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Schrobenhausen. Thomas Gottschild, Chef des Rüstungskonzerns MBDA Deutschland GmbH, hat die Bundesregierung aufgefordert, die Raketenabwehr der Bundeswehr rasch zu verbessern. „Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass Luftverteidigung unabdingbar ist“, sagte Gottschild dem Tagesspiegel (Mittwochsausgabe, 9. März). Deutschland brauche eine „potente, bodengebundene Luftverteidigung“, sonst sei man Angriffen, wie Russland sie zuletzt gezeigt habe, schutzlos ausgeliefert.

Das Unternehmen, das seinen Sitz im oberbayerischen Schrobenhausen hat, warnt bereits seit Jahren vor der Bedrohung durch russische Raketen. In einem Interview mit dem Tagesspiegel 2019 hatte Gottschild dargelegt: „Wladimir Putin hat Waffensysteme vorgestellt, die herkömmliche Abwehrsysteme nicht abfangen können.“ Deshalb habe MBDA auch seit Jahren daran gearbeitet, der Bundeswehr ein neues taktisches Luftverteidigungssystem – kurz TLVS – zu liefern. Doch 2020 entschied sich die damalige Bundesregierung gegen das Projekt (zum Thema „TLVS auf MEADS-Basis“ siehe unter anderem hier).

Aktuell nutzt die Bundeswehr bei der Raketenabwehr das Patriot-System des US-Herstellers Raytheon. Experten kritisieren, dass Patriot allerdings schon in die Jahre gekommen und nicht mehr auf dem Stand der Zeit sei.

Offene Systemarchitektur mit Patriot als integralem Bestandteil

Der Geschäftsführer von MBDA Deutschland schlägt vor, Deutschlands Raketenabwehr in drei Schritten nachhaltig zu verbessern. Dazu Gottschild: „Im ersten Schritt sollte das bestehende Patriot-System möglichst schnell gestärkt werden, hier geht es um die Quantität.“ Im zweiten Schritt müsse die Leistungsfähigkeit von Patriot verbessert werden. „Und mittelfristig im dritten Schritt ist es notwendig, darauf aufbauend ein neues taktisches Luftverteidigungssystem einzuführen.“

Für Gottschild ist eine Kombination der Systeme die logische Konsequenz aus der akuten Lage. „TLVS war als Gesamtsystem gedacht, das in den 2030er-Jahren schlüsselfertig geliefert werden sollte. Das ist nicht mehr adäquat, da ein verbesserter Schutz schnell benötigt wird“, so der MBDA-Chef. Er möchte daher „inkrementell vorgehen“. „Patriot wurde entwickelt, als es die aktuelle Bedrohungslage durch diese russischen Raketen noch nicht gab. Mit einer Weiterentwicklung zu TLVS sind wir in der Lage, auch moderne Bedrohungen abzuwehren.“

Der erste Schritt, die quantitative Aufrüstung von Patriot, wäre nach Gottschilds Vorstellungen innerhalb von zwei Jahren möglich. Die Einbringung neuer Fähigkeiten in den Folgejahren danach. Ihm schwebt vor: „Unser TLVS könnte man parallel entwickeln und damit auch innerhalb der nächsten Jahre einführen. Wichtig ist, dass wir eine offene Systemarchitektur mit Patriot als integralem Bestandteil entwickeln.“

Auch das Budget – mit rund acht Milliarden Euro ein Hauptgrund für das Aus des MEADS-Projekts – könnte nach Ansicht des Rüstungsmanagers flexibel gestaltet werden. „Weil jede einzelne Ausbaustufe steuerbar ist, kann man hier Schritt für Schritt planen und das Projekt gegebenenfalls an das Budget anpassen“, so die Erläuterung.

Schnellere Entscheidungen und ein schnelleres Beschaffungswesen

Aus Sicht von Gottschild muss es angesichts der plötzlich sichtbar gewordenen Bedrohung durch Russland auf jeden Fall schnell gehen: „Um die Schlagkraft der Bundeswehr rasch zu erhöhen, brauchen wir schnellere Entscheidungen und ein schnelleres Beschaffungswesen.“ Genauso werde man auf Industrieseite nachsteuern müssen, um die dortigen Prozesse zu beschleunigen.

Zudem fordert er eine Neubewertung von Rüstungsinvestitionen. Gottschild erinnerte daran, dass in Brüssel gerade über die Klassifizierung von Investments nach Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit verhandelt werde, an deren Ende eine Taxonomie stehen soll. „Es zeigt sich momentan sehr deutlich, dass nur eine gut aufgestellte Verteidigungspolitik ein Leben in Stabilität, Sicherheit und Wohlstand garantieren kann“, mahnt Gottschild. „Damit schaffen wir überhaupt erst die Grundlage für Nachhaltigkeit in Deutschland und Europa.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Heimat von MBDA Deutschland ist der oberbayerische Standort Schrobenhausen.
(Foto: MBDA Deutschland)

2. MBDA-Chef Thomas Gottschild will „inkrementell vorgehen“ – dazu soll nach seinen Vorstellungen in einem ersten Schritt die quantitative Aufrüstung von Patriot erfolgen. Die Aufnahme zeigt einen Patriot-Launcher auf dem Gelände von MBDA.
(Foto: MBDA Deutschland)

Kleines Beitragsbild: Ursprünglich wollte die Bundeswehr bis zum Jahr 2025 ein neues taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS) auf MEADS-Basis beschaffen (MEADS = Medium Extended Air Defense System). Es sollte den bislang genutzten Klassiker „Patriot“ des US-Konzerns Raytheon ablösen. Anlässlich der Annexion der Krim und der Russland-Ukraine-Krise 2014 hatte bereits der damalige SPD-Wehrexperte Rainer Arnold in einem Positionspapier gefordert, „die Luftverteidigung als besondere deutsche Schwerpunktfähigkeit zu sichern und unter Rückgriff auf die Entwicklungsergebnisse MEADS zukunftsfähig zu machen […].“ In der sogenannten „Bereinigungssitzung“ des Bundestages am 26. November 2020 war das taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) – die auf MEADS basierende modernisierte Lösung zur deutschen Raketenabwehr –nur noch mit einem geringen Sockelbetrag vertreten. Danach war ein Vertragsschluss zur Realisierung TLVS im Jahr 2021 nicht mehr zu erwarten. MBDA Deutschland kündigte daraufhin Umstrukturierungen an. Im Dezember 2020 wurde auch bekannt, dass die kalkulierten Beschaffungskosten von anfangs vier auf nunmehr rund zehn Milliarden Euro (MBDA spricht von rund acht Milliarden Euro) angestiegen waren. Die hohen Summen wurden als ein möglicher Grund genannt, warum das Verteidigungsministerium jetzt keine Gelder mehr für die TLVS-Beschaffung eingeplant hatte. Die Aufnahme zeigt die MEADS-Komponenten als Basis des TLVS.
(Foto: MBDA Deutschland)


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