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Kabul (Afghanistan)/Washington (USA)/Berlin. Der Kandidat hat sein Versprechen eindrucksvoll gehalten. Ashraf Ghani Ahmadzai, seit seiner Vereidigung am Montag (29. September) Afghanistans neuer Staatspräsident, hat bereits in seinen ersten Amtsstunden die Brücke zum Westen geschlagen. In einer feierlichen Zeremonie am Dienstag im Präsidentenpalast in Kabul unterzeichnete sein Sicherheitsberater, Mohammad Hanif Atmar, die entscheidenden Dokumente für eine Fortsetzung der internationalen militärischen Präsenz in Afghanistan über den 31. Dezember 2014 hinaus. Damit konnte der sich anbahnende Totalabzug aller Koalitionstruppen aus dem Land verhindert werden.

Die Ratifizierung des bilateralen Sicherheitsabkommens (Bilateral Security Agreement, BSA) mit den USA und des daraus resultierenden NATO-Stationierungsabkommens (Status of Force Agreement, SOFA) durch die afghanische Regierung war überfällig, weil Ghanis Vorgänger Hamid Karsai monatelang seine Unterschrift und somit Rechtssicherheit für eine ISAF-Folgemission verweigert hatte. Ghani hatte, wie die anderen Präsidentschaftskandidaten während des Wahlkampfes auch, dem Westen eine rasche Vertragsunterzeichnung im Falle eines Wahlsieges zugesagt.

An der Zeremonie, die im afghanischen Fernsehen übertragen wurde, nahmen neben Ghani der bei der Stichwahl unterlegene Abdullah Abdullah (er ist jetzt in der neuen Regierung „Geschäftsführer“ – nach offizieller Lesart eine Art „Superpremierminister“), US-Botschafter James B. Cunningham und NATO-Botschafter Maurits R. Jochems teil. Cunningham und Jochems unterzeichneten ebenfalls die Dokumente.

Jetzt Planungssicherheit für eine weitere internationale militärische Präsenz

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kommentierte in Deutschland sichtlich erleichtert die Unterzeichnung des Sicherheits- und des NATO-Stationierungsabkommens, sind dadurch doch jetzt Planungs- und Rechtssicherheit entstanden. In Berlin sagte sie: „Ich freue mich sehr, dass mit der heutigen Unterzeichnung der beiden Abkommen die wesentlichen Voraussetzungen zum planmäßigen Beginn der ISAF-Nachfolgemission geschaffen wurden.“ Die neue afghanische Regierung habe damit unterstrichen, wie wichtig ihr eine Fortsetzung der internationalen militärischen Präsenz über das Jahr 2014 hinaus sei. Auch im Rahmen der Folgemission „Resolute Support“ sei Deutschland bereit, als sogenannte Rahmennation und als einer der größten Truppensteller im Norden des Landes besondere Verantwortung zu übernehmen, erklärte die Ministerin.

Beide Vertragswerke – bilaterales Sicherheitsabkommen und NATO-Stationierungsabkommen – sind die Voraussetzung für ein weiteres Verbleiben ausländischer Truppen in Afghanistan im Rahmen der neuen Mission, die am 1. Januar 2015 beginnen soll. BSA und SOFA regeln den offiziellen Status der ausländischen Truppen im Land und sehen unter anderem vor, dass straffällig gewordene Angehörige von „Resolute Support“ nicht in Afghanistan vor Gericht gestellt werden, sondern in ihrem Heimatland.

Deutschland voraussichtlich Rahmennation im Norden Afghanistans

Derzeit sind noch etwa 41.000 ISAF-Soldaten am Hindukusch stationiert. Aktuell stellen 48 Nationen militärisches Personal für die Kampfmission. „Resolute Support“ wird nur noch einen Ausbildungs- und Beratungsauftrag haben und lediglich rund 12.000 Mann umfassen.

Der Großteil ist vorgesehen für die Logistik, die medizinische Versorgung und auch zum Schutz der eigenen Truppen. Die afghanischen Sicherheitskräfte und Ministeriumsmitarbeiter sollen vor allem in den Bereichen Logistik, Militärplanung, Führerausbildung, rechtsstaatliches Handeln und der Benutzung von Minenräumgerät geschult und unterstützt werden. Diese Aufgabe wird voraussichtlich von etwa 1200 bis 1400 militärischen Ausbildern und Beratern wahrgenommen werden.

Die Bundesregierung hatte bereits im April vergangenen Jahres ihre grundsätzliche Bereitschaft dargelegt, etwa 800 deutsche Soldatinnen und Soldaten für eine ISAF-Folgemission stellen zu wollen. Deutschland könnte dabei für „Resolute Support“ im nordafghanischen Mazar-e Sharif und in Kabul als Rahmennation tätig werden. Voraussetzung für den Einsatz ist ein Mandat des Bundestages. Die deutsche Beteiligung und Präsenz im Norden setzt zudem voraus, dass Alliierte und Partner genügend eigene Kräfte zur Verfügung stellen und die Sicherheitslage in Afghanistan den Einsatz zulässt.

Abzug der letzten ausländischen Soldaten aus Afghanistan wohl Ende 2016

Weitere Details zu „Resolute Support“ nannte jetzt der deutsche General Hans-Lothar Domröse, Oberbefehlshaber des Allied Joint Force Command im niederländischen Brunssum. In einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt sagte er: „Unter den 12.000 Soldaten der Ausbildungsmission ,Resolute Support‘ werden auch Kampftruppen sein, die in der Lage sind, im Ernstfall die Soldaten der Internationalen Gemeinschaft zu schützen – wie zum Beispiel Kampfhubschrauber und ihre Besatzungen.“ Die neue Trainingsmission werde viel sicherer sein als der bisherige Kampfeinsatz. Die Soldaten würden sich bei „Resolute Support“ kaum noch im Gelände oder auf Straßen aufhalten, sondern überwiegend in Hauptquartieren. Aber auch hier drohten Gefahren, warnte Domröse und erinnerte an die sogenannten Insiderattacken („Green-on-Blue“-Angriffe).

Die Bundeswehr werde sich voraussichtlich mit rund 800 Kräften an „Resolute Support“ beteiligen, bestätigte auch der ranghöchste deutsche Offizier in der NATO. „Die Truppen der Internationalen Gemeinschaft werden in vier strategisch wichtigen Städten im Norden, Süden, Westen und Osten mit jeweils rund 1000 Mann stationiert sein. Die meisten Truppen werden allerdings in Kabul sein, wo der Ausbildungs- und Beratungsbedarf wegen der Ministerien und Militärakademien am größten ist.“ Etwa 200 Bundeswehrsoldaten habe man für Kabul eingeplant. Das Hauptquartier in Mazar-e Sharif werde Deutschland mit gut 600 Mann führen, zusammen mit weiteren 400 Militärangehörigen aus anderen NATO- und Partnerländern.

„Resolute Support“ soll den Planungen zufolge bis Ende 2016 dauern. Domröse gegenüber der Welt: „Nach bisherigem Stand wird es ab Anfang 2017 voraussichtlich keine Soldaten der Internationalen Gemeinschaft mehr in Afghanistan geben.“ Bislang hätten, so der General, mehr als 40 Nationen ihre Zusage für die neue Mission gegeben – mehr als 10.000 der erforderlichen 12.000 Soldaten habe man bereits zusammen.

„Ein historischer Tag im afghanisch-amerikanischen Verhältnis“

Afghanistans neuer Präsident Ashraf Ghani Ahmadzai hatte bei der feierlichen Unterzeichnung der Abkommen am 30. September noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass diese Verträge vollkommen im nationalen Interesse seines Landes seien. „Wir Afghanen und die Internationale Gemeinschaft haben mit derselben Bedrohung zu tun, deswegen verfolgen wir auch dieselben Interessen“, sagte Ghani. Auch Regierungschef Abdullah Abdullah versicherte, die Dokumente würden keinesfalls Afghanistans Interessen verletzen.

US-Präsident Barack Obama sprach in Washington nach der Ratifizierung des BSA und des SOFA von einem „historischen Tag im afghanisch-amerikanischen Verhältnis“. Die Vertragsunterzeichnung stehe gleichsam für die Einladung der neuen Regierung Afghanistans an den Westen, die in den vergangenen 13 Jahren entstandenen Beziehungen weiter zu festigen, erklärte er. Gleichzeitig ermöglichten es die nun gewonnenen sicheren Rahmenbedingungen den Koalitionstruppen, ab 2015 zwei schwierige Missionen in Afghanistan auszuführen. Erstens: Zerschlagung der Überreste von al-Qaida. Zweitens: Unterstützung der afghanischen Polizei und Armee.

Neues Kapitel in der Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften

Der scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte noch an seinem letzten Tag im Brüsseler Büro eine Presseerklärung zur Vertragsunterzeichnung in Kabul herausgeben lassen. Darin heißt es: „Ich begrüße die Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens zwischen den USA und Afghanistan und die des Stationierungsabkommens zwischen der NATO und Afghanistan. Dies schlägt zugleich ein neues Kapitel auf in der Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis, unseren Partnern und den afghanischen Sicherheitskräften.“

Ausdrücklich bedankte sich Rasmussen bei Afghanistans neuem Präsidenten Ghani und bei Regierungschef Abdullah. „Beide haben in einem für Afghanistan richtungweisenden Moment ihre Ämter angetreten. Wir werden an ihrer Seite und der Seite des afghanischen Volkes sein, um mitzuhelfen, ein sicheres, stabiles und aufblühendes Land zu erschaffen.“

Ehrgeiziger Zeitplan bis zum Beginn der neuen NATO-Mission

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte zur Unterzeichnung der Abkommen: „Jetzt ist der Weg frei für die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Afghanistan, und eine zentrale Voraussetzung für unser weiteres Engagement ist geschaffen. Der Zeitplan bis zum Beginn der NATO-Mission am 1. Januar 2015 ist ehrgeizig, aber ich bin zuversichtlich, dass wir ihn einhalten können.“

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, äußerte: „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die schnelle Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens mit den USA. Damit macht die neue afghanische Führung deutlich, dass ihr an einem weiteren Engagement der Internationalen Staatengemeinschaft in ihrem Land gelegen ist. Die Unterzeichnung ist die Voraussetzung dafür, dass auch Deutschland nach dem Auslaufen der ISAF-Mission am 31. Dezember dieses Jahres in Afghanistan aktiv bleiben kann.“

Demokratischer Machtwechsel im Land am Hindukusch mit Beigeschmack

Der Nachfolger von Karsai, Ashraf Ghani Ahmadzai, hatte die Stichwahl um das Präsidentenamt in Afghanistan im Juni gegen Ex-Außenminister Abdullah Abdullah nach offizieller Entscheidung der Wahlkommission gewonnen (wir berichteten). Allerdings war zuvor der Streit um mögliche Fälschungen bei der Präsidentenwahl zwischen den beiden Lagern eskaliert. Es drohte eine Spaltung des Landes unter ethnischen Vorzeichen (Abdullah wird den Tadschiken zugerechnet, Ghani den Paschtunen). In der Tat erstaunt das Ergebnis der Stichwahl. Hatte Abdullah in der ersten Runde noch 45 Prozent der Stimmen erhalten und sein Kontrahent lediglich 31,5 Prozent, so brachte die Stichwahl für Abdullah nur noch 43,6 Prozent, für Ghani jedoch 56,4 Prozent.

Unter Vermittlung der Vereinigten Staaten einigten sich die beiden Bewerber für das höchste Amt Afghanistans später schließlich auf die Bildung einer Einheitsregierung. Es ist der erste demokratische Machtwechsel in dem Land am Hindukusch.

Ghani, geboren am 12. Februar 1949 in der Provinz Logar, studierte Kulturanthropologie im libanesischen Beirut und in New York. In den Jahren 1991 bis 2001 arbeitete er für die Weltbank. Im Jahr 2002 war er Chefberater von Präsident Hamid Karzai, von 2002 bis 2004 auch Finanzminister Afghanistans. In den Jahren 2004 bis 2006 hatte Ghani als Kanzler die Universität Kabul geleitet.


Zu unserer Bildauswahl:
1. und 2. Der Hohe Zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, Botschafter Maurits R. Jochems, unterzeichnete am 30. September 2014 im Präsidentenpalast in Kabul das Stationierungsabkommen zwischen dem Bündnis und Afghanistan. Rechts von Jochems bei der Unterzeichnung der Dokumente der Sicherheitsberater des neuen afghanischen Staatspräsidenten, Mohammad Hanif Atmar. Stehend (zweiter von links) Abdullah Abdullah, rechts neben ihm Präsident Ashraf Ghani Ahmadzai.
(Fotos: NATO)

3. Der scheidende NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen äußerte sich zu den Abkommen in einer Presseerklärung. Es war einer seiner letzten Amtshandlungen vor Übergabe der Geschäfte in Brüssel an seinen Nachfolger Jens Stoltenberg.
(Foto: NATO)

4. Besuch von Ghani in der Forward Operating Base Farah am 3. Mai 2012.
(Foto: Benjamin Addison/U.S. Navy)

5. Vereidigung des neuen Staatspräsidenten Afghanistans am 29. September 2014.
(Foto: Fardin Waezi/UNAMA)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens am 30. September 2014 durch den US-Botschafter in Afghanistan, James B. Cunningham.
(Foto: NATO)


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