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Paris/London. Es ist wie eine Ironie des Schicksals, dass nur vier Tage nach den blutigen Anschlägen von Paris eine alarmierende Bestandsaufnahme zum weltweiten Terrorismus erschienen ist. Am Dienstag dieser Woche (17. November) stellte das australische Wirtschafts- und Friedensforschungsinstitut IEP in London seinen „Global Terrorism Index“ für das Jahr 2014 vor. Dem Zahlenmaterial zufolge ist die Zahl der Todesfälle durch Terrorismus im letzten Jahr um rund 80 Prozent auf einen bisherigen Höchststand gestiegen. 32.658 Menschen – Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche und Senioren – verloren ihr Leben durch feige, erbärmliche Attacken. Im Vorjahr 2013 hatte es weltweit 18.111 Terroropfer gegeben. Dass die Fälle terroristischer Akte im Laufe der Zeit dramatisch zugenommen haben, wird außerdem hier sichtbar: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Getöteten um das Neunfache erhöht. Auch die durch Terrorismus verursachten wirtschaftlichen Schäden haben nach Recherchen des Instituts inzwischen neue Schreckensdimensionen erreicht. Im vergangenen Jahr kletterten diese Kosten IEP zufolge „global auf ein Allzeithoch von 52,9 Milliarden US-Dollar“, eine zehnmal höhere Summe als noch im Jahr 2000.

Das Institut für Wirtschaft und Frieden IEP (IEP: Institute for Economics & Peace) veröffentlich seinen „Global Terrorism Index“ jetzt schon zum dritten Mal (siehe auch hier). Die mehr als 100 Seiten umfassende Studie bietet eine detailreiche Analyse der Entwicklungen im Terrorismus-Bereich und untersucht dazu die Situation in 162 Ländern dieser Erde. Dabei spielen nicht nur die verschiedenen Aktivitäten und das Vorgehen der einzelnen Terrorgruppierungen eine zentrale Rolle im Bericht. Untersucht wurden auch diesmal wieder die unmittelbaren und mittelbaren Folgen von Terror auf Politik und Wirtschaft.

Auch wenn sich Terrorismus nach wie vor auf fünf Länder konzentriert – Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und Nigeria – so weitet er sich doch aus, warnt das Institut. Mittlerweile melden immer mehr Nationen Terrorvorfälle, denen Menschen zum Opfer fallen. Insgesamt ist die Zahl derjenigen Länder, die im Jahr 2014 mehr als 500 Terrortote zu beklagen hatten, um 120 Prozent auf elf Länder gewachsen. Neu hinzugekommen sind Somalia, die Zentralafrikanische Republik, Südsudan, Kamerun, Jemen und die Ukraine.

Zwei Terrorgruppierungen verantwortlich für die Hälfte aller Getöteten

Die IEP-Studie basiert auf dem Material der Global Terrorism Database von START (START: The National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism; eine Einrichtung an der Universität von Maryland). Dieses Material belegt, dass derzeit zwei Terrorbewegungen – der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) und die Sekte Boko Haram – gemeinsam für 51 Prozent aller weltweit bei terroristischen Angriffen Getöteten verantwortlich sind.

Boko Haram, das sich im März 2015 offiziell als „Westafrika-Provinz des Islamischen Staates“ (Islamic State’s West Africa Province, ISWA) dem IS angeschlossen hat, gilt heute als die tödlichste Terrorgruppe der Welt. Sie brachte 6644 Menschen um. Dem IS fielen 6073 Menschen zum Opfer.

Irak ist das am stärksten von Terrorismus erschütterte Land

Die am meisten von Terror heimgesuchten Staaten gehören nicht zur westlichen Gemeinschaft. Im Jahr 2014 stammten 78 Prozent aller weltweit verzeichneten Todesopfer aus den fünf bereits erwähnten Krisenländer Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und Nigeria.

Der Irak ist mit insgesamt 3370 Angriffen, bei denen 9929 Menschen starben, weiterhin das am stärksten vom Terrorismus betroffene Land. Den extremsten Anstieg terroristischer Akte im vergangenen Jahr verzeichnete Nigeria – dort stieg die Zahl der durch Terroranschläge Getöteten um 300 Prozent auf 7512.

Auswirkungen terroristischer Aktivitäten überall auf der Welt zu spüren

Die wirtschaftlichen Schäden beziehungsweise Folgekosten durch Terrorismus erreichten 2014 mit 52,9 Milliarden US-Dollar ein noch nie da gewesenes Niveau. Diese Summe entspricht einem Anstieg von 61 Prozent im Vergleich zu den insgesamt 32,9 Milliarden US-Dollar des Jahres 2013 und einem zehnfachen Anstieg seit 2000.

Steve Killelea, Executive Chairman von IEP, erklärte bei der Vorstellung des „2015 Global Terrorism Index“ gegenüber der Presse: „Die signifikante Zunahme terroristischer Aktivitäten hat dazu geführt, dass deren Auswirkungen heutzutage überall auf der Welt zu spüren sind. Besonders auffällig an unserer Analyse ist, wie sich die Ursachen für Terrorismus in mehr und in weniger entwickelten Ländern unterscheiden. Im Westen korrelieren sozio-ökonomische Faktoren wie Jugendarbeitslosigkeit und Drogenkriminalität stark mit Terrorismus. In Nicht-OECD-Ländern gibt es einen stärkeren Zusammenhang zwischen Terrorismus und laufenden Konflikten, Korruption und Gewalt.“ (Anm.: OECD: Organisation for Economic Co-operation and Development/Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.)

„Zehn der elf am stärksten vom Terrorismus betroffenen Länder verzeichnen zudem die höchsten Flüchtlingszahlen und die meisten inländischen Vertreibungen“, sagte Killelea weiter. „Dies verdeutlicht den starken Zusammenhang zwischen der aktuellen Flüchtlingskrise, Terrorismus und Konflikten.“

Große Sorgen bereitet dem Institut auch der seit 2011 anhaltende Zustrom ausländischer Kämpfer in den Irak und Syrien. Aktuellen Schätzungen zufolge handelt es sich um 25.000 bis 30.000 Kämpfer aus ungefähr 100 Ländern. Die Hälfte all dieser Männer und Frauen stammt aus den benachbarten MENA-Ländern, ein Viertel aus Europa und der Türkei. Der Zustrom nimmt offensichtlich auch nicht ab, denn bereits in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 zog es mehr als 7000 Foreign Fighters in diese beiden Konfliktländer. (Anm.: MENA – Middle East and North Africa/Nahost und Nordafrika – ist die Bezeichnung für die Region von Marokko bis zum Iran.)

Staatlich protegierte Gewalt eindämmen und Lösungen für Konflikte finden

Eine statistische Analyse der Muster terroristischer Aktivitäten seit 1989 zeige zwei Hauptfaktoren, so das IEP, die am ehesten mit Terrorismus assoziiert werden könnten. Dies sei einerseits politische Gewalt durch den Staat selbst und andererseits das Ausmaß bewaffneter Konflikte in einem Land.

Nach der aktuellen Terror-Studie des Instituts ereigneten sich 92 Prozent aller terroristischen Angriffe zwischen 1989 und 2014 in jenen Ländern, in denen politische Gewalt durch die Regierung weit verbreitet war. 88 Prozent aller terroristischen Angriffe zwischen 1989 und 2014 ereigneten sich in solchen Ländern, in denen gewalttätige Konflikte ausgetragen wurden oder die an solchen Konflikten beteiligt waren.

Dazu IEP-Chef Killelea: „Da es eine Reihe von eindeutig identifizierbaren, sozio-politischen Faktoren gibt, die Terrorismus fördern, ist es wichtig, Strategien zu nutzen, die auf diese Ursachen abzielen. Dazu zählen die Verringerung staatlich geförderter Gewalt und die Beseitigung kollektiver Missstände. Darüber hinaus müssen den Menschenrechten und der religiösen Freiheit wieder deutlich mehr Respekt entgegengebracht und zudem kulturelle Unterschiede berücksichtigt werden.“

Der Westen sieht sich zumeist mit Einzeltätern konfrontiert

Im Westen sind es hauptsächlich Einzeltäter, die sich terroristisch betätigen und in den vergangenen zehn Jahren für 70 Prozent aller Todesfälle verantwortlich waren. Auch war laut IEP der islamische Fundamentalismus im Untersuchungszeitraum in den westlichen Ländern nicht die Hauptursache für Terrorismus: 80 Prozent aller Getöteten waren Opfer von Einzeltätern, die später als politische oder religiöse Extremisten, Nationalisten oder Rassisten identifiziert wurden.

Während es in vielen Ländern überhaupt keine terroristischen Aktivitäten gab und gibt, stieg 2014 die Zahl jener Länder mit mindestens einem oder mehreren Toten aufgrund terroristischer Aktivitäten von 59 (2013) auf 67 (2014) an. Dazu zählen nun mittlerweile auch OECD-Länder wie Australien, Kanada, Frankreich, Belgien und Österreich.

Bei allen düsteren Statistiken und Tendenzen sollten allerdings folgende Tatsachen nicht übersehen werden: Mehr als 60 Prozent der in der IEP-Studie betrachteten Länder hatten bislang noch keine Terrortoten zu beklagen. Steve Killelea erinnert daran: „Seit dem Jahr 2000 ereigneten sich weniger als drei Prozent aller auf Terrorismus zurückzuführenden Todesfälle in westlichen Ländern. Weltweit fallen dreizehn Mal mehr Menschen herkömmlichen Tötungsdelikten zum Opfer als Terrorangriffen.“ Wer an die jüngsten Anschläge – in Beirut, in Paris, in einem Airbus über dem Sinai oder in einem Hotel in Malis Hauptstadt Bamako – denkt, für den dürften diese Realitäten jedoch wenig tröstlich sein.

Das Institute for Economics & Peace gilt als einer der weltweit führenden Thinktanks. Es forscht schwerpunktmäßig zum Themenkomplex „Frieden und ökonomische Vorteile des Friedens“.


Zu unserer Bildfolge:
1. Angehörige der Terrormiliz „Islamischer Staat“, kurz IS.
(Foto: amk)

2. Terrorangriffe der beiden Gruppierungen Boko Haram und IS im Jahr 2014.
(Infografik © IEP/Lokalisierung mediakompakt 11.15)

3. Islamistische Terrorsekte Boko Haram aus Nigeria.
(Foto: amk)

4. Entwicklung des globalen Terrors seit dem Jahr 2000.
(Infografik © IEP/Lokalisierung mediakompakt 11.15)

5. bis 7. Im Gedenken an die Terroropfer der Pariser Anschläge vom 13. November 2015. Die Bilder entstanden am Tag nach der Attentatsserie in der französischen Hauptstadt am Trafalgar Square in London.
(Fotos: Catholic Church England and Wales)


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