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Berlin/Inçirlik (Türkei). Der Verteidigungsausschuss des Bundestages will nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei, das am 16. April stattfindet, erneut eine Delegation nach Inçirlik entsenden. Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Hellmich (SPD) soll die Delegation leiten. Dies beschloss das Gremium bei seiner Sitzung am 22. März und betonte, der Besuch beim deutschen Einsatzkontingent auf dem Luftwaffenstützpunkt in der Südtürkei finde „in Verantwortung des Deutschen Bundestags für seine Parlamentsarmee“ statt. Auf der Air Base Inçirlik sind gegenwärtig sechs Tornado-Aufklärer und ein A310 MRTT für die Luftbetankung stationiert. Deutschland beteiligt sich mit diesen Maschinen seit Dezember 2015 als Teil der „Operation Inherent Resolve“ am Kampf der internationalen Koalition gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Bei dem geplanten Treffen mit den Bundeswehrangehörigen in Inçirlik will sich die Delegation – so hieß es in einer Presseerklärung – nicht nur über den aktuellen Stand des Einsatzes im Kampf gegen den IS informieren. Gespräche mit den deutschen Soldaten sollen den Parlamentariern zudem einen Überblick über die Einsatzbedingungen auf der Air Base verschaffen. Daneben sind Gespräche mit dem türkischen Kommandeur des Stützpunktes und Vertretern der amerikanischen Streitkräfte geplant.

Die bereits seit Monaten anhaltenden schweren Spannungen zwischen der Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Deutschland haben bereits mehrfach dazu geführt, dass deutschen Politikern der Besuch türkische Militäreinrichtungen, in denen Kräfte der Bundeswehr stationiert sind, untersagt wurde (siehe auch hier).

Regierung hat sich wiederholt für freien Zugang der Abgeordneten eingesetzt

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung vom 27. März auf eine Kleine Anfrage der Linken hervorgeht, sind von zwölf Besuchswünschen von Bundestagsabgeordneten sechs immer „noch in Prüfung“ durch das türkische Außenministerium. Die sechs Einzelanträge (vier aus dem Bereich der CDU/CSU und zwei von Abgeordneten der Linken) sind bereits im vergangenen August beziehungsweise Oktober gestellt worden. Der „Prüfungsprozess“ dauert an …

In diesem Zusammenhang erinnert die Bundesregierung in ihrer Antwort auch daran, dass sie sich „wiederholt auf politischen und diplomatischen Kanälen auf allen Ebenen gegenüber der Türkei dafür eingesetzt [hat], den Zugang der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu Stützpunkten, auf denen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stationiert sind, sicherzustellen“. Unter anderem sei das Thema regelmäßig Gegenstand von Gesprächen auf Minister- und Staatssekretärsebene.

Eine Delegation des Verteidigungsausschusses hatte letztmalig am 5. Oktober vergangenen Jahres Gelegenheit gehabt, unsere Soldaten in der Türkei zu besuchen. Die Delegation unter Leitung des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Karl A. Lamers (CDU) bestand damals aus den Unionspolitikern Ingo Gädechens und Florian Hahn, den SPD-Politikern Rainer Arnold und Karl-Heinz Brunner sowie aus den Oppositionsabgeordneten Alexander S. Neu (Die Linke) und Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen).

Keine Weitergabe der Tornado-Aufklärungsdaten an die Türkei

Auf Nachfrage der Linken äußerte sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auch zum angeblichen Drängen der Türkei, direkten Zugang zu Tornado-Aufklärungsdaten zu erhalten. Die Regierung versichert: „Die türkische Seite hatte auf Arbeitsebene gegenüber dem Bundesministerium der Verteidigung um den Zugang zu den Rohdaten der Aufklärung durch die deutschen Tornado Recce im Rahmen der Verhandlungen zur vorübergehenden Stationierung der deutschen Luftfahrzeuge und des Unterstützungspersonals in der Türkei ersucht. Ein formales Ersuchen zum direkten Zugang zu den Aufklärungsdaten der deutschen Tornado Recce seitens der Türkei liegt nicht vor. Darüber hinaus wurde das Ersuchen von türkischer Seite ausschließlich verbal an einen Vertreter der Deutschen Botschaft herangetragen. Dem türkischen Ansinnen wurde von deutscher Seite nicht entsprochen. Eine Weitergabe der Aufklärungsdaten hat nicht stattgefunden und ist nicht vorgesehen.“

Das in Inçirlik stationierte deutsche Einsatzkontingent hat nach Regierungsangaben im Zeitraum 15. Dezember 2015 bis 27. Februar 2017 mit dem A310 MRTT (Multi Role Transport Tanker) insgesamt 352 Luftbetankungsflüge durchgeführt. Dafür wurden 1740 Flugstunden verbucht. Nach einer ergänzenden Meldung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam vom 23. März sind mittlerweile mehr als 7500 Tonnen Treibstoff an die internationale Koalition im Rahmen der Luftbetankung abgegeben worden – eine Menge, mit der man etwa 187.000 Autos betanken könnte.

Mit den Tornado-Maschinen wurden im Zeitraum 8. Januar 2016 bis 27. Februar 2017 insgesamt 784 Einsatzflüge mit 2406 Flugstunden absolviert. Dabei wurden zu jeweils 50 Prozent sowohl Ziele in Syrien als auch Ziele im Irak aufgeklärt.

Mittlerweile acht mögliche Ausweichflugplätze für Inçirlik identifiziert

Für völlig unbefriedigend hält der außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, eine Antwort der Bundesregierung zur Frage möglicher Inçirlik-Alternativen. Zwar hat die Regierung für den Fall zunehmender deutsch-türkischer Spannungen geprüft, wohin das Kontingent der Bundeswehr ausweichen könnte, mit den entsprechenden Gastgeberländern wurde jedoch noch nicht gesprochen.

In der Regierungsantwort heißt es: „Die Prüfung alternativer Standorte zum türkischen Luftwaffenstützpunkt Inçirlik hat ergeben, dass aus militärischer Sicht grundsätzlich in Jordanien, in Kuwait und auf Zypern geeignete Standorte vorhanden sind.“ In Jordanien wurden „im Rahmen einer Erkundung“ folgende Luftwaffenstützpunkte identifiziert: Al Azraq Air Base (AB), Al Jafr AB und Prince Hassan AB. Auf Zypern: Paphos AB und Akrotiri AB. Und in Kuwait: Ahmed Al Jaber AB, Ali Al Salem AB und Kuwait International AB.

Die Regierung räumt ein, dass „über die Untersuchung auf eine militärische Eignung hinaus keine Gespräche hinsichtlich einer möglichen Stationierung geführt“ wurden. Dies erzürnt den Außenexperten der Linken. Van Aken kritisierte gegenüber dem bundeswehr-journal: „Die Bundesregierung hat offenbar gar kein Interesse an der Verlegung der Bundeswehr aus Inçirlik, wenn sie in sechs Monaten noch nicht einmal Gespräche mit möglichen anderen Stationierungsländern geführt hat. Das ist Dienst nach Vorschrift – zur Beruhigung der Abgeordneten ein paar Alternativen auflisten, aber nichts Konkretes unternehmen.“

Klima der Einschüchterung und massive Schwächung der Demokratie

Übrigens: Das von Minister Sigmar Gabriel geführte Auswärtige Amt beurteilt die Lage von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei deutlich kritischer als die Bundesregierung dies öffentlich einräumt. Das geht aus einem internen Lagebericht des Außenministeriums von Ende Februar hervor, der dem stern und dem ARD-Magazin „Report Mainz“ vorliegt. Das Papier wurde „ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Interessen“ verfasst, verrät eine Vorbemerkung in dem Schriftstück.

Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes beklagt ein Klima der Einschüchterung und eine massive Schwächung der Demokratie in der Türkei bereits vor der von Präsident Erdogan mit dem Verfassungsreferendum vom 16. April angestrebten Stärkung der Präsidialmacht. „Zu beobachten“ seien „eine zunehmende Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit“ sowie „eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation und ein Rückschritt in der demokratischen Entwicklung der Türkei“, zitieren stern und ARD. Die Justiz leide unter einem „Missbrauch“ für „persönliche Machtinteressen“.

Wie immer das Erdogan-Referendum ausgehen mag, der Verteidigungsausschuss pocht auf einen Besuchstermin danach bei den Bundeswehrangehörigen in der Türkei. Bundestagsabgeordneter van Aken warnt: „Auch in den Koalitionsfraktionen gab es im letzten Herbst klare Äußerungen, dass bei einem weiteren Besuchsverbot die Bundeswehr aus der Türkei abgezogen werden müsse. Spätestens mit einem Nein aus Ankara, ist der Abzug der Bundeswehr aus den türkischen Standorten überfällig.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besuchte letztmalig im Januar und im Juli 2016 das deutsche Einsatzkontingent in Inçirlik. Die Aufnahme zeigt sie am 21. Januar vergangenen Jahres auf dem Stützpunkt gemeinsam mit ihrem damaligen türkischen Amtskollegen Ismet Yilmaz.
(Foto: Jack Sanders/U.S. Air Force)

2. Die Grafik listet jene Luftwaffenstützpunkte auf Zypern, in Jordanien und in Kuwait auf, die von der Bundesregierung für den Fall eines Rückzuges aus Inçirlik als alternative Air Base in Betracht gezogen werden. Das Hintergrundfoto, entstanden am 31. Juli 2016, zeigt einen Hornet-Piloten an Bord des Flugzeugträgers „Dwight D. Eisenhower“ kurz vor dem Start im Rahmen der „Operation Inherent Resolve“.
(Foto: J. Alexander Delgado/U.S. Navy; Infografik © mediakompakt 04.17)


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