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Berlin/Gao (Mali). Das Rüstungsprojekt „Unterstützungshubschrauber (UH) Tiger“ befindet sich – plakativ gesprochen – im „grünen Bereich“. Entsprechend der aktuellen Planung erfolgt die Lieferung der Maschinen fristgerecht. Dem „5. Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zu Rüstungsangelegenheiten“ wurden bislang mit Stand 31. März 2017 insgesamt 59 von 68 UH Tiger an die Truppe ausgeliefert. Aufgrund der stabilen Fertigung und Auslieferung der Serienhubschrauber könne die Realisierungsphase des Projekts planmäßig mit Auslieferung des letzten (68.) Tiger im dritten Quartal 2018 abgeschlossen werden, so der Bericht weiter. Die Zielstruktur der Tiger-Flotte mit 45 Hubschraubern werde durch sukzessive Aussonderung von Maschinen älterer Bauart „im Zuge eines umsichtigen Flottenmanagements“ konsequent umgesetzt. Und: Die materielle Einsatzbereitschaft hat laut Ministerium ein „zufriedenstellendes Niveau erreicht und soll weiter verbessert“ werden. Wäre da nicht ein großes Problem, über das am heutigen Samstag (10. Juni) Spiegel online berichtete. Es fehlen einsatzbefähigte Tiger-Piloten!

Wie der Spiegel berichtet, besitzen angeblich derzeit nur 18 Piloten die für Flüge im Auslandseinsatz notwendige Qualifikation. Diese geringe personelle Besetzung reiche gerade einmal aus, um die momentan bei der VN-Mission MINUSMA im Camp Castor im nordostmalischen Gao eingesetzten vier deutschen Tiger ein Jahr lang zu betreiben.

Auf den brisanten Mangel an Kampfhubschrauberpiloten macht offenbar „ein interner Bericht des Kommandos Heer“ aufmerksam, aus dem der Spiegel nach eigenen Angaben zitiert. So schreibt der Autor des Spiegel-Beitrages, Konstantin von Hammerstein, von einem „Expertiseverlust“, der nicht nur bei jungen, sondern jetzt bei allen Piloten der Tiger-Flotte deutlich sichtbar werde. Die kleine Gruppe der 18 Piloten werde mittlerweile „für alle Übungs- und Schießvorhaben sowie Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen herangezogen“, berichtet der Journalist mit Blick in das Memo aus Strausberg, dem Sitz des Heereskommandos. Die Heeresführung warne davor, dass diese Praxis „keine dauerhafte Erfolgsaussicht“ habe, weil die Piloten-Gruppe „der hohen zeitlichen Belastung nicht mehr standhalten“ werde.

Alles eine Spätfolge des Tiger-Einsatzes in Afghanistan

Der Spiegel-Artikel legt außerdem dar, dass der nun beklagte personelle Engpass „eine Spätfolge des Afghanistaneinsatzes“ sei. Obwohl das Piloten-Training gerade erst begonnen habe, sei die Bundeswehr im Jahr 2012 gezwungen gewesen, bereits vier ihrer nagelneuen Tiger-Kampfhubschrauber an den Hindukusch zu verlegen. Aus diesem Grund habe in den Jahren 2013 und 2014 auch so gut wie keine Ausbildung stattfinden können, weil alle Fluglehrer im Einsatz gewesen seien. Von Hammerstein schließt seinen Beitrag mit dem Fazit: „Bis heute sind von den 123 Pilotenstellen für den Tiger nur 62 besetzt, von denen 18 die Vorgaben für Einsätze (mission readiness) erfüllen.“

Das alarmierende Personalproblem des deutschen Heeres ist nicht erst seit heute ein Thema in der Öffentlichkeit. Schon im Februar hatte Marco Seliger, Chefredakteur des Reservistenverbandsmagazins loyal über „diese Baustelle der Bundeswehr“ berichtet und dabei erläutert, warum und wie der Tiger- und NH90-Betrieb in der Heimat durch die Hubschrauber-Verlegung nach Mali leidet.

Nicht genügend „weiterbildungsberechtigte Luftfahrzeugbesatzungen“

Die Entsendung von vier Tiger und vier NH90 nach Gao (siehe auch hier) habe „massive Auswirkungen auf die Bundeswehr“, warnte Seliger in seinem damaligen loyal-Beitrag „Einsatzbereit gemacht“. So habe ihm ein Sprecher des Heeres bestätigt, dass der Aufwuchs an „einsatzbefähigten Luftfahrzeugbesatzungen“ parallel zum laufenden Auslandseinsatz vor allem aufgrund „limitierter Verfügbarkeit an weiterbildungsberechtigten Luftfahrzeugbesatzungen“ derzeit nur eingeschränkt möglich sei.

Wie auch Seliger ausführte, handelt es sich bei den für die MINUSMA-Mission vorgesehenen Tiger-Besatzungen mit „Einsatzbefähigung“ vor allem um Fluglehrer, die nun zur Ausbildung weiterer Crews fehlen. Der Inspekteur des Heeres habe dies kommen sehen und vom Einsatz der Helikopter in Mali abgeraten, sei aber letztendlich „vom Ministerium überstimmt“ worden – so der Chefredakteur des Reservistenmagazins.

Seliger warnte in seinem Februar-Artikel, dass die wenigen einsatzbereiten NH90- und Tiger-Besatzungen sich nun in Mali „die Klinke in die Hand geben“ werden, während möglicherweise im gleichen Zeitraum in Deutschland Hubschrauberpiloten des Heeres wegen zu geringer Übungspraxis ihre Fluglizenz verlieren werden.

Umrüstung auf den Bauzustand ASGARD geht voran

Der mehrrollenfähige UH Tiger dient der Unterstützung von Bodenkräften, dem Begleitschutz für Hubschrauber, der Aufklärung und der Bekämpfung von Bodenzielen aller Art auch bei Nacht und eingeschränkter Sicht.

Der schon eingangs erwähnte aktuelle Rüstungsbericht des Verteidigungsministeriums nennt beim Tiger weiter folgenden Sachstand: „Mit Blick auf die Zielstruktur der UH Tiger-Flotte (45 Hubschrauber) und die Reduzierung der Hubschraubervarianten wurde die Aussonderung von Luftfahrzeugen weiter fortgesetzt. Neun Hubschrauber wurden zwischenzeitlich ausgesondert und aus dem Buchbestand genommen. Der Buchbestand beträgt zurzeit 49 UH Tiger.“

Zur weiteren Vereinheitlichung der Varianten des Kampfhubschraubers treibt die Bundeswehr die Umrüstung auf den Bauzustand ASGARD (Afghanistan Stabilization German Army Rapid Deployment) voran. Dieser habe sich im Einsatz bewährt, erklärt das Ministerium. 33 Hubschrauber sollen zusätzlich die ASGARD-Konfiguration erhalten.


Die Aufnahme zeigt zwei Tiger-Hubschrauber des deutschen Heeres im Mai 2011 auf dem US-Militärflugplatz Grafenwöhr. Beide Maschinen nahmen auf dem nahe gelegenen Truppenübungsplatz der Amerikaner an einem Gefechtsschießen teil.
(Foto: Rick Frost/U.S. Army)

Kleines Beitragsbild: 20. Dezember 2012 – die ersten beiden deutschen Kampfhubschrauber Tiger sind in Afghanistan eingetroffen, an diesem Donnerstag heben die Besatzungen zu ihrem ersten Einsatzflug ab.
(Foto: PAO RC North/Bundeswehr)


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