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Berlin/Genf (Schweiz). Afrikanische Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa erleben Gewalt, Zwangsarbeit und Folter. Die globale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam hat Geflüchtete interviewt, die aus Libyen nach Sizilien entkommen sind. Aus den Aussagen von 158 Menschen habe sich „ein dramatisches Bild der Lage“ ergeben, so Oxfam. Schwerste Misshandlungen, sexuelle Übergriffe und sklavenähnliche Verhältnisse gehörten demnach zum Alltag der Flüchtlinge, schreibt die Organisation. Der am 9. August veröffentlichte Bericht „You aren’t human any more“ („Ihr seit keine menschlichen Wesen mehr“) wurde von Oxfam gemeinsam mit den italienischen Partnerorganisationen Borderline Sicilia und Medici per i Diritti Umani/Ärzte für Menschenrechte erstellt.

Dem Bericht zufolge haben nahezu alle befragten Frauen sexuelle Gewalt erlebt. Eine 28-Jährige aus Nigeria beispielsweise gab gegenüber den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen zu Protokoll, dass sie fünf Monate lang zusammen mit ihrer Schwester in einem Gefängnis im libyschen Az-Zawiya an der Mittelmeerküste eingesperrt war.

Sie schilderte Oxfam: „Männer in Uniformen waren gewalttätig und mit Pistolen, Eisenstangen und Stöcken bewaffnet. Sie wollten Erpressungsgeld. Sie verprügelten jeden Teil meines Körpers und zwangen mich dazu, an sexueller Gewalt gegen die anderen Frauen mitzuwirken. Ich habe Narben an meinem Kopf und an meinem rechten Arm. Wegen der Schläge, unter denen ich litt, verlor ich mein ungeborenes Kind. Meine Schwester starb aufgrund der Misshandlungen. Ich verlor eine Menge Blut, ohne Hilfe bekommen zu haben.“

Folter und Mord offenbar an der Tagesordnung

74 Prozent der Geflüchteten sagten aus, Folter oder Mord an anderen Geflüchteten beobachtet zu haben. 84 Prozent berichteten, selbst Opfer von körperlicher Gewalt oder Folter geworden zu sein.

Ein Jugendlicher aus dem Senegal erzählte, wie er neben Leichen in einer Zelle in Tripoli eingesperrt war und von dort entkommen konnte: „Als ich gefangen wurde, schlugen sie mit einem Gewehr auf meinen Kopf. Ich fing an zu bluten und wurde bewusstlos. Als ich aufwachte, dachte ich, ich sei tot. Überall war Blut. Ich befand mich in einer Zelle mit anderen Menschen – und Leichen. Ich sah einen Soldaten, wie er einem anderen Mann die Nase zertrümmerte und ihn so sehr verprügelte, dass er sein Augenlicht verlor. Sie brachen meinen Finger und verletzten mein Bein mit einem Messer. Ich blieb dort rund drei Wochen. Eines Tages, als mich niemand beobachtete, floh ich durch das Fenster im Badezimmer.“

Verdorbenes Essen, kein Trinkwasser und wenig Platz zum Schlafen

80 Prozent der Befragten gaben zudem an, ihnen sei in Libyen regelmäßig Nahrung und Wasser verweigert worden. In dem Oxfam-Report findet sich unter anderem folgender Augenzeugenbericht: „Als wir in Sabha in Libyen angekommen waren, wurde ich ins sogenannte Ghetto gebracht – ein großes Haus ohne Fenster, in dem 300 Afrikaner festgehalten wurden. Es war schrecklich. Jeden Tag ist jemand gestorben. Es gab nicht genug Platz zum Schlafen, es gab kein Trinkwasser und das Essen war verdorben.“

Ein anderer Flüchtling sagte aus: „Sie gaben uns ein Telefon, um unsere Familien anzurufen, die wir um Geld bitten sollten. Wenn man keine 1500 libysche Dinar [etwa 1000 Euro] zahlen konnte, wurde man weiter im Haus gehalten und geschlagen. Ich habe ein paar Leute kennengelernt, die dort sechs Monate bleiben mussten, weil sie nicht zahlen konnten. Ich selbst habe fünf Menschen im Ghetto wegen des Essensmangels sterben sehen – und durch Schusswunden, die sehr häufig waren. Ich musste drei Wochen bleiben, bis ein Freund von mir das Lösegeld zahlte, dann kam ich frei.“

Hilfsorganisation IOM prangert „Sklavenmärkte“ in Libyen an

Libyen ist eines der Haupttransitländer für Flüchtlinge aus Afrika auf ihrem Weg nach Europa. Das Land wird in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert. Bereits im April dieses Jahres hat die Internationale Organisation für Migration (International Organization for Migration, IOM) in einer Pressemitteilung auf die erschütternden Zustände in Libyen hingewiesen.

Wie IOM-Repräsentant Othman Belbeisi in Genf erklärte, gebe es in Libyen regelrechte „Sklavenmärkte“ mit Migranten. „Sie gehen zum Markt und können dort für 200 bis 500 Dollar einen Migranten kaufen“, berichtete Belbeisi. Die Käufer könnten diese Person dann für „ihre Zwecke oder entsprechende Arbeiten benutzen“. Der Leiter der IOM-Sondereinsätze Mohammed Abdiker sprach im April von „katastrophalen Zuständen“. Die Migranten, die den Menschenhändlern in die Hände fielen, würden „konfrontiert mit systematischer Mangelernährung, sexuellem Missbrauch bis hin zum Mord“.


Die Aufnahme, gemacht im Mittelmeer, zeigt Migranten aus Afrika an Bord eines belgischen Kriegsschiffes.
(Foto: Frontex)

Kleines Beitragsbild: Rettungsaktion der belgischen Marine im Mittelmeer.
(Foto: Frontex)


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