menu +

Nachrichten



Berlin/Washington D.C./Brüssel. „Von der Leyen gegen Scholz: Riesen-Zoff um Bundeswehr-Milliarden“, so lautete am heutigen Sonntag (29. April) die Schlagzeile der BILD am SONNTAG. Offenbar will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für die gesamte Legislaturperiode von Bundesfinanzminister Olaf Scholz insgesamt zwölf Milliarden Euro mehr: für das kommende Jahr drei Milliarden, für 2020 vier Milliarden und für 2021 fünf Milliarden Euro. Die Finanzplanungen von Scholz sehen dagegen bis zum Jahr 2021 lediglich eine Erhöhung des Wehretats um 5,5 Milliarden Euro vor. Zudem will der Sozialdemokrat wie sein christdemokratischer Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble keine neuen Schulden im Haushalt machen. Die Haushaltspläne für 2019 und der Finanzplan bis 2022 sollen am Mittwoch (2. Mai) vom Kabinett beschlossen werden.

Wie die BILD am SONNTAG weiter berichtete, will von der Leyen in die Haushaltsverhandlungen mit einer „Drohliste“ gehen. Falls die Verteidigungsausgaben nicht deutlich aufgestockt werden, will sie „ein internationales Rüstungsprojekt kippen“. Auf Platz eins ihrer Streichliste steht der BILD am SONNTAG zufolge die Kooperation mit Norwegen im Uboot-Bereich (siehe hier …), an zweiter Stelle der vereinbarte deutsch-französische Kauf von sechs Transportflugzeugen des Typs C-130J Super Hercules (… und hier).

Bereits am 22. April hatte die Ministerin in der Sonntagszeitung davor gewarnt, dass Deutschland seine internationalen Verpflichtungen nicht erfüllen könne und bei der Ausrüstung der Soldaten sparen müsse, wenn der Wehretat bis 2021 nicht um etliche Milliarden steige. „Diese zusätzlichen Mittel sind zwingend für europäische Zukunftsprojekte mit Frankreich, Norwegen, den Niederländern oder die persönliche Ausrüstung unserer Soldaten“, hatte von der Leyen der BILD am SONNTAG vor einer Woche gesagt. „Es geht um die Zukunftsfähigkeit unserer Bundeswehr und die Verlässlichkeit Deutschlands gegenüber unseren engen Partnern.“

„Es klingt mehr nach Erpressung als nach sinnvoller Priorisierung“

Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner, Sprecher für Sicherheitspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied der beiden Ausschüsse „Verteidigung“ und „Haushalt“, äußerte sich zu dem Konfrontationskurs der Ministerin auch gegenüber dem bundeswehr-journal.

Die Vorgänge in der Bundesregierung bei der Haushaltsaufstellung ähnelten immer mehr einem Stück aus dem Tollhaus, so Lindner. Noch bevor am Mittwoch überhaupt das Bundeskabinett einen Entwurf beschlossen habe, stritten sich Ministerien öffentlich über die richtige Ausgabenhöhe. Mit planmäßigem und stimmigem Regierungshandeln habe dies nichts mehr zu tun, sondern eher „mit der Spätphase einer tief in sich zerstrittenen Koalition“.

Der Politiker erinnert daran: „Ursula von der Leyen fordert nun wieder einmal eine Etaterhöhung, obwohl in den letzten Jahren gerade das Verteidigungsministerium wie kein anderes Ressort zusätzliche Mittel erhalten hat. Dabei vergisst sie, dass der Wehretat wie kein anderer Haushalt für den laxen Umgang mit Steuergeldern steht. Wer regelmäßig ein Fall für den Bundesrechnungshof ist und dann auch noch Airbus Schadensersatz für den A400M erlassen will, sollte nicht mehr Geld fordern.“

Und: „Anscheinend erwartet die Ministerin, dass nun das Parlament bei den Haushaltsberatungen die Kohlen für sie aus dem Feuer holt und weiteres Geld oben drauflegt. Gleichzeitig droht sie mit der Streichung von Rüstungsprojekten wie Flugzeugen, die auch für Hilfsmissionen oder die Evakuierung von deutschen Staatsbürgern genutzt werden sollen. Das klingt mehr nach Erpressung als nach sinnvoller Priorisierung. Ich kann nur hoffen, dass sich Frau von der Leyen darüber im Klaren ist, dass der Haushaltsausschuss nicht nur über die Höhe der Ausgaben entscheidet, sondern auch, welche Beschaffungsvorhaben umgesetzt werden und welche nicht.“

Er erwarte von der Verteidigungsministerin, so der sicherheits- und haushaltspolitische Experte der Grünen, dass sie gegenüber dem Parlament transparent darlege, „warum sie welche Beschaffungsvorhaben in den kommenden Jahren anstoßen will und welche Kosten dies verursacht, statt lauthals nach mehr Geld zu rufen“. Lindner mahnte in diesem Zusammenhang das „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ an. Dieses Dokument solle solche Fragen beantworten, lasse aber seit einem Jahr auf sich warten und werde wohl erst im Herbst vorgelegt werden. „Hierüber braucht es eine breite Debatte im Bundestag und seinen Ausschüssen“, forderte der Abgeordnete.

Zwei Prozent vom nationalen Bruttoinlandsprodukt

Der zu erwartende Streit zwischen Verteidigungsministerin und Finanzminister korreliert übrigens nicht – blickt man auf die Größenordnungen, um die es gehen wird – mit der bündnis- und finanzpolitischen Dauerforderung der USA an den NATO-Partner Deutschland. Das ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. So pocht nicht nur US-Präsident Donald Trump ständig auf das vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel der NATO, bereits die Obama-Administration hatte vehement eine deutliche Erhöhung des deutschen Wehretats auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts verlangt (aktuell liegt die Quote bei 1,2 Prozent mit Tendenz für die kommenden Jahre von höchstens 1,3 Prozent).

Beim Kurzbesuch der Bundeskanzlerin in Washington am Freitag (27. April) erneuerte Trump seine Hinweise nach einer Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushalts. Er machte Angela Merkel auch darauf aufmerksam, dass andere Länder ihre Militärbudgets längst aufgestockt hätten.

Geduld mit dem NATO-Partner Deutschland schwindet

Ähnliche Töne waren an diesem Tag auch in Brüssel zu hören, wo der neue amerikanische Außenminister Mike Pompeo erstmals an einem NATO-Treffen der Amtskollegen teilnahm. Bei seiner Pressekonferenz forderte er, jeder Bündnispartner müsse nun auch tatsächlich das vereinbarte Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben, anstreben. Darüber hinaus müssten alle Alliierten bis zum NATO-Gipfel im Juli in der belgischen Hauptstadt „einen glaubwürdigen Plan vorlegen“. Auf die Frage eines deutschen Korrespondenten, ob die Bundesregierung denn genug tue, um die NATO-Zielgröße zu erreichen, antwortete Pompeo mit einem klaren „Nein!“.

Wie sehr es auf amerikanischer Seite brodelt, konnte Welt-Journalist Christoph B. Schiltz am Freitag in Brüssel spüren. Er schrieb nach der NATO-Außenministertagung: „Berlin gerät knapp drei Monate vor dem Bündnisgipfel in dieser Frage [der Verteidigungsausgaben] immer mehr unter Druck. In Kreisen der US-Delegation hieß es, Deutschland sei der ,größte und reichste‘ NATO-Partner in Europa. ,Washington erwartet, dass die Bundesregierung mehr tut. Und das hat man in den vergangenen Wochen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht‘, sagte ein hoher NATO-Diplomat. ,Die Geduld schwindet‘, fügte dieser hinzu.“

Fragezeichen hinter der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik

Vor dem Hintergrund der skizzierten Gemengelage dürfte sich ein Blick in die Kommentarspalten der Tagespresse im Augenblick besonders lohnen. Das Medienecho auf von der Leyens Forderungen und Drohungen hat bereits eingesetzt.

So meint die Frankfurter Rundschau: „Es gehört zum Ritual von Haushaltsverhandlungen, möglichst viel Geld zu fordern. […] Die Ministerin steht unter starkem Druck, sie muss beweisen, dass sie in der Lage ist, die Mängel in der Bundeswehr zu beseitigen. Nun sind nicht alle diese Mängel gleichermaßen gravierend. Viele der Probleme hat von der Leyen von ihren Vorgängern geerbt, und sie kann sich zugutehalten, den strukturellen Filz bei Beschaffungsvorhaben in der Rüstung schärfer durchleuchtet zu haben als andere vor ihr. Beseitigt ist er damit allerdings noch nicht. Deutschland gibt in den kommenden Jahren deutlich mehr Geld für die Bundeswehr aus, das bleibt festzuhalten. Mängel gibt es aber nicht nur bei der Armee, sondern auch in der Verteidigungsstrategie.“

Das Straubinger Tagblatt gibt zu bedenken: „Sollte die Bundesrepublik beispielsweise die Kooperation mit Norwegen im Uboot-Bereich aufkündigen oder den Kauf von amerikanischen Transportmaschinen C-130 abblasen, mit dem Deutschland auch in Frankreich im Wort steht, wäre das nicht nur peinlich. Es würde abermals ein Fragezeichen hinter die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik setzen. Der Streit, der in Washington durchaus beobachtet wird, ist nicht dazu angetan, den US-Präsidenten in der Debatte über die Strafzölle zu beschwichtigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in anderen EU-Ländern die Frage gestellt wird, warum sie für den deutschen Handelsbilanz-Überschuss und die deutsche Zurückhaltung bei den Verteidigungsausgaben ,bluten‘ sollen.“

Führt an einer deutlichen Aufstockung des Wehretats kein Weg vorbei?

Das Westfalen-Blatt befasst sich mit monetären Dimensionen und mit Perspektiven der Betrachtung. Im Kommentar von Stefan Vetter lesen wir unter anderem: „Nach der jetzt bekannt gewordenen Finanzplanung von Minister Olaf Scholz legen die Verteidigungsausgaben bis 2021 zwar um ein paar Milliarden zu. Nur reicht das nicht einmal, um den Verfall der Ausrüstung in der Truppe zu stoppen.“ Deutschland habe sich zwar wie alle anderen NATO-Staaten dazu verpflichtet, die Rüstungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Gegenwärtig schaffe man jedoch nur 1,24 Prozent. Und nach der Finanzplanung von Scholz gehe dieser Wert längerfristig sogar weiter zurück, warnt die Zeitung.

Vetter bringt das Berliner Dilemma auf den Punkt: „Gerade das deutsche Bruttoinlandsprodukt wächst so stark, dass die Bundeswehr gar nicht in der Lage wäre, zwei Prozent davon sinnvoll zu verwenden, so sie die vielen Milliarden denn hätte. Umgekehrt sind die Griechen wegen ihrer wirtschaftlichen Dauerschwäche ,Musterschüler‘ bei der NATO-Quote. Eine absurde Situation, die die Frage aufwirft, warum sich Berlin überhaupt auf eine solche Rechnung eingelassen hat. Trotzdem führt an einer deutlichen Aufstockung des Wehretats kein Weg vorbei.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. US-Außenminister Mike Pompeo beim NATO-Treffen am 27. April 2018 in Brüssel. Im Gespräch mit dem Amerikaner die Stellvertretende NATO-Generalsekretärin Rose Gottemoeller.
(Foto: NATO)

2. Das Hintergrundbild unserer Infografik „Entwicklung des Verteidigungsetats der Bundesrepublik Deutschland“ entstand am 20. Juli 2017 beim Feierlichen Gelöbnis von rund 400 Rekruten in Berlin. Der Appell fand statt vor dem Ehrenmal der Bundeswehr auf dem Paradeplatz des Bundesministeriums der Verteidigung.
(Foto: Andreas Schindler/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Unser Symbolfoto zeigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Truppenbesuch in Jordanien. Die Aufnahme wurde am 13. Januar 2018 auf der Al Azraq Air Base gemacht.
(Foto: Jana Neumann/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN