menu +

Nachrichten



Cancún (Mexiko)/Berlin/Köln. Am Montag dieser Woche (24. August) begann im mexikanischen Cancún die erste Vertragsstaatenkonferenz des Vertrags über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT). Die Konferenz dauert bis zum morgigen Donnerstag (27. August). Mehr als 600 Delegierte aus Vertrags-, Zeichner- und Beobachterstaaten nehmen daran teil. Sie sollen die Weichen für eine effektive und möglichst universelle Umsetzung des ATT stellen. Viele Vertreter internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen begleiten die Konferenz. Es sind auch Beobachter der Industrie nach Cancún gereist.

Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam verfolgt den weltweiten Waffenhandel bereits seit Jahrzehnten mit großer Sorge. Der 1942 im britischen Oxford gegründete Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsinitiativen warnt: „Konventionelle Waffen sind die wahren Massenvernichtungswaffen unserer Zeit – jedes Jahr sterben Hunderttausende Menschen durch ihren Missbrauch, werden verletzt oder in Armut getrieben.“

Weltweiter Handel mit Schusswaffenmunition ist ein Milliardengeschäft

Alleine auf dem gesamten Kontinent Afrika, so ermittelte Oxfam bereits 2007, verursachen bewaffnete Auseinandersetzungen alljährlich Schäden in Höhe von rund 18 Milliarden US-Dollar. Der weltweite Handel mit Schusswaffenmunition beläuft sich pro Jahr auf ein Volumen von 4,3 Milliarden US-Dollar und übertrifft damit erheblich die Geschäfte mit Schusswaffen (2,68 Milliarden). Jahr für Jahr verschwinden nach Informationen von Oxfam etwa eine Million der weltweit produzierten rund acht Millionen Feuerwaffen in dunklen Kanälen. Und nirgendwo im Wirtschaftsbereich ist die Korruptionsrate so hoch wie im Bereich des grenzüberschreitenden Handels mit Schusswaffen, Panzerfahrzeugen oder anderen konventionellen Rüstungsgütern. Das Handelsministerium der Vereinigten Staaten geht davon aus, dass etwa 50 Prozent aller jährlich weltweit registrierten Korruptionsfälle dem Rüstungssektor zuzuschreiben sind.

Oxfam ist bei seiner Arbeit in vielen Krisenländern unmittelbar mit diesen folgenschweren Entwicklungen konfrontiert und fordert deshalb schon seit 2003 im Rahmen der weltweiten Kampagne „Control Arms!“ – gemeinsam mit Amnesty International, dem Internationalen Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen (IANSA) und anderen internationalen Nichtregierungsorganisationen – einen weltweiten Vertrag zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Waffen. Schritt für Schritt ist man diesem Ziel nähergekommen (siehe auch hier).

Lücken im Völkerrecht und mangelhafte Kontrollen

Noch vor drei Jahren hatte Oxfam in seinem Bericht „Stop a Bullet, Stop a War“ erneut die fehlenden internationalen Regeln für den Waffenhandel beklagt. Es sei immer noch nicht klar, wohin und wofür Munition geliefert werden dürfe. Der Bericht kritisiert, dass wegen mangelnder Kontrollen große Mengen an Munition legal an Staaten in Krisenregionen gelangen und dann illegal an Bürgerkriegsparteien weitergeleitet werden könnten.

Robert Lindner, Oxfam-Koordinator für humanitäre Kampagnen, stellte einmal erstaunt fest: „Das Gros der in Kriegen und bei Menschenrechtsverletzungen verwendeten Waffen stammt aus legalen, staatlich genehmigten Lieferungen. Ermöglicht wird dies durch Lücken im Völkerrecht. Es ist kaum zu glauben, aber es gibt viel strengere internationale Vorschriften zum Beispiel für den Handel mit Fossilien oder Steinzeitbeilen als mit Gewehren, Panzern und Raketenwerfern.“

Der Arms Trade Treaty – kurz ATT – soll diese Lücken schließen. Am 24. Dezember 2014 trat das globale Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels in Kraft. 130 Staaten haben das Vertragswerk mittlerweile gezeichnet, 72 Staaten haben bereits ratifiziert (Stand: Juli 2015).

Rechtlich bindende und weltweit einheitliche Mindeststandards

Deutschland hat den ATT von Anfang an intensiv unterstützt und gefördert, unter anderem durch die Ausrichtung von Konsultationen zur Vorbereitung der Staatenkonferenz in Berlin im November 2014. Die Bundesregierung setzt sich darüber hinaus für eine möglichst universelle Umsetzung des ATT ein, etwa durch Implementierungsunterstützung in Zeichner- und Beobachterstaaten.

In einer Presseerklärung des Auswärtigen Amtes vom Montag dieser Woche heißt es: „Der ATT ist ein Meilenstein bei der Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern. Er schafft erstmals rechtlich bindende, weltweit einheitliche Mindeststandards, insbesondere für Exportentscheidungen.“

Die Bewertungskriterien spiegeln in wesentlichen Teilen die in Deutschland und der Europäischen Union bereits geltenden Standards wider. Kernstück ist die Regel, wonach Vertragsstaaten keine Genehmigung für Ausfuhren erteilen, wenn ein eindeutiges Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen oder schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts besteht. Dazu das Auswärtige Amt: „Deutschland setzt sich intensiv dafür ein, noch mehr Staaten für die Unterzeichnung, Ratifizierung und Umsetzung dieses so wichtigen völkerrechtlichen Vertrages zu gewinnen und so einen Beitrag zu Frieden und Sicherheit in der Welt zu leisten.“

Die allgemeine Geheimhaltung über den Waffenhandel durchbrechen

Mathias John, Experte bei Amnesty International Deutschland für das Thema „Rüstung und Menschenrechte“, wird die Konferenz in Cancún gespannt verfolgen. „Die Konferenz ist eine erste Bewährungsprobe für die Vertragsstaaten, den historischen Waffenhandelsvertrag zu einem Erfolg zu machen und seine lebensrettenden Ziele zu verwirklichen“, sagte er in Berlin.

Die Internationale Staatengemeinschaft könne gemeinsam weitere Meilensteine zur Umsetzung des ATT festlegen, um Rüstungstransfers zu stoppen, die zu Kriegsverbrechen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen beitragen. Ein zentraler Punkt sei dabei Transparenz, um die allgemeine Geheimhaltung über den Waffenhandel zu durchbrechen. John fordert und lobt zugleich: „Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die verbesserte Berichterstattung zu deutschen Rüstungsexporten war ein erster wichtiger Schritt.“ Allerdings, so John: „Zusätzlich müssen genaue Angaben über Anzahl, Wert und Art der Exporte und Importe veröffentlicht und die angekündigten Endverbleibskontrollen vor Ort endlich umgesetzt werden.“

Deutschland wird bei der Konferenz auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán von Bernhard Schlagheck, Unterabteilungsleiter und Direktor des Bereichs „Exportkontrolle“ im Auswärtigen Amt, vertreten.

Drogen, Gewalt und Korruption – ein Land am Abgrund

Mexiko selber wird seit Jahren von blutigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der organisierten Kriminalität, Sicherheitskräften und Bürgerwehren erschüttert. Seit 2006 sollen in dem nordamerikanischen Land mehr als 80.000 Menschen im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität getötet worden sein. Wie Amnesty International in seinem „Jahresbericht Mexiko 2015“ schreibt, wurden alleine „in den ersten neun Monaten des Jahres 2014 insgesamt 24.746 Personen ermordet, verglichen mit 26.001 in den ersten neun Monaten des Jahres 2013.“

Laut einer im September 2014 veröffentlichten offiziellen mexikanischen Studie ist auch die Anzahl der Entführungen von 105.682 im Jahr 2012 auf 131.946 im Jahr 2013 angestiegen. Weit mehr als 20.000 Menschen sind in Mexiko seit 2006 einem besonders grausamen Verbrechen zum Opfer gefallen: dem „Verschwindenlassen“. Laut einer Untersuchung kirchlicher Hilfswerke handelt es sich dabei um ein systematisch begangenes Verbrechen.

Über das hohe Maß an Gewalt in Verbindung mit organisiertem Verbrechen – und häufig in geheimer Absprache mit Lokalbehörden – weiß Amnesty International zu berichten: „In vielen mexikanischen Bundesstaaten nahmen Militärangehörige weiterhin Polizeiaufgaben wahr, praktisch ohne einem Rechenschaftsmechanismus zu unterliegen. In der Folge gingen regelmäßig Berichte über willkürliche Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen sowie außergerichtliche Hinrichtungen ein.“

Vor diesem Hintergrund weist nun auch die in Mexiko lebende deutsche Journalistin Herdis Lüke, die unter anderem die Deutsche Mexiko-Zeitung herausgibt, bei ihrer Berichterstattung über die Cancún-Konferenz auf einen Skandal der jüngeren Vergangenheit hin. Dabei spielt der Name der Oberndorfer Waffenfirma Heckler & Koch GmbH eine Rolle.

Heckler & Koch im Visier des deutschen Zollfahndungsdienstes

Am 7. und 8. Mai dieses Jahres hatten die Süddeutsche Zeitung sowie der NDR und der WDR aus einem Schlussbericht des Kölner Zollkriminalamtes (ZKA) zitiert. Das ZKA ist die Zentrale des deutschen Zollfahndungsdienstes, dessen Hauptaufgabe die Verfolgung und Verhütung der mittleren, schweren und organisierten Zollkriminalität ist.

Auch die Tagesschau hatte in ihrem Onlineportal über Heckler & Koch berichtet: „Laut Abschlussbericht der Zollfahnder […] hat die Firma zwischen 2003 und 2011 insgesamt 9472 Gewehre vom Typ G36 nach Mexiko geliefert. 4767 davon, also mehr als die Hälfte, sind demnach in Gebiete gegangen, in die sie nicht hätten geliefert werden dürfen – in vier Bundesstaaten wie Jalisco und Chiapas. Dort kämpfen seit Jahren schwer bewaffnete Drogenkartelle und Banden um Einfluss. Und auch die Polizei gilt als korrupt.“

In dem Beitrag der Süddeutschen Zeitung war außerdem zu lesen, dass das ZKA „angeregt“ habe, fünf frühere Führungskräfte und Mitarbeiter von Heckler & Koch wegen „Zuwiderhandlungen“ gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz anklagen zu lassen. Die Zollfahnder hätten darüber hinaus gefordert, die illegalen Gewinne des Unternehmens aus den unerlaubten Mexiko-Exporten – laut Süddeutsche drei Millionen Euro – wieder „abzuschöpfen“.

„Konsequenzen ziehen aus den Skandalen der vergangenen Jahre“

Wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gegenüber dem Rechercheteam der Süddeutschen, des NDR und des WDR im Frühjahr erklärt hatte, sollen nun mit strengeren Kontrollen von Waffenexporten die „Konsequenzen […] aus den Skandalen der vergangenen Jahre“ gezogen werden. Unter anderem plane sein Ressort Inspektionen vor Ort, sogenannte „Post-Shipment-Kontrollen“, wie sie etwa von den USA bereits praktiziert würden.

Inzwischen gibt es dazu jetzt auch ein Eckpunktepapier des Ministeriums. Mit den Kontrollen soll die Endverbleibssicherung für aus Deutschland exportiertes Rüstungsmaterial verbessert werden. Der zu kontrollierende Güterkreis umfasst grundsätzlich alle Kriegswaffen und bestimmte Schusswaffen (Pistolen, Revolver und Scharfschützengewehre). Mit der Vorbereitung beziehungsweise der Durchführung der Post-Shipment-Kontrollen sollen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und die jeweilige Auslandsvertretung beauftragt werden.

Die neuen Regeln sollen nur für Drittländer gelten, also nur für Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union oder der NATO sind.

Als Unternehmen nicht Gegenstand der Anschuldigungen?

Der Waffenproduzent Heckler & Koch hatte übrigens am 8. Mai auf die Medienberichte reagiert. In einer an diesem Freitag veröffentlichten Pressemitteilung des Unternehmens heißt es unter anderem: „Der Abschlussbericht des ZKA ist dem Unternehmen bekannt. Heckler & Koch hatte zur Aufklärung des verfahrensrelevanten Sachverhalts beigetragen und dazu im Jahr 2012 eine umfangreiche externe Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Auftrag gegeben. Die Untersuchungsergebnisse wurden den zuständigen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt und sind in den Bericht des ZKA eingeflossen. Das Unternehmen Heckler & Koch hat ein erhebliches Interesse daran, dass die erhobenen Vorwürfe geklärt werden, und kooperiert in vollem Umfang mit den zuständigen Ermittlungsbehörden.“

Abschließend weist der Pressetext darauf hin, dass „Heckler & Koch als Unternehmen nicht Gegenstand der Anschuldigungen ist; die Ermittlungen beziehen sich auf ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens“. Zwei anderen Mitarbeitern sei inzwischen gekündigt worden.


Zur Bebilderung unseres Beitrages „Cancún – den Waffenhandelsvertrag mit Leben füllen“:
1. Schwer bewaffnete jugendliche Gangmitglieder in der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro.
(Foto: Kampagne „Control Arms“)

2. West Pokot County, Kenia – junger Viehhirte mit Schusswaffe.
(Foto: Sven Torfinn/Oxfam)

3. Am 2. April 2013 stimmte die Vollversammlung der Vereinten Nationen dem internationalen Vertrag über den Waffenhandel zu; die Aufnahme entstand während der New Yorker Abstimmung.
(Foto: Devra Berkowitz/United Nations)

4. Grafik zur unkontrollierten Verbreitung von Schusswaffen und Munition.
(Foto: Kampagne „Control Arms“)

5. Aktion von „Control Arms“ im April 2008 in London. „Control Arms“ ist eine Kampagne von drei nichtstaatlichen Organisationen, die sich weltweit für einen streng kontrollierten Umgang mit Waffen, insbesondere mit Handfeuerwaffen, einsetzt. Die Kampagne wurde am 9. Oktober 2003 von Amnesty International, IANSA und Oxfam gegründet.
(Foto: Kampagne „Control Arms“)

Kleines Beitragsbild: Aktion von „Control Arms“ im Juli 2012 am Ufer des East River in New York.
(Foto: Kampagne „Control Arms“)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN