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Berlin/Königswinter. Das Bundeskriminalamt hat Presseberichten zufolge mittlerweile mehr als 800 Islamisten registriert, die in den vergangenen Jahren von Deutschland nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind und sich dort Terrorgruppierungen wie dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) oder der al-Nusra-Front angeschlossen haben. Abgeordnete der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wollten vor Kurzem von der Bundesregierung wissen, welche Erkenntnisse die Sicherheitsbehörden im letzten Jahr über die Ausreise gewaltbereiter Dschihadisten gewinnen konnten.

Königswinter, das beschauliche 40.000-Seelen-Städtchen am Rhein unweit von Bonn und unterhalb von Drachenfels und Petersberg. Fast zehn Jahre war der Ort Verlagssitz des Magazins bundeswehr-journal gewesen, ehe wir uns zu einem Umzug nach St. Goar im Mittelrheintal entschlossen. Auch wir lasen und hörten im vergangenen Sommer von Yamin A. –Z., einem 28-jährigen in Stuttgart geborenen Deutschen, der vor 15 Jahren mit seinen Eltern nach Königswinter gekommen war. Anfang August waren die Islamismus-Experten des Gemeinsamen Internetzentrums (GIZ) in Berlin auf ein Propagandavideo der Terrororganisation IS gestoßen, in dem Yamin eine Hauptrolle spielte.

Was ist das „GIZ“? Die Anfang 2007 in der Hauptstadt eröffnete Einrichtung beobachtet islamistische Internetinhalte und wertet diese aus. Nach dem Vorbild des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) arbeiten im GIZ Vertreter des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamtes, des Amtes für den Militärischen Abschirmdienst und der Generalbundesanwaltschaft eng zusammen. Das Video, das die Fachleute vor rund neun Monaten analysiert hatten, war von besonders erschütternder Qualität. Die Öffentlichkeit erfuhr kurze Zeit später von dem Filmstreifen. Am 15. August 2015 titelte die regionale Boulevardzeitung EXPRESS: „Königswinter unter Schock – so lebte IS-Henker Yamin A.-Z. im Rhein-Idyll!“

Ermordung zweier syrischer Gefangener vor laufender Kamera

Das Video, das auch die hartgesottenen Spezialisten des Berliner Zentrums zunächst sprachlos gemacht haben soll, war die erste Produktion des IS komplett in deutscher Sprache. Erstmalig ist auch ein deutscher Islamist zu sehen, der vor laufender Kamera eine Geisel tötet.

Der Journalist Florian Flade beschrieb die fünf Minuten dauernde Aufnahme in einem Welt-Beitrag vergangenes Jahr so: „Hauptakteure in dem Mordvideo sind der Österreicher Mohamed Mahmoud alias Abu Usamah al-Ghari und ein Islamist aus Deutschland, Kampfname Abu Umar al-Almani. Sie drohen unmaskiert und unverhohlen mit Terroranschlägen in der Bundesrepublik und rufen in Deutschland lebende Muslime auf, Ungläubige zu töten. ,Greift die Kuffar an, in ihren eigenen Häusern! Tötet sie dort, wo ihr sie findet!‘, fordert etwa Abu Umar. Und greift schließlich selbst zur Waffe. Er erschießt gemeinsam mit dem Österreicher Mahmoud zwei am Boden kniende, gefesselte syrische Regierungssoldaten.“

Es dauerte nach dem Auftauchen des IS-Videos nur kurze Zeit, ehe die deutschen Sicherheitsbehörden die wahre Identität des Killers Abu Umar ermittelt hatten: Es handelte sich bei dem deutschen Dschihadisten um A. –Z. aus Königswinter. Er hatte mit seiner Frau in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gelebt.

Etwa ein Fünftel der aus Deutschland ausgereisten Islamisten ist weiblich

Kehren wir zurück zur Anfrage der Grünen und blättern in der Antwort der Bundesregierung, die auf den Auskünften des Bundesministeriums des Innern vom 6. April 2016 beruht.

Den Bundessicherheitsbehörden liegen demnach aktuell Erkenntnisse zu etwa 150 deutschen Islamisten beziehungsweise Islamisten aus Deutschland vor, die 2015 „in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort aufseiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen“. Bei dieser Angabe handele es sich um einen „Orientierungswert“, schreibt das Bundesinnenministerium und erläutert: „Teilweise liegen keine Ausreisedaten vor oder werden erst im Nachhinein bekannt.“

Ob es aus Deutschland auch Ausreisen in andere Regionen zum Zwecke der Beteiligung an Kampfhandlungen dortiger islamistischer Verbände gegeben hat, konnten die Behörden für das Jahr 2015 nicht feststellen. Ziele der „Dschihad-Reisenden“ waren offenbar nur Syrien und der Irak.

Wie es in der Regierungsantwort weiter heißt, handelt es sich „bei dem überwiegenden Teil der 2015 aus Deutschland ausgereisten Personen […] um deutsche Staatsangehörige mit zum Teil doppelter Staatsbürgerschaft“. Vereinzelt seien im vergangenen Jahr Ausreisen von EU-Bürgern aus Deutschland heraus festgestellt worden, außerdem einige Ausreisen von Drittstaatsangehörigen mit deutschem Aufenthaltstitel. Etwa ein Fünftel der aus Deutschland ausgereisten Islamisten ist den Behördenangaben zufolge weiblich.

Rund 70 Personen haben sich aktiv an Kämpfen in Syrien und im Irak beteiligt

Wie der Antwort der Bundesregierung weiter zu entnehmen ist, wissen die Sicherheitsbehörden von etwa 130 aus Deutschland ausgereisten Personen, die seit Beginn des Syrienkonflikts in der Region ums Leben gekommen sind. Darüber hinaus lägen vereinzelt Hinweise zu Todesfällen deutscher Islamisten beziehungsweise Islamisten aus Deutschland vor, die beispielsweise in der Region Afghanistan/Pakistan oder in Somalia starben.

Zu den Rückkehrern merkt die Bundesregierung an: „Etwa ein Drittel der seit 2012 in Richtung Syrien/Irak gereisten Personen befindet sich derzeit wieder in Deutschland. Als Ergebnis der kontinuierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 70 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben.“

Deutsche Behörden ermitteln inzwischen gegen mehr als 600 Personen

Eine im Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren erstellte Analyse kommt für das Jahr 2015 beim Thema „Rückkehrer“ übrigens zu dem Ergebnis, dass „elf Prozent aufgrund von Desillusion und/oder Frustration zurückgekehrt sind [und] neun Prozent aufgrund des Drucks der Familie oder anderer Personen aus dem sozialen Nahraum“. In zehn Prozent der Fälle werde „äußerer Zwang seitens islamistisch-dschihadistischer Gruppen“ als Motiv für die Heimreise nach Deutschland vermutet.

Bei sieben Prozent gehen die Behörden von einer taktisch motivierten Rückkehr aus – „etwa um sich zu erholen oder um neue Ausrüstung oder Geld zu besorgen, mit dem der Kampf in Syrien oder dem Irak weitergeführt oder unterstützt werden soll“. (Anm.: „Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind“; Gemeinschaftsarbeit des Bundeskriminalamtes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Hessischen Informations- und Kompetenzzentrums gegen Extremismus/HKE.)

Mit Stand 24. März 2016 sind dem Bundeskriminalamt insgesamt 611 Personen bekannt, die Beschuldigte in Ermittlungsverfahren im Kontext von Ausreisen aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak sind.

INTERPOL teilt zugängliche IS-Daten mit allen EU- und NATO-Staaten

Wie auch das bundeswehr-journal vor wenigen Wochen berichtete, sind der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ offenbar brisante Mitgliederlisten – darunter auch Namen seiner ausländischen Kämpfer – entwendet worden (siehe hier). Der komplette Datensatz soll Namen von mehr als 22.000 Männer und Frauen enthalten, die sich dem IS angeschlossen haben.

Diese Dokumente stammen, so wurde bekannt, aus Befragungen der Terrormiliz von neuen Rekruten bei deren Einreise in das IS-Gebiet. Den Datensätzen liegen 23 Fragen zugrunde, darunter auch die, ob die neuen Dschihadisten lieber als Kämpfer oder als Selbstmordattentäter eingesetzt werden wollen. Das Bundeskriminalamt hält diese Unterlagen für authentisch.

Die internationale Polizeibehörde INTERPOL hat all ihren Mitgliedstaaten eine Liste mit Daten von 5185 sogenannten Registrierungsbögen zur Verfügung gestellt. Demnach haben nun alle EU- und NATO-Länder Zugriff auf dieses Material. Wie die Bundesregierung mitteilt, hätten sich im Rahmen einer ersten Sichtung der vorliegenden Datensätze Hinweise darauf ergeben, dass sich auch Deutsche oder aus Deutschland stammende Personen auf den IS-Listen befinden. Einige von ihnen seien bereits im Zusammenhang mit Ausreisen nach Syrien bekannt.

Vom engagierten Firmenmitarbeiter zum glühenden IS-Sympathisanten

In Bonn war im August vergangenen Jahres auch die Deutsche Telekom „entsetzt und tief betroffen“. So zitierte der EXPRESS damals einen Unternehmenssprecher. Yamin A. –Z., der in Königswinter unweit der örtlichen Moschee wohnte, diese aber nur wenige Male vor seiner heimlichen Ausreise nach Syrien besucht haben soll, hatte bei der Telekom eine Ausbildung begonnen. Anfangs habe er als „vielversprechender, engagierter, sehr höflicher Mitarbeiter“ überzeugt, schildert der Sprecher den Mann. Ende 2013/Anfang 2014 dann habe sich dieser jedoch verändert und sei plötzlich durch offen geäußerte Sympathien für den IS aufgefallen. Die Telekom habe daraufhin die Sicherheitsbehörden informiert. Etliche Monate später sei der 28-Jährige schließlich nicht mehr zur Arbeit erschienen und habe „die Kündigung initiiert“.

Nach Bekanntwerden des Tötungsvideos hatte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ein Ermittlungsverfahren gegen den IS-Terroristen eingeleitet. Yamin A. –Z. drohte im Falle seiner Rückkehr nach Deutschland eine Anklage wegen Mordes. Auch eine Anklage wegen der Begehung von Kriegsverbrechen stand im Raum.

Am 14. März dieses Jahres meldete im Internet die Baqiyya Media Foundation, ein PR-Unternehmen der Dschihadisten, den Tod von Abu Umar al-Almani. Aus der „Eilmeldung“ geht hervor, dass der Deutsche ein „mit Sprengstoff beladenes Gefährt“ inmitten einer „Ansammlung von Kurden“ zur Explosion gebracht hatte.

Abu Umars Mordkumpan, der österreichische IS-Terrorist Mohamed Mahmoud, soll inzwischen ebenfalls tot sein. Medienberichten zufolge war er am 16. Oktober vergangenen Jahres vor der syrischen Stadt Rakka in einem Autokonvoi vom Geschoss einer US-Drohne getroffen und schwer verletzt worden. In einem der Fahrzeuge soll auch der Berliner Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg alias Abu Talha al-Almani gesessen haben. Er sei ums Leben gekommen, gab später das US-Verteidigungsministerium bekannt.


Unser Bild zeigt den Königswinterer Yamin A. –Z., Kampfname Abu Umar al-Almani, und den Österreicher Mohamed Mahmoud alias Abu Usamah al-Ghari (rechts).
(Videostandbild: Quelle IS)

Kleines Beitragsbild: Kämpfer der Terrorbewegung des sogenannten „Islamischen Staates“.
(Bild: Baqiyya Media Foundation)


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