menu +

Nachrichten



Kiel. In der Ostsee ist nichts mehr so, wie es war. Ein plakatives Beispiel dafür ist Gotland. Auf der schwedischen Insel, die in strategisch wichtiger Lage zwischen dem Mutterland und den baltischen Staaten liegt, gibt es seit gut einem Jahrzehnt keine regulären Streitkräfte mehr. Denn als die sicherheitspolitische Lage in Europa mit Russland noch entspannt war, hatte die Regierung in Stockholm den Truppenabzug von Gotland beschlossen. Die Inselverteidigung lag danach in den Händen einer rund 500 Mann (und Frau) starken Heimwehr. Nun will Schweden angesichts des Ukrainekonflikts und verstärkter russischer Aktivität im Ostseeraum seine Militärausgaben erhöhen. Verteidigungsminister Peter Hultquist gab im März zudem bekannt, bald rund 150 Soldaten nach Gotland verlegen zu lassen. Auch andere Ostseeanrainer sind seit der Annexion der Krim im Frühjahr vergangenen Jahres zusehends beunruhigt über das Vorgehen Moskaus. Zum angespannten Stimmungsbild trägt auch die Ausweitung der russischen Militärpräsenz in der Ostsee sowie im Luftraum an den Nachbargrenzen bei. In Kiel befasste sich jetzt eine hochkarätig besetzte eintägige Konferenz mit den veränderten Sicherheitsverhältnissen im Ostseeraum. Zur „Kiel Conference 2015“ am 23. Juni trafen sich mehr als 80 internationale Experten aus dem Bereich der Streitkräfte sowie aus Politik, Wissenschaft und maritimer Wirtschaft.

Erfüllen sich die langfristigen Erwartungen der geistigen Väter der Kiel Conference, dann könnte dieses Veranstaltungsformat in naher Zukunft einmal das maritime Pendant zur traditionsreichen Münchner Sicherheitskonferenz werden, die alljährlich im Februar in der bayerischen Landeshauptstadt stattfindet. Ausrichter der Premiere-Konferenz an der Förde waren gleich zwei Kieler Institutionen: das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und das NATO Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters (COE CSW).

Im Vorfeld der Veranstaltung erklärten die beiden Partner, dass sie sich „bewusst für ein exklusives Forum mit ausgewiesenen Fachleuten“ entschieden hätten. Im Mittelpunkt sollten das „offene Gespräch sowie der fachliche und persönliche Austausch“ der Konferenzteilnehmer mit den Experten stehen. Leitlinie der Kiel Conference 2015 und nachfolgender Tagungen ist und bleibt der Dialog über die maritime Sicherheit. Dabei soll künftig alljährlich – eingebettet in das Programm der Kieler Woche – der Blick auf eine bestimmte maritime Region gerichtet werden, um „daran aktuelle Herausforderungen an die maritime Sicherheit zu spiegeln“.

Künftig ein fester Programmbestandteil der Kieler Woche

Die Kiel Conference 2015 versammelte Teilnehmer aus rund einem Dutzend Nationen – darunter Estland und Lettland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, Türkei und USA.

Zu den Experten dieses Forums zählten beispielsweise der langjährige BBC-Journalist Nicholas Childs (mittlerweile Senior Fellow am International Institute for Strategic Studies, IISS) oder der renommierte britische Marinehistoriker Tim Benbow. Auch der schwedische Wissenschaftler Stefan Lundqvist hielt bei der ersten Kiel Conference einen vielbeachteten Vortrag. Lundqvist arbeitet in Stockholm an der Försvarshögskolan (Schwedische Militärhochschule) und befasst sich dort vor allem mit der finnisch-schwedischen Kooperation in maritimen Sicherheitsfragen.

Keynote Speaker der ersten Kiel Conference war der französische Vizeadmiral Bruno Paulmier, Deputy Commander Allied Maritime Command (MARCOM) im englischen Northwood. Der Parlamentarier Philipp Murmann, Vorsitzender des Arbeitskreises „Küste“ der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, war zur Eröffnung gekommen.

„Eine Veranstaltung dieser Art hat in der Kieler Woche gefehlt, das haben uns die vielen positiven Rückmeldungen gezeigt“, sagte Kapitän zur See Jan C. Kaack zum Konferenzauftakt. „Daher möchten wir dieses besondere Arbeits- und Diskussionsforum künftig im Kalender der Kieler Festtage verankern“, so der Direktor des COE CSW und Kommandeur der Einsatzflottille 1 der deutschen Marine.

Die Ereignisse in der Ukraine hatten im Vorfeld der Kieler Woche (20. bis 28. Juni) bereits zu einer offiziellen Ausladung an die russische Marine geführt. Diese Entscheidung blieb bis zuletzt umstritten, war und ist doch die Kieler Woche – unabhängig von der politischen Großwetterlage – stets ein Ort der Begegnung und der Völkerverständigung. So wünschte sich denn auch Christdemokrat Murmann: „Die Kieler Woche ist immer auch ein Treffpunkt für die Marine aus vielen Ländern. Dabei wird klar: Internationale Freundschaft ist die beste Basis für Frieden, Respekt und internationale Sicherheit. Hoffentlich besinnt sich auch Russland darauf – und ist bald wieder mit dabei!“

Kluge und vorausschauende Sicherheitspolitik braucht den offenen Dialog

Zum neuen Tagungsformat „Kiel Conference“ äußerte sich auch Professor Dr. Joachim Krause, Direktor des ISPK. Die Kiel Conference stelle den Versuch dar, einen sach- und problemorientierten Meinungsaustausch über aktuelle und absehbare maritime Sicherheitsprobleme herzustellen, erklärte er. „Frieden ohne Sicherheit ist nicht möglich, kluge und vorausschauende Sicherheitspolitik hingegen ermöglicht die Verhinderung und Eindämmung von Konflikten im 21. Jahrhundert. Dafür ist ein offener Dialog unabdingbar.“

Den Bogen zur aktuellen Lage im Ostseeraum zog schließlich Vizeadmiral Paulmier in seinem Leitvortrag. „Ein neues Sicherheitsparadigma bringt uns dazu, über die Ostsee aus einer strategischen, vor allem aber aus einer operativen Perspektive nachzudenken“, so der ranghohe Offizier aus Northwood (siehe auch hier).

Das Tagungsprogramm des 23. Juni wurde maßgeblich bestimmt von drei Themenblöcken, die alle einen inhaltlichen Bezug zur aktuellen sicherheitspolitischen Situation und Entwicklung im Bereich der Ostseeregion hatten.

Die erste moderierte Diskussionsrunde befasste sich mit der Rolle von Seestreitkräften vor dem Hintergrund sich ändernder Sicherheitsverhältnisse im Ostseeraum, welche vor allem in Skandinavien, dem Baltikum und in Polen zunehmend Verunsicherung hervorrufen (Panel 1: „The Role of Sea Power in the Baltic Sea“). Die zweite Runde untersuchte die Gefahren, denen sich die Schifffahrt unter anderem durch Seeminen in hybriden Konfliktszenarien ausgesetzt sehen könnte (Panel 2: „Naval Mines – Curse or Blessing in Hybrid Warfare“). Der dritte Abschnitt befasst sich schließlich mit modernen Technologien zur Behinderung oder Unterbrechung von Seewegen und Möglichkeiten, dieser Gefährdung innovativ zu begegnen (Panel 3: „Influence of Disruptive Technologies on Navies and Operations in a Confined Theatre“).

Friedensaktivisten und Globalisierungsgegner demonstrierten vor Tagungshotel

Auch wenn die Kiel Conference gerade erst aus dem Startblock gekommen ist und wohl noch eine Zeit lang brauchen wird, um den Bekanntheitsgrad der „großen“ Münchner Sicherheitskonferenz zu erreichen, eines haben beide Veranstaltungen bereits heute gemeinsam: den Protest.

Wie bei der MSC in München, so formierte sich auch im Vorfeld der Kieler Tagung entschiedene Gegnerschaft. Das Bündnis „War starts here – keine Kriegskonferenz in Kiel“ sah in der neuen Veranstaltung im Rahmen der Kieler Woche eine „unnötige Militarisierung“, zumal die „Conference“ gemeinsam mit „einem Exzellenzzentrum der NATO“ ausgerichtet wurde. Dem Protestbündnis hatten sich etwa 30 Verbände und Organisationen angeschlossen – vom Deutschen Gewerkschaftsbund über die studentische Vertretung der Kieler Universität oder die Globalisierungsgegner von Attac bis hin zum Kieler Friedensforum und der Grünen Jugend Schleswig-Holstein. Am Ende waren es gut 350 Friedensbewegte, die vor dem Tagungsort „Maritim Hotel Bellevue Kiel“ demonstrierten. Friedlich.


Zu unserer Bildsequenz:
1. Eröffnung der ersten Kiel Conference am 23. Juni 2015 im „Maritime Hotel Bellevue“ in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt.
(Foto: Björn Wilke/Bundeswehr)

2. Die Premiere-Veranstaltung der neuen Tagungsreihe war von den Veranstaltern bewusst eingebettet worden in das Gesamtprogramm der Kieler Woche, die in diesem Jahr im Zeitraum 20. bis 28. Juni stattfand.
(Foto: Thomas Eisenkrätzer/Landeshauptstadt Kiel)

3. Auch die künftigen sicherheitspolitischen Kieler Konferenzen sollen im Rahmen der jeweiligen Kieler Woche stattfinden. Dieses und das vorherige Bild wurden im Marinehafen bei „Open Ship“ gemacht.
(Foto: Thomas Eisenkrätzer/Landeshauptstadt Kiel)

4. An der Kiel Conference 2015 beteiligten sich mehr als 80 Experten aus rund einem Dutzend Nationen.
(Foto: Björn Wilke/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN