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Berlin. Der Berliner Senat ist mit einem Amtshilfeersuchen bei der Bundeswehr, die Stadt bei der Aufnahme und Verteilung ukrainischer Geflüchteter zu unterstützen, vorerst gescheitert. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sieht die Hauptstadt an der Grenze ihrer Kapazitäten angekommen. Pro Tag waren hier zuletzt mehr als 10.000 Menschen aus der Ukraine eingetroffen. Bei einem Besuch des Messegeländes, wo in einer großen Halle kurzfristig rund 400 Geflüchtete untergebracht worden sind, sagte die SPD-Politikerin am Freitag (11. März): Wir werden schlicht vom Geschehen überholt.“ Am Vortag hatte Giffey wegen der Flüchtlingssituation offiziell um Amtshilfe der Bundeswehr bitten lassen. Hierzu gab es öffentlich laut geäußerte Ablehnung …

Das Verteidigungsministerium äußerte sich bislang zu dem Berliner Hilfeersuchen zurückhaltend. Die Bundeswehr sei zwar zur Unterstützung bereit, sagte ein Sprecher. Jedoch seien die Soldaten derzeit zugleich auch stärker hinsichtlich ihres Kernauftrages gefordert. Damit spielte der Sprecher auf die aktuelle sicherheitspolitische Lage in Europa, bedingt durch den Krieg Russlands gegen und in der Ukraine, an.

Ein deutliches „Nein!“ kam von der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Eva Högl. Sie positionierte sich klar gegen einen möglichen Einsatz der Bundeswehr bei der Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine und wies darauf hin, dass die Bundeswehrangehörigen „dringend für die NATO-Missionen in Osteuropa“ gebraucht würden. Im „Interview der Woche“ des SWR sagte sie am Freitag (11. März): „Die Bundeswehr ist kein Mädchen für alles.“ Der Kernauftrag der Truppe heiße „Verteidigung“. Die Bundeswehr habe 2015 und 2016 enorm dabei geholfen, die viele Geflüchteten aus Syrien zu versorgen. Mit Blick auf die Lage in der Ukraine und die lange Amtshilfe in der Pandemie „müssten jetzt auch mal andere ran“, forderte Högl.

Die Wehrbeauftragte kritisierte auch, dass immer noch etwa 4500 Kräfte der Bundeswehr im Corona-Einsatz seien. „Sie helfen in Krankenhäusern, Impfzentren und Gesundheitsämtern – diese Amtshilfe muss enden“, so die SPD-Politikerin. Sie rügte auch, dass etliche Landkreise, die Amtshilfe bei der Bundewehr angefordert hätten, die vergangenen beiden Jahren nicht gut genug genutzt hätten, um eigenes Personal im Pandemie-Management aufzustellen.

Bundeswehr ist keinesfalls ein „erweitertes Hilfswerk“

Eine deutliche Absage war bereits am Donnerstag (10. März) von der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, gekommen. Auf Twitter hatte sie sich an Berlins Regierende Bürgermeisterin gewandt: „Nein, Franziska Giffey. Damit muss endlich mal Schluss sein.“ Die Bundeswehr sei kein „erweitertes Hilfswerk“. Gerade jetzt würde die Truppe für ihre Kernaufgaben gebraucht. Die FDP-Bundestagsabgeordnete riet: „Nicht nur Berlin muss mal aus Gemütlichkeit rauskommen. Für so was gibt es unter anderem zivilen Katastrophenschutz.“

In diesem Zusammenhang erinnerte jetzt die Berliner Morgenpost daran: „Schon im ersten Jahr der Corona-Pandemie halfen Bundeswehrsoldaten in Berlin aus, weil die Gesundheitsämter völlig überfordert waren und mit der Kontaktverfolgung nicht mehr hinterherkamen. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg leistete es sich damals, im Oktober 2020, sogar, die Unterstützung der Soldaten abzulehnen – mit dem Verweis auf den deutschen Militarismus –, um sie wenig später doch in Anspruch zu nehmen, weil ohne die Soldaten nichts ging.“ (Wir berichteten.)

Am Ende steht eine qualitativ unbefriedigende Einsatzbereitschaftslage

Hören wir abschließend noch dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, Oberst André Wüstner, zu. Er äußerte sich am heutigen Sonntag im Studio des Nachrichtensenders WeLT zu der Thematik „Amtshilfe“. Zur Anfrage des Berliner Senats unter Franziska Giffey erklärte Wüstner: „Wir sind jetzt seit Jahren schon in der Amtshilfe. Das begann eigentlich bereits 2015 mit der damaligen Flüchtlingskrise. Dann hatten wir die Pandemie, dazu die Flutkatastrophe.“ Realität sei nun aber, dass die Bundeswehr durch diese Amtshilfe mehr oder weniger seit Jahren von ihrem Kernauftrag „abgelenkt“ werde und dadurch „die schlechteste qualitative Einsatzbereitschaftslage“ habe. Dies gehe so nicht weiter, mahnte Wüstner.

Er fuhr fort: „Deswegen ist unsere Forderung, dass Bund und Länder erstmal klassisch ihre Hausaufgaben machen. Natürlich ist klar, sollte es nicht weitergehen, dass dann auch irgendwann wieder die Bundeswehr in Verantwortung wird treten müssen. Aber im Kern doch erst als Akteur in der zweiten und dritten Reihe. Warum eine Amtshilfe jetzt schon gleich zu Beginn wieder ausgelöst werden soll, das erschließt sich mir einfach nicht. Da haben einige ihre Aufgaben nicht erledigt.“

An anderer Stelle seines Auftritts in der Sendung WeLT-Talk erklärte der Bundesvorsitzende: „Wir haben die letzten Jahre viele Bundeswehrangehörige im Corona-Einsatz gehabt – auch im Wechsel. Und diejenigen, die da im Hilfseinsatz waren, standen natürlich nicht für die übliche Ausbildung oder den klassischen Dienstbetrieb zur Verfügung. Diese Soldatinnen und Soldaten gehören jetzt mehr oder weniger zu den Kräften, die wir an der Ostflanke brauchen.“ Wüstner machte zum Schluss unmissverständlich klar: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Punkt! Daraus abgeleitet gibt es verschiedene Aufgaben, um der Politik Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Und dies ist der Kernauftrag. Der Kernauftrag ist nicht Amtshilfe. Das muss endlich verstanden werden.“

Redaktioneller NACHBRENNER

Wie der Tagesspiegel am heutigen Mittwoch (16. März) berichtete, will die Bundeswehr laut Senat ab dem morgigen Donnerstag nun doch mit 80 Soldaten unterstützend bei der Flüchtlingsaufnahme helfen. Eine Senatssprecherin teilte mit, dass die Soldaten „für eine begrenzte Zeit in Tegel“ eingesetzt werden sollen. Sie werden voraussichtlich ab Donnerstag von Mitarbeitern des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) eingearbeitet. Über die Länge des Einsatzes ist noch nichts bekannt.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hatte dem Tagesspiegel noch am heutigen Mittwochvormittag gesagt, er könne bislang nicht bestätigen, dass das Berliner Amtshilfeersuchen und der Einsatz von 80 Soldaten genehmigt worden seien.

Auch das Berliner Abendblatt meldete heute: „Die Bundeswehr unterstützt das Land Berlin in dem neuen Ankunftszentrum für ukrainische Kriegsflüchtlinge im früheren Flughafen Tegel und hat angekündigt, 80 Soldaten abzukommandieren.“ Das Ankunftszentrum soll zum Ende der Woche in Betrieb gehen. Geplant ist, dort täglich bis zu 10.000 ankommende Geflüchtete aus der Ukraine zu registrieren und gleich verbindlich zu entscheiden, in welche Bundesländer sie weiterreisen.

Wie Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, heute im Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses bekanntgab, kommen derzeit mehr als 10.000 ukrainische Flüchtlinge in der Hauptstadt an. Rund 1000 Personen bringe das Land Berlin jeden Tag vorübergehend selbst unter.


Zu unserem Bildmaterial: Oberst André Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes, am 13. März 2022 in der Sendung WeLT-Talk zum Dauerbrenner „Amtshilfe“.
(Bildschirmfoto: Quelle WeLT-Talk; Bildbearbeitung: mediakompakt)


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