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Wilhelmshaven. Am heutigen Dienstag (11. Mai) verlässt das älteste Kampfschiff der Flotte, die Fregatte „Lübeck“, den Heimatstützpunkt Wilhelmshaven mit Kurs auf das Mittelmeer. Die „Lübeck“ soll sich dem ständigen maritimen NATO-Einsatzverband SNMG 2 (Standing NATO Maritime Group 2) anschließen und im Einsatzgebiet in der Ägäis den Tender „Werra“ ablösen, der dann die Heimreise nach Kiel antreten wird. Hauptaufgabe der Fregatte: die Seeraumüberwachung in enger Zusammenarbeit mit türkischer und griechischer Küstenwache und der europäischen Agentur Frontex. Frontex und Frontex-Chef Fabrice Leggeri stehen seit einiger Zeit massiv in der Kritik …

Fregattenkapitän Kai Röckel, Kommandant des Schiffes, sagte in Wilhelmshaven: „Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen pandemischen Lage sind die Gedanken der Besatzung jetzt natürlich vor allem bei den Angehörigen zu Hause.“ Auch die mögliche Lage im Einsatzgebiet würde die Männer und Frauen an Bord der „Lübeck“ sehr beschäftigen, verriet Röckel, der erst am 25. Februar das Kommando von seinem Vorgänger, Fregattenkapitän Mathias Rix, übernommen hatte (der 42 Jahre alte Röckel war vor seiner aktuellen Verwendung Dezernatsleiter „Einsatzplanung und Einsatzsteuerung“ im Stab der Einsatzflottille 2 gewesen).

Der Kommandant der letzten aktiven Vertreterin der „Bremen“-Klasse berichtete weiter: „Schon die Vorbereitungen standen vor allem unter dem Zeichen der Kontaktvermeidung und Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Dies hat die Vorbereitung – insbesondere auf diesem engen Schiff – nicht immer einfach gemacht hat. Mit Vorfreude und dem nötigen Respekt vor der Aufgabe schaut die Besatzung nun allerdings auf die Zeit in der Ägäis.“

Nach derzeitigem Planungsstand 122 Tage fern der Heimat

In der Ägäis erwartet Besatzung und Schiff eine enge Zusammenarbeit mit der türkischen und griechischen Küstenwache sowie mit Frontex, der Agentur der Europäischen Union für die Grenz- und Küstenwache. Hauptaufgabe der Fregatte wird nach Auskunft der Deutschen Marine die Seeraumüberwachung sein.

Aufgrund der Corona-Pandemie wird dieser Einsatz für die Besatzung einige einschneidende Entbehrungen mit sich bringen. Dazu Kommandant Röckel: „Während des Einsatzzeitraums ist im Augenblick kein Landgang geplant. Bei einer vollbesetzten Fregatte der ,Bremen‘-Klasse ist dies natürlich eine Herausforderung für alle, auf engstem Raum zusammenarbeiten und zusammenleben zu müssen. Trotzdem ist die Besatzung stolz, mit dem ältesten Kampfschiff der Flotte die Einsatzbereitschaft für die bevorstehende Verpflichtung aufrechterhalten zu können.“ Die Entwicklung im Einsatzgebiet könne sich jederzeit dynamisch gestalten und alle Besonderheiten und Erwartungen sich regelmäßig ändern, so der Marineoffizier. Darauf sei man vorbereitet.

Die „Lübeck“ wird nach derzeitigem Planungsstand für 122 Tage abwesend sein und voraussichtlich Mitte September wieder in Wilhelmshaven einlaufen.

Embargokontrollen, Evakuierungen, Piratenjagd und Seenotrettung

Die Fregatte „Lübeck“ ist das letzte aktive Schiff der einst acht Einheiten umfassenden „Bremen“-Klasse unserer Marine. Zu dieser Klasse 122 gehörten: die „Bremen“ F207 (Außerdienststellung 28. März 2014), die „Niedersachsen“ F208 (26. Juni 2015), die „Rheinland-Pfalz“ F209 (22. März 2013), die „Emden“ F210 (29. November 2013), die „Köln“ F211 (31. Juli 2012), die „Karlsruhe“ F212 (16. Juni 2017) und die „Augsburg“ F213 (18. Dezember 2019). Die „Lübeck“ F214 wird voraussichtlich 2022 außer Dienst gestellt (wir haben in der Vergangenheit immer mal wieder über die Fregatten berichtet, zuletzt am 17. September 2020).

Konzipiert und gebaut am Ende des Kalten Krieges, war die Hauptfähigkeit der „Bremen“-Klasse (beziehungsweise ist die Hauptfähigkeit der „Lübeck“) die Uboot-Jagd in Nordsee und Nordatlantik. Erstmals in der Marine bekamen die Fregatte „Lübeck“ und ihre Schwesterschiffe der Klasse F122 dafür Bordhubschrauber – heute ein Standard für alle Fregattenklassen.

Doch die Fregatte „Lübeck“ ist in der Lage, auch andere Aufgaben zu übernehmen. Sie kann sich und andere Schiffe in der Nähe mit ihren Flugabwehrraketen des Typs NATO SeaSparrow gegen feindliche Flugzeuge und Raketen verteidigen. Mit ihren Seezielflugkörpern Harpoon kann sie gegnerische Kriegsschiffe angreifen. Im Laufe der Jahre wurde die Fregatte „Lübeck“ mehrfach mit neuen Systemen nachgerüstet, darunter mit den heute üblichen Marineleichtgeschützen und dem Flugabwehrsystem RAM (Rolling Airframe Missile).

Eine weitere Besonderheit der „122er“ war und ist der sogenannten CODOG-Antrieb (CODOG = Combined Diesel engine or Gas turbine). Bei diesem System kann die Besatzung Dieselmotoren für Marschfahrt oder Gasturbinen für Höchstgeschwindigkeit auf die Antriebswellen schalten.

Die Fregatte „Lübeck“ und ihre inzwischen außer Dienst gestellten sieben Schwesterschiffe haben sich in den Jahren nach 1990 vor allem in den Auslandseinsätzen der Marine außerordentlich bewährt. Neben der Teilnahme an Manövern haben sie erfolgreich an Embargokontrollen, Evakuierungen, Piratenjagd und Seenotrettungen in Mittelmeer und Indischem Ozean teilgenommen.


Hintergrund                           

Die Agentur Frontex wurde 2004 mit dem Ziel gegründet, die Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Länder beim Schutz der Außengrenzen des EU-Raumes des freien Verkehrs zu unterstützen. Frontex wird aus dem EU-Haushalt und durch Beiträge der assoziierten Schengen-Länder finanziert. Bis Ende dieses Jahres soll die Agentur rund 1000 Mitarbeiter haben. Fast ein Viertel davon werden von den Mitgliedstaaten abgeordnet und kehren nach Ende ihrer Dienstzeit bei Frontex in den nationalen Dienst zurück.

Direktor der Agentur ist der französische Verwaltungsbeamte Fabrice Leggeri. Er steht derzeit, so wie Frontex selbst, wegen möglichem Fehlverhalten massiv unter Druck. Die Vorwürfe drehen sich unter anderem um Menschenrechtsverletzungen. Weitere Vorwürfe gegen Leggeri betreffen dessen zweifelhaften Führungsstil. So berichtete im Januar die österreichische Tageszeitung DER STANDARD, dieser Führungsstil habe zu einer auffälligen Personalfluktuation bei Frontex geführt. Es gebe Beschwerden über Mobbing und Günstlingswirtschaft, Franzosen würden bevorzugt behandelt.

Das Europaparlament hatte die Frontex-Leitung bereits aufgefordert, unter anderem auch die Verwendung öffentlicher Gelder zu klären und zu erklären. Ebenso erhoben die Parlamentarier in einem Entschließungsentwurf unter anderem den Vorwurf, Frontex habe sich an der illegalen Zurückweisung von Migranten und damit einhergehenden Grundrechtsverletzungen beteiligt.

Im Oktober 2020 hatte das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL gemeinsam mit anderen Medien darüber berichtet, dass Frontex in der Ägäis in illegale Pushbacks von Flüchtlingsbooten verwickelt sei. In einem SPIEGEL-Beitrag vom 17. April dieses Jahres wird der Vorwurf erneut erhoben: „Vor Griechenlands Küste stoppen die europäischen Einsatzkräfte Flüchtlingsboote und übergeben sie der griechischen Küstenwache. Die schleppt die Menschen systematisch zurück in türkische Gewässer. Oft werden die Menschen auf aufblasbaren Rettungsinseln im Meer ausgesetzt, ohne Chance, aus eigener Kraft die Küste zu erreichen. Die Geflüchteten harren dann oft stundenlang in Todesangst auf offenem Meer aus.“ Den Enthüllungen zufolge soll Frontex-Chef Leggeri von den Rechtsbrüchen gewusst und am Schluss verharmlost haben. Dem Europaparlament soll der Franzose – so der SPIEGEL – sogar „über Monate diese Pushbacks verschwiegen“ haben.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat am Dienstag vergangener Woche (4. Mai) ein Positionspapier beschlossen, in dem für Frontex eine tiefgreifende Reform und die Ablösung Leggeris gefordert wird. In dem Papier, das dem bundeswehr-journal vorliegt, warnen die Sozialdemokraten: „Frontex benötigt als europäische Agentur ein stabiles Vertrauen, auf der Basis von Recht und Gesetz und in unmissverständlichem Einklang mit seinem Auftrag zu handeln. Dieses ist auf das Schwerste erschüttert.“

Unter dem Punkt „Uneingeschränkte Achtung der Grundrechte“ pochen die SPD-Bundestagsabgeordneten darauf: „Zur Sicherung der Außengrenze gehört, dass ein Zugang zum europäischen Asylsystem gewährleistet wird. Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung und gewähren denjenigen Schutz, die vor politischer Verfolgung oder vor Kriegen und Konflikten fliehen und ihr Leben bei uns in Sicherheit bringen wollen. Der uneingeschränkte Schutz von Grundrechten gehört zum europäischen Selbstverständnis, dies muss auch in die Organisationskultur von Frontex eingehen. Überall wo die Schutzsuchenden ankommen, sind die Einhaltung humanitärer Standards wie Unterbringung und Versorgung nach EU-Recht zu garantieren, rechtsstaatliche und zügige Verfahren zu gewährleisten und eine faire Verteilung zu erreichen. Schutzbedürftige müssen unmittelbar bei der Ankunft identifiziert und in Sicherheit gebracht werden.“

Es ist ein glasklares Misstrauensvotum, das die SPD-Bundestagsfraktion am Schluss ausspricht. Sie verlangt: „Es braucht einen Neuanfang mit einer Persönlichkeit an der Spitze, die verloren gegangenes Vertrauen wieder aufbauen kann. Leggeri leitet die Agentur seit 2015 und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Grundrechte nicht genügend beachtet werden.“

Redaktioneller NACHBRENNER

Das Klammern Fabrice Leggeris an seinem Frontex-Chefsessel hat offenbar jetzt ein Ende. Gut ein Jahr nach Veröffentlichung unseres Beitrages gab nun am 29. April 2022 das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL bekannt, dass der Franzose intern seinen Rücktritt angekündigt hat. In einem Schreiben vom 28. April an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates habe Leggeri darum gebeten, sein Rücktrittsgesuch anzunehmen, so der SPIEGEL, der aus dem Brief des Frontex-Chefs zitierte. Am nächsten Tag, Freitag den 29. April, habe der Verwaltungsrat das Rücktrittsersuchen akzeptiert.

Das Magazin schreibt in seinem Beitrag unter anderem: „Leggeri hat die Agentur [Frontex] seit 2015 geführt. In seiner Amtszeit entwickelte sie sich von einer kleinen EU-Behörde, die kaum jemand kannte, zu einer riesigen Organisation, in der manche den Vorläufer einer europäischen Armee sehen. Schon bald sollen tausende Frontex-Beamten mit eigener Uniform und Waffen an den Grenzen patrouillieren. Das Budget der Agentur wuchs immer weiter, inzwischen liegt es bei mehr als 750 Millionen Euro im Jahr.“

Leggeri habe seine Macht vor allem dafür eingesetzt, um die Flüchtlingszahlen immer weiter zu reduzieren, erklärte der SPIEGEL am Schluss. In den letzten Monaten habe der Behördenleiter zudem darauf hingearbeitet, Pushbacks zu normalisieren. Immer wieder habe Leggeri von einer „hybriden Bedrohung“ gesprochen, um diese „indirekt zu rechtfertigen“. Das Fazit des Autorenteams Giorgos Christides, Steffen Lüdke und Maximilian Popp: „Unter Leggeri nahm das Ansehen der Grenzschutzagentur jeden Tag weiteren Schaden. Darüber ist er nun gestürzt.“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Fregatte F214 „Lübeck“ im Oktober 2020 mit angetretener Besatzung beim Seemanöver „Vision“ im Skagerrak.
(Foto: Marcus Mohr/Bundeswehr)

2. Fregattenkapitän Kai Röckel, Kommandant der Fregatte „Lübeck“, auf der Back.
(Foto: Leon Rodewald/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: T-Shirt mit „Lübeck“-Motiven.
(Foto: nr)


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