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Berlin/Inçirlik (Türkei). Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei hat weiteren Schaden genommen, es zeichnet sich eine handfeste Krise ab. Am Samstag (13. Mai) teilte die türkische Regierung dem Auswärtigen Amt in Berlin „auf der Arbeitsebene“ mit, dass sie den geplanten Besuch einer Delegation des Verteidigungsausschusses auf dem Luftwaffenstützpunkt Inçirlik untersage. Der Besuch der Parlamentariergruppe war für den heutigen Dienstag (16. Mai) geplant. Als ein Grund für das Besuchsverbot gab die türkische Seite „die Gewährung von Asyl für türkische Offiziere in Deutschland“ an. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die Obleute des Ausschusses am gestrigen Montag über die Entscheidung Ankaras unterrichtet. Die türkische Regierung hatte den Besuchsantrag aus dem Bundestag wochenlang unbeantwortet gelassen.

Schon die Pressemitteilung des Bundestages vom vergangenen Freitag (12. Mai) ließ nichts Gutes erahnen. Da hieß es doch tatsächlich: „In der nächsten Woche wird eine Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages unter Leitung des Vorsitzenden, Wolfgang Hellmich (SPD), zu einem Besuch beim deutschen Einsatzkontingent der ,Operation Counter Daesh‘ in Inçirlik reisen. Die Genehmigung von türkischer Seite steht noch aus.“ Wollte es die deutsche Seite darauf ankommen lassen? Die Abreise der Delegation aus Berlin, die sich unter Beteiligung aller Fraktionen entsprechend dem geltenden Delegationsschlüssel zusammensetzte, war für den heutigen frühen Dienstagmorgen geplant.

Auf der Air Base Inçirlik sind gegenwärtig sechs Tornado-Aufklärer und ein A310 MRTT für die Luftbetankung von Kampfflugzeugen stationiert. Deutschland beteiligt sich mit diesen Maschinen seit Dezember 2015 als Teil der „Operation Inherent Resolve“ am Vorgehen der internationalen Koalition gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Die Aufklärungseinsätze werden über den syrischen und irakischen Hoheitsgebieten geflogen.

Regierung prüfte bereits Alternativstandorte für deutsches Einsatzkontingent

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Türkei einer Delegation des Verteidigungsausschusses über Monate hinweg den Besuch bei den Bundeswehrangehörigen auf dem Luftwaffenstützpunkt Inçirlik verweigert. Im Oktober hatten die Bundestagsabgeordneten dann letztendlich doch noch einreisen dürfen. Grund für die Haltung Ankaras war damals, dass der Bundestag in einer Entschließung die im Osmanischen Reich an den Armeniern begangenen Verbrechen als Völkermord wertete.

Weitere Spannungen erzeugten später Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland im Vorfeld des Referendums zur Verfassungsreform in der Türkei. Sie gipfelten in den „ Nazi-Vergleichen“ des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Bundeskanzlerin Angela Merkel auch persönlich attackierte und „Nazi-Methoden“ vorwarf.

Die Absage des jetzigen Parlamentarierbesuchs in Inçirlik bezeichnete der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, als „inakzeptabel“. Bei der gestrigen Regierungspressekonferenz in Berlin erinnerte er daran, dass die Bundesregierung bereits bei den Diskussionen im vergangenen Jahr alternative Standorte für eine mögliche Verlegung des deutschen Kontingentes geprüft habe.

Mögliche Alternativstandorte für die Bundeswehr gäbe es nach Auskunft des Sprechers des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, in Jordanien, in Kuwait oder auch auf Zypern (wir berichteten). Die Verlegung wäre allerdings aufgrund des technischen Aufwands „eher eine Frage von Monaten, nicht von wenigen Wochen“.

Kanzlerin Merkel bezeichnete die türkische Entscheidung als „misslich“

Insgesamt fiel die Reaktion der Bundesregierung auf die neuerliche Provokation der türkischen Regierung zurückhaltend aus. Dies ist vielleicht auch dem NATO-Sondergipfel am 25. Mai in Brüssel geschuldet, bei dem Merkel und Erdogan einander begegnen werden. Die Bundeskanzlerin bezeichnete die Entscheidung der Türkei am gestrigen Montag lediglich als „misslich“. Man werde die Gespräche mit der Gegenseite fortsetzen.

Ähnlich behutsam kommunizierte Regierungssprecher Steffen Seibert bei der Berliner Pressekonferenz die Verärgerung des Kabinetts. Es müsse selbstverständlich möglich sein, dass Abgeordnete die Soldaten im Auslandseinsatz besuchen, so Seibert. Die Bundesregierung werde sich auch weiterhin dafür einsetzen.

Das Besuchsrecht ist zwingend für eine Parlamentsarmee

Eine härtere Gangart – sprich einen Abzug aus Inçirlik – empfehlen Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien. Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich, sprach sich dafür aus, den Abzug aus der Türkei sofort einzuleiten. „Wir lassen uns nicht erpressen“, empörte sich der SPD-Politiker. Das Besuchsrecht der Abgeordneten bei den Bundeswehrsoldaten müsse jederzeit gewährleistet sein. „Deswegen ist die Einleitung eines Abzuges und Verlegung an den bestmöglichen Standort absolut richtig. Das muss jetzt geschehen.“

Christine Lambrecht, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, erklärte: „Das von der Türkei verhängte Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete und seine Begründung sind ein Schlag ins Gesicht all jener, die trotz allem weiter den Dialog mit der Türkei suchen. So können unsere Soldaten nicht in der Türkei stationiert bleiben.“ Die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee. Dazu gehöre selbstverständlich, dass Parlamentarier jederzeit mit den Soldaten sprechen und sich ein eigenes Bild von den Einsatzbedingungen vor Ort machen könnten. „Wenn dies verweigert wird, ist der Einsatz nicht länger zu verantworten.“

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, fordert ebenfalls Konsequenzen. Er bezeichnete die Entscheidung der Türkei als „drastische Entwicklung“. Unter diesen Voraussetzungen könne die Bundeswehr nicht in Inçirlik bleiben. Oppermann wörtlich: „Die Bundeswehr ist Parlamentsarmee, der Bundestag trägt die Verantwortung für die Einsätze. Die Abgeordneten müssen diese Verantwortung auch wahrnehmen können.“

Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, forderte: „Die Sache ist eindeutig – das Besuchsrecht ist zwingend für eine Parlamentsarmee. Wir sind nicht Erdogan zuliebe dort. Deshalb gibt es nur eins: schnellstmöglich raus aus Inçirlik.“

Mit Tatenlosigkeit viel an Klarheit und Glaubwürdigkeit verspielt?

Deutliche Worte wählt auch die Sprecherin für Sicherheitspolitik und Abrüstung von Bündnis 90/Die Grünen, Agnieszka Brugger. Dass den Abgeordneten der Besuch in Inçirlik untersagt wurde, sei ein weiterer Riesenaffront, meint sie. Es sei zynisch und völlig inakzeptabel von der türkischen Regierung, diese Frage mit den Asylverfahren türkischer Soldaten zu verknüpfen. Die Bundesregierung müsse endlich aufhören, sich weiter von Erdogan vorführen zu lassen.

Brugger beklagte: „Es rächt sich nun, dass die bisherigen Planungen der Bundesregierung eher symbolischer Art waren und erst noch weiter konkretisiert werden müssen. Vor allem angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Türkei – aber auch aufgrund der Erpressungsversuche rund um die Abgeordnetenbesuche und der zahlreichen Probleme dieses Einsatzes – wäre ein Abzug doch schon längst und mehrfach dringend geboten gewesen. Die Bundesregierung ist mit ihrem bisherigen sanften Kurs voll gegen die Wand gefahren und hat mit ihrer Tatenlosigkeit viel an Klarheit und Glaubwürdigkeit verspielt.“

Erpressungsversuche durch Erdogan endlich beenden

Alexander Neu, Obmann der Fraktion Die Linke im Verteidigungsausschuss, verlangte mit Nachdruck: „Die Bundesregierung muss ihren Kuschelkurs und das unterwürfige Gebaren gegenüber dem Despoten Erdogan endlich aufgeben. Das erneute Einreiseverbot für Mitglieder des Deutschen Bundestages muss Konsequenzen haben und dazu führen, dass die Bundeswehr unverzüglich aus Inçirlik abgezogen wird.“

Neu bezeichnete die Stationierung der Bundeswehr auf der Air Base in der Südtürkei „von vornherein [als einen] großen Fehler“. Sie erlaube es Erdogan, immer wieder Druck auf die Bundesregierung auszuüben und diese so erpressbar zu machen. Der Parlamentarier appellierte: „Spätestens nach dem Referendum in der Türkei sollte klar sein, dass es kein ‚Weiter so‘ geben darf. Die neuerliche Eskalation – ausgelöst durch die Asyl-Gewährung für türkische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland – sollte auch dem letzten Zweifler klarmachen: Der Bundeswehreinsatz in Inçirlik muss sofort und komplett abgebrochen werden.“

Einheitliche Standards für Truppenbesuche innerhalb der NATO

Die Christdemokraten äußerten sich zu dem Besuchsverbot (noch) „mit angezogener Handbremse“. So sagte der CDU-Politiker Michael Brand, der an der Reise teilnehmen wollte, der BILD-Zeitung lediglich: „Es ist jetzt die Zeit gekommen, Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Erdogans Kurs wird immer stärker zu einem echten Sicherheitsrisiko, auch außerhalb der Türkei. Wer im gemeinsamen Kampf gegen den IS so unterirdisch mit einem wichtigen Partner wie Deutschland umgeht, dem muss endlich ein Stoppschild gesetzt werden.“ Welche Art „Stoppschild“ Brand meinte, ließ er offen …

Ohne die konkrete Benennung von Konsequenzen kommen auch Jürgen Hardt und Henning Otte in ihrem gemeinsamen Statement aus. Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Otte, der verteidigungspolitische Fraktionssprecher, erklären: „Dass Mitglieder des Deutschen Bundestages unsere Soldaten beim NATO-Einsatz im türkischen Inçirlik nicht besuchen dürfen, ist nicht zu akzeptieren. Es ist für uns nicht verhandelbar, dass die zuständigen Abgeordneten die deutschen Soldaten im Ausland besuchen dürfen und so ihren parlamentarischen Auftrag wahrnehmen.“

Und weiter heißt es in dem Pressetext der Christdemokraten: „Es wäre gut, wenn man sich innerhalb der NATO auf einheitliche Standards für Truppenbesuche verständigen könnte, damit solche Konflikte zwischen NATO-Partnern von vornherein vermieden werden. Angesichts dieses türkischen Verhaltens taucht die Frage auf, welches Geschäft Präsident Erdogan in seinem antidemokratischen und antiwestlichen Kurs eigentlich betreibt? Im türkischen Interesse ist es bestimmt nicht, wenn die Türkei ihre Freunde im Militärbündnis vergrault.“


Das Luftbild zeigt die Inçirlik Air Base. Der Luftwaffenstützpunkt liegt rund 12 Kilometer östlich von Adana in der Südtürkei.
(Bild: amk)

Kleines Beitragsbild: Ein Tornado vom Taktischen Luftwaffengeschwader 51 „Immelmann“ landet nach einem Aufklärungseinsatz für die Anti-IS-Koalition wieder in Inçirlik. Die Aufnahme wurde am 5. Januar 2016 gemacht.
(Foto: Falk Bärwald/Bundeswehr)


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