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Berlin. Im Jahr 2017 konnten insgesamt 111.527 Personen vor der libyschen Küste durch die europäische Operation „Sophia“, durch die Frontex-Mission, durch die italienische Marine und italienische Küstenwache, durch humanitäre Hilfsorganisationen sowie durch private Handelsschiffe aus Seenot gerettet werden. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung vom 21. März auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor. Für das Jahr 2016 betrug die Zahl der Geretteten 169.144, für das Jahr 2015 nach Regierungsangaben 146.053. Mittlerweile mehren sich die Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen in Libyen. Ein bislang unveröffentlichter Report der Vereinten Nationen erhebt laut ARD-Magazin „Monitor“ schwere Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte der libyschen Einheitsregierung. Sie sollen an Folterungen, Menschenhandel und willkürlichen Verhaftungen von Flüchtlingen beteiligt sein.

Zunächst zu den Zahlen der Bundesregierung zur Seenotrettung. EU NAVFOR Med – Operation „Sophia“, Frontex-Kräfte (Frontex = Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache), Einheiten unter italienischer Flagge, Hilfsorganisationen und Handelsschiffe halfen demnach in den Jahren 2015 bis einschließlich 2017 fast einer halben Million Bootsflüchtlinge, die in den Gewässern vor Libyen in Bedrängnis geraten waren.

Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden im Jahr 2016 etwa 14.300 Personen und im Jahr 2017 etwa 21.500 Personen durch libysche Kräfte geborgen. Für das Jahr 2015 liegen über libysche Rettungsaktionen im Mittelmeer keine Erkenntnisse vor.

Deutsche Marine rettete seit Mai 2015 rund 22.000 Menschen aus Seenot

Von Einheiten der EU-Operation „Sophia“ wurden im Jahr 2015 insgesamt 23.885 Menschen vor der libyschen Küste aus Seenot gerettet, 2016 waren es 22.885 Menschen gewesen und im vergangenen Jahr 10.668 (gesamt 57.438).

Die Fragesteller hatten die Bundesregierung auch auf ein Rechercheergebnis der Wochenzeitung DIE ZEIT hingewiesen, wonach „deutsche Marineschiffe im Mittelmeer immer weniger Flüchtlinge aus Seenot gerettet [haben]“. Im Jahr 2015 seien es noch mehr als 10.500 Menschen gewesen, 2016 dann 8572, im vergangenen Jahr bis November lediglich noch 2839 (gesamt 21.911). Die Bundesregierung bestätigte diese Angaben in ihrer Antwort an Bündnis 90/Die Grünen.

Aufklärung von Schleusernetzwerken im Mittelmeerraum

Die deutsche Marine beteiligt sich momentan mit ihrer Fregatte „Sachsen“ am Einsatz der Europäer im Mittelmeer. Das Schiff unter Kommandant Mirko Wilcken hatte am 5. Januar den Heimatstützpunkt Wilhelmshaven verlassen. Vor Ort hatte die „Sachsen“ dann die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ abgelöst.

Kernauftrag der Einheiten von EU NAVFOR Med – Operation „Sophia“ ist es, zur Aufklärung von Schleusernetzwerken auf der zentralen Mittelmeerroute beizutragen. Es werden von der EU dazu Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber auf hoher See und im internationalen Luftraum zwischen der italienischen und libyschen Küste eingesetzt.

Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort an Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls mitteilte, sind seit Anfang Oktober 2015 bis jetzt 137 Personen, die der Schleusung verdächtigt wurden, durch Kräfte der europäischen Operation „Sophia“ an die italienischen Behörden übergeben worden. Bundeswehrangehörige dürfen im Einsatzgebiet keine Festnahmen oder Verhaftungen vornehmen, weil diese nicht Bestandteil des Mandats sind.

Deutschland beteiligt sich seit Juni 2015 durchgehend an der maritimen Operation, die nach einem somalischen Mädchen benannt wurde, das am 24. August 2015 an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ zur Welt kam. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte den Einsatz am 9. Oktober 2015 mit der Resolution 2240 (2015) mandatiert. Am 25. Juli vergangenen Jahres erst hat der Rat der Europäischen Union die Operation bis zum 31. Dezember 2018 verlängert. Das Mandat des Bundestages für die Beteiligung der Bundeswehr an dieser Auslandsmission gilt bis zum 30. Juni 2018.

Europäisches Grenzüberwachungssystem Eurosur

Um die illegale Migration über das Mittelmeer weiter einzudämmen, hat die EU damit begonnen, die letzten Überwachungslücken zu schließen. Wie die Tageszeitung Rheinische Post am Freitag vergangener Woche (6. April) berichtete, soll Libyen „so bald wie möglich“ an das satellitengestützte europäische Grenzüberwachungssystem Eurosur angebunden werden. Dies habe die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auf Anfrage der Linken im Europaparlament mitgeteilt. Eurosur war im Dezember 2013 gestartet worden.

Ziel sei es, so zitiert die Rheinische Post Mogherini weiter, „die Kapazitäten der Behörden nordafrikanischer Staaten durch Ausbau ihrer Grenzüberwachungssysteme zu stärken, damit sie gegen irreguläre Migration und illegalen Handel vorgehen können“. Nach einem Ausschreibungsverfahren solle die entsprechende Ausrüstung bereitgestellt werden. Libyen sei dann mit den Koordinierungsstellen in Italien, Malta, Griechenland, Zypern, Frankreich, Spanien und Portugal verbunden, „damit Grenz- und Küstenwacheinsätze in der Region effizienter verlaufen“, so die EU-Außenbeauftragte.

Die Europaabgeordnete der Linken Sabine Lösing verwies in dem Beitrag der Düsseldorfer Tageszeitung darauf, dass die libysche Küstenwache „brutal gegen Geflüchtete und private Seenotretter“ vorgehe.

Willkürliche Verhaftungen, Folterungen und Menschenhandel

Libyen ist eines der Haupttransitländer für Flüchtlinge aus Afrika auf ihrem Weg nach Europa. Das Land wird in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert. Bereits im August vergangenen Jahres hatte die globale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam über das Schicksal der aus der libyschen Hölle entkommenen Menschen berichtet (siehe hier). Laut den Recherchen von Oxfam gehören schwerste Misshandlungen, sexuelle Übergriffe und sklavenähnliche Verhältnisse zu den Lebensumständen der in Libyen gestrandeten Migranten.

Am 15. März erst berichtete das ARD-Politmagazin „Monitor“ über einen bisher unveröffentlichten Report der Vereinten Nationen, in dem schwere Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte der libyschen Einheitsregierung erhoben werden. Der Report, der dem ARD-Magazin vorliegt, spricht von Folterungen, Menschenhandel und willkürlichen Verhaftungen von Flüchtlingen, begangen von der Special Deterrence Force (SDF), die dem Innenministerium der Einheitsregierung unterstellt ist.

Bei der SDF handelt es sich um bewaffnete Sicherheitskräfte der libyschen Einheitsregierung, die für das Innenministerium Polizei- und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen. Darunter fallen insbesondere die Ermittlungen von Menschenhändlern und die Verhaftung illegaler Migranten. Die Einheitsregierung wird von der Bundesregierung unterstützt und ist Partner der Europäischen Union im Kampf gegen illegale Migration über die sogenannte Mittelmeerroute.

Die EU-Direktorin von Amnesty International, Iverna McGowan, hält es für „äußerst besorgniserregend, dass diese Abteilung, die für die ,illegale Migration‘ zuständig ist, direkt von der EU und durch die Initiativen europäischer Regierungen ausgebildet und in anderen Formen unterstützt wird“. Über diese „Komplizenschaft“ sei man „tief beunruhigt“, weil Flüchtlinge „wissentlich an Akteure übergeben werden, von denen wir wissen, dass sie für Misshandlungen verantwortlich sind“, erklärte McGowan.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Rettung von Flüchtlingen aus Seenot vor Libyen durch Besatzungsangehörige des deutschen Tenders „Werra“; die Aufnahme stammt vom 5. Juli 2016.
(Foto: Deutsche Marine)

2. Gerettete an Bord der spanischen Fregatte „Numancia“ am 27. Januar 2016.
(Foto: EU NAVFOR Med)

Kleines Beitragsbild: Kräfte der europäischen Marineoperation „Sophia“ vor der Durchsuchung eines verdächtigen Bootes vor der libyschen Küste; die Aufnahme wurde am 31. Januar 2017 gemacht.
(Foto: EU NAVFOR Med)


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