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Berlin/Düsseldorf/Sigmaringen. Tendenz steigend: Immer mehr Soldaten beschweren sich dienstlich über sexuelle Belästigung, Rechtsextremismus oder Fehlverhalten von Vorgesetzten. Dies geht aus Zahlen des Verteidigungsministeriums hervor, über die die Rheinische Post in ihrer Ausgabe vom 15. Juli berichtete. Die Tageszeitung aus Düsseldorf zitierte dabei Angaben des Ministeriums für das erste Halbjahr 2017. Wie ein Ministeriumssprecher dem Blatt sagte, sei der Anstieg der Beschwerden auch ein gutes Zeichen dafür, dass die Sensibilität in der Truppe für solche Vorkommnisse messbar gestiegen sei.

Der Sprecher wies darauf hin, dass es sich um intern angezeigte Verdachtsfälle handele. „Gemeldet wurden dabei nicht nur frische neue Fälle, sondern auch eine Vielzahl ,alter‘ Vorkommnisse, die aus der Perspektive der Betroffenen zuvor noch nicht angemessen bearbeitet oder gewürdigt worden waren.“ Viele dieser Verfahren würden nun neu überprüft. Die Zunahme der Beschwerden sei auch das Ergebnis einer Reform des internen Meldewesens, so der Sprecher weiter. Dies sei erst vor Kurzem verändert worden und ermögliche nun, dass interne Beschwerden rascher „nach oben“ geleitet würden.

Wir hatten bereits am 22. Juni über diese Entwicklung in den Streitkräften berichtet und dabei auf Zahlen, die die Wochenzeitung DIE ZEIT ins Spiel gebracht hatte, verwiesen (siehe hier).

Verstöße gegen sexuelle Selbstbestimmung jetzt bereits auf Vorjahresniveau

Am deutlichsten zeigt sich der Trend bei Verdachtsfällen von Fehlverhalten Vorgesetzter gegenüber Untergebenen. Während im vergangenen Jahr lediglich 28 solcher Fälle gemeldet worden waren, waren es bis zum Stichtag 9. Juli 2017 bereits 56.

Bei Meldungen von Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist jetzt schon mit 127 erfassten Verdachtsfällen das Vorjahresniveau von 128 Fällen erreicht.

Auch die Meldungen über Vorfälle mit rechtsextremem beziehungsweise fremdenfeindlichem Hintergrund nahmen deutlich zu: Listete das Bundesministerium der Verteidigung 2016 insgesamt 63 Verdachtsfälle auf, so waren es im ersten Halbjahr 2017 bereits 96 Anzeigen.

Kein Platz für entwürdigende Privatrituale in den Streitkräften

Ein für die Bundeswehr wegweisendes Urteil wurde am gestrigen Mittwoch (19. Juli) in Sigmaringen gefällt. Das dortige Verwaltungsgericht bestätigte nach dreistündiger Verhandlung die Entlassung von vier Soldaten aus dem Dienst nach deren Beteiligung an entwürdigenden Aufnahmeritualen im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf als rechtens. Die vier Männer im Alter zwischen 19 und 21 Jahren hatten gegen ihre Entlassung geklagt und vom Dienstherrn die Aufhebung der entsprechenden Bescheide vom Februar dieses Jahres verlangt.

Ein Pressetext des Gerichts geht noch einmal kurz auf die Ereignisse ein, die zur Kündigung der Soldaten geführt hatten: „Die vier [Kläger] – zwei Soldaten auf Zeit sowie zwei freiwilligen Wehrdienst Leistende – waren wegen ihrer Beteiligung an sogenannten Taufen neuer Kameraden entlassen worden. Einen Einblick in das ihnen vorgeworfene Fehlverhalten gaben unter anderem Videosequenzen, die von einem der Soldaten aufgenommen worden waren. Sie geben einen Vorfall wieder, der sich im Oktober/November 2016 ereignet haben soll. Nach Angaben der Soldaten zeige eine Sequenz das Üben einer Gefangennahme. Die andere Sequenz zeigt, wie ein Soldat in Uniform mit ABC-Maske im Gesicht zwei zivil gekleidete und auf Stühle gefesselte Männer in der Dusche abspritzt.“

Urteil stärkt die konsequente Linie der Verteidigungsministerin

Vor diesem Hintergrund kam das Verwaltungsgericht Sigmaringen zu dem Schluss, dass die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Das Verhalten der Kläger stelle eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung dar, heißt es in der Urteilsbegründung. Insbesondere liege ein Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht und gegen das Gebot der gegenseitigen Achtung und zu vertrauensvollem Verhalten vor. Die Frage der Freiwilligkeit der Teilnahme oder des Einverständnisses der „Täuflinge“ spiele bei der Bewertung des Falles keine entscheidende Rolle.

Wie das Gericht weiter urteilte, sei die Entlassung der Vier nicht nur aus rechtlicher Sicht völlig in Ordnung, sondern sogar dringend geboten gewesen. Denn: „Der Verbleib der Kläger im Dienst würde zu einer Gefährdung der militärischen Ordnung führen. Durch Aufnahmerituale könnten eingeschworene Zirkel in der Truppe entstehen, die die Einsatzbereitschaft der Truppe schwächten. Außerdem sei die Gefahr der Nachahmung groß. Es müsse dem Dienstherrn freistehen, einer solchen Disziplinlosigkeit entgegenzuwirken. Die Bundeswehr müsse durch die Entlassungen Zeichen setzen dürfen, um derartigen Vorfällen“ vorzubeugen.

Die deutlichen Worte der 5. Kammer des Gerichts bestätigen den harten Kurs von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei Verfehlungen in der Truppe wie diesen. Spiegel-Redakteur Matthias Gebauer, der das Verfahren im Sitzungssaal 2.8 in Sigmaringen verfolgt hat, schreibt später in seinem Beitrag „Aufnahmerituale bei der Bundeswehr“: „Kritiker von der Leyens meinen bis heute, dass in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf gar nichts aus dem Ruder gelaufen ist. Ein bisschen Härte bei der Ausbildung sei nötig, hört man von Generälen des Heeres dieser Tage häufig. […] Hätte das Gericht die Kündigung für nichtig erklärt, wären die vier Soldaten zu Helden des Widerstandes gegen von der Leyen geworden. Dass der Richter die Entlassung nun als alternativlos darstellte, sorgte im Ministerium für Erleichterung.“


Unser Symbolbild, aufgenommen am 16. März 2011 auf dem Truppenübungsplatz in Frankenberg, zeigt Rekruten der 5. Kompanie Panzergrenadierbataillon 371 bei einer Vorbereitungsübung. Dabei wurden die Soldaten mit Aufgaben vertraut gemacht, die im Rahmen einer internationalen Unterstützungsmission anfallen.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

 


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