Aufholjagd Russlands hat Großbritannien von Platz zwei der größten Rüstungsnationen verdrängt und zeigt einmal mehr die zunehmenden weltpolitischen Konfliktlinien und das Wettrüsten zwischen Ost und West. Statt die Aufholjagd zwischen den USA und Russland weiter anzuheizen und die Waffensysteme stetig zu modernisieren, sollten Trump und Putin an den Verhandlungstisch zurückkehren und beispielsweise die drohende Aufkündigung des INF-Vertrages verhindern.“
Über die deutschen Waffenproduzenten urteilte Keul: „Angesichts der skrupellosen Geschäftspraktiken – insbesondere von Rheinmetall – verwundert es nicht, dass die vier deutschen Rüstungskonzerne ihre Produktion um zehn Prozent steigern konnten. Rheinmetall denkt nicht mal daran, sich an den jüngst durch die Bundesregierung verhängten Exportstopp nach Saudi-Arabien zu halten, sondert beliefert seine Kunden über Tochterunternehmen im Ausland fleißig weiter. Die unzähligen Toten im Jemen scheinen gegenüber der Profitgier nicht Warnung genug zu sein.“ Die Politikerin forderte die Bundesregierung auf, „endlich die Gesetzeslücke [zu] schließen, die es Rheinmetall ermöglicht, ohne Genehmigung Munition und andere Kriegswaffen über ihre ausländischen Tochterunternehmen zu exportieren“.
Das Hintergrundbild unserer Infografik wurde bei der Eurosatory 2018 gemacht. Die Rüstungsmesse im Paris-Nord Villepinte Exhibition Center findet alle zwei Jahre statt. Die Grafik selber zeigt die ersten zehn Rüstungsunternehmen im aktuellen Ranking „The SIPRI Top 100 Arms-producing and Military Services Companies“, dazu die Platzierungen der Unternehmen mit deutscher Beteiligung (Airbus und MBDA) sowie die Platzierungen der vier rein deutschen Unternehmen in der SIPRI-Übersicht für 2017.
(Foto: Messe Eurosatory; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 12.18)
Kleines Beitragsbild: Aussteller und Fachbesucher bei der Rüstungsmesse Eurosatory 2018.
(Foto: Messe Eurosatory)